24-Stunden-Betreuung: Kritisiertem Qualitätszertifikat winken Millionen Euro mehr Förderung – oder das Aus
“Wie das ablief, das können Sie sich gar nicht vorstellen”, sagt R. Die Person arbeitet bei einer Vermittlungsagentur für 24-Stunden-Betreuer:innen. Ihre Branche leidet unter einem schlechten Ruf. Was da helfen soll: Das Österreichische Qualitätszertifikat für Vermittlungsagenturen in der 24-Stunden-Betreuung, kurz: ÖQZ-24. Das blaue Label wird von einem privaten Verein ausgestellt und von der Wirtschaftskammer unterstützt. Geld und seinen Segen darauf gibt das Sozialministerium.
Agenturen, die es haben wollen, müssen sich einer Prüfung unterziehen, so auch die von R. Beim Gespräch mit MOMENT.at schildert R., wie es bei der Prüfung zuging: ziemlich unfreundlich und aggressiv. „Der Prüfer hat seine Macht ausgespielt“, sagt die Person und berichtet von extremen Anforderungen, viel Papierkram und seltsamen Fragen. „Ich habe so einen Packen Unterlagen bekommen“, sagt R. und formt mit den Händen einen Stapel von 30 Zentimeter Höhe. Was verlangt wurde, „hat wenig mit 24-Stunden-Betreuung zu tun“.
Agenturen in 24-Stunden-Betreuung: Große Angst offen zu sprechen
R. möchte nicht mit dem echten Namen bezeichnet werden. So wie überhaupt keine Person, die mit MOMENT.at über das ÖQZ-24 sprach und dabei nicht nur Gutes zu berichten hatte. In wochenlanger Recherche tauchte MOMENT.at tief ein in eine Branche, die damit Geld verdient, hilfs- und pflegebedürftigen älteren Menschen eine 24-Stunden-Betreuer:in zu vermitteln. Die Angst davor, offen zu sprechen, ist riesig in der Branche.
In bisher zwei Berichten zeigten wir, wie eng das ÖQZ-24 und der dahinter stehende Verein verwoben sind mit Funktionär:innen der Wirtschaftskammer, die gleichzeitig selbst große Vermittlungsagenturen führen. Wir beleuchteten, wie wenig beim ÖQZ-24 diejenigen berücksichtigt werden, die die eigentliche Arbeit machen: die 24-Stunden-Betreuer:innen. In einem dritten Bericht schildern Agenturbeschäftigte:r, wie das ÖQZ-24 zertifiziert und warum das problematisch sein kann. Denn am Zertifikat könnte bald ihre wirtschaftliche Existenz hängen – zumindest wenn es nach den Macher:innen des ÖQZ-24 geht.
Den 1. Teil der Recherche über ein Qualitätssiegel, das scharf kritisiert wird, liest du hier
Agenturbeschäftigte:r R. berichtet, wie der Prüfer absurde „Verbesserungen“ gefordert habe. So habe ihm die Farbe des Werbefolders nicht gefallen. „Das muss geändert werden“, verlangte er. Nicht interessiert habe er sich dagegen für Dokumente, in denen Klient:innen und deren Familien berichten, wie zufrieden sie mit der Agentur und den 24-Stunden-Betreuer:innen waren. Auch Agenturbeschäftigte:r F. wunderte sich, was dem ÖQZ-24 bei ihm nicht passte. “Da ging es um simple Formulierungen auf der Website”, sagt er. Nachvollziehbar sei das für ihn nicht gewesen. “Jemand, der wertfrei zertifiziert, konzentriert sich auf die Inhalte”, sagt F. Doch die kämen bei dem Qualitätszertifikat viel zu kurz.
Worauf sich das ÖQZ-24 unter anderem eher konzentriert habe? “Sie wollten von mir meine Liste der Kund:innen haben”, berichtet Agenturbeschäftigte:r A. Da habe sie mit der Stirn gerunzelt. “Warum soll ich die aus der Hand geben und anderen Agenturen oder Funktionär:innen der Wirtschaftskammer überreichen?”, fragt A. Die Beschäftigte fürchtete, sie könnten dann versuchen, Klient:innen abzuwerben. Auch F. wurde misstrauisch: “Niemand kann glaubhaft versichern, dass Zertifizierer:innen diese Daten nicht in ihre eigenen unternehmerischen Überlegungen einfließen lassen.”
„Da sparen sich andere, die das bekommen, eine Menge Gehirnschmalz.“
Agenturbeschäftigte:r P.
Der zertifizierende und private Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen “bekommt Einblick in die Geschäfte, die Kundendaten, die Abläufe. Die wissen alles”, sagt F. Auch andere fanden: Was das ÖQZ-24 haben wollte, ging zu weit. “Ich musste viele Unterlagen einreichen, die tief hineingehen in Geschäftsgeheimnisse”, sagt Agenturbeschäftigte:r P. “Da sparen sich andere, die das bekommen, eine Menge Gehirnschmalz.” Er habe darauf bestanden, nicht alle Unterlagen aus der Hand zu geben, die besonders sensibel seien. “Das wurde auch akzeptiert”, sagt P.
Für alle von MOMENT.at kontaktierten Vermittlungsagenturen steht außer Frage: Um ein Qualitätszertifikat zu erhalten, muss ihr Unternehmen genau geprüft werden. Dazu gehört auch, Verträge mit Klient:innen und den 24-Stunden-Betreuer:innen zu durchleuchten. Denn allzu oft finden sich darin Klauseln, die rechtswidrig sind oder gegen die guten Sitten verstoßen. Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) deckte in der Vergangenheit zahlreiche Verstöße auf und mahnte Vermittlungsagenturen ab – darunter auch solche, die das ÖQZ-24 tragen.
„Das ist nicht irgendein Pickerl. Das müssen Sie sich schon verdienen.“
Johannes Wallner, Geschäftsführer ÖQZ-24
ÖQZ-24-Geschäftsführer Johannes Wallner sagt, die vielen auszufüllenden Unterlagen und die vielen einzureichenden Dokumente, seien notwendig. „Wir haben ein Qualitätszertifikat und nicht irgendein Pickerl, das sie sich draufkleben können. Das müssen sie sich schon verdienen“, sagt er im Gespräch mit MOMENT.at. Doch das Misstrauen in der Branche ist groß. “Wenn eine unabhängige Stelle die Prüfungen durchführt, dann könnten sie auch mein Lungenröntgen haben”, sagt Agenturbeschäftigte:r F. “Aber so, nein.”
Beim ÖQZ-24 prüfen Beschäftigte anderer Vermittlungsagenturen und aus Pflegeheimen ihre Konkurrent:innen darauf, ob sie das Qualitätszertifikat erhalten. Diese wüssten schließlich, worauf es ankommt in der 24-Stunden-Betreuung, sagt der Verein. Und wer sollte es denn sonst machen? Agenturbeschäftigte:r A. fragt: “Wer prüft eigentlich die Prüfer?” Offenbar niemand und zumindest keine externe Stelle. Aus dem Sozialministerium heißt es zu MOMENT.at, der Verein prüfe “eigenverantwortlich”.
Kritik: ÖQZ-24 sei keine neutrale Prüfeinrichtung
Karin Hamminger ist diplomierte Krankenpflegerin und Betreiberin der Agentur Pflegegruppe. Für das ÖQZ-24 zertifiziert sie selbst andere Agenturen. Den Vorwurf, nicht neutral zu bewerten, weist sie zurück. “Wir waren immer zwei Prüfer und haben unabhängige Bewertungen und Berichte geschrieben”, sagt sie im Gespräch mit MOMENT.at. Die zweite Prüfperson käme bei ihr nicht aus der 24-Stunden-Betreuung, sondern von einem Pflegeheim. “Das ist für uns absolut in Ordnung.”
Die Episoden zeigen: Das ÖQZ-24 wird von vielen Vermittlungsagenturen – von denen einige selbst das Label tragen – nicht als neutrale Einrichtung wahrgenommen. Aber wie auch? MOMENT.at deckte auf, wie eng verwoben der Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen mit Funktionär:innen der Wirtschaftskammer ist, die gleichzeitig auch große Vermittlungsagenturen betreiben. Sie waren federführend dabei, das ÖQZ-24 auf die Beine zu stellen. Sie legten die Kriterien fest, die Vermittlungsagenturen erfüllen müssen, um das Label zu erhalten. Und sie entwarfen die Richtlinien, nach denen geprüft wird. Das Sozialministerium gab dann seinen Stempel darauf.
„Haben gesehen, dass das sehr zugeschnitten ist auf große Organisationen.“
Marcus Duschek, Vermittlungsagentur Curavita
Die Folge: “Wir haben gesehen, dass das sehr zugeschnitten ist auf große Organisationen”, sagt Marcus Duschek, Geschäftsführer der Wiener Vermittlungsagentur Curavita zu MOMENT.at. Seine Firma übererfülle zahlreiche Vorgaben des ÖQZ-24, sagt er. Dennoch trägt Curavita das Qualitätszertifikat nicht. Duschek hat es nie beantragt. Denn: “Auf der anderen Seite fanden wir viele bürokratische Hürden unnötig”, sagt er. “Also haben wir entschieden, das brauchen wir nicht.”
Das ÖQZ-24 soll aufgewertet werden, mit viel Fördergeld
Möglicherweise muss Duschek bald darüber nachdenken, ob er das ÖQZ-24 doch beantragt. Denn der Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen und die Wirtschaftskammer haben mit dem ÖQZ-24 Großes vor. Das Zertifikat soll aufgewertet werden, mit Geld. Ein wichtiger Termin dazu fand am 12. Juli vergangenen Jahres statt. Der Verein stellte bei Sozialminister Johannes Rauch eine „Förderpyramide“ vor. MOMENT.at liegt die Präsentation vor. Die Vertreter:innen von ÖQZ-24 und der Wirtschaftskammer fordern darin, die staatliche Unterstützung der 24-Stunden-Betreuung deutlich zu erhöhen – besonders für Vermittlungsagenturen, die ihr Qualitätszertifikat tragen.
Rund 60.000 Personenbetreuer:innen kümmern sich in Österreich um rund 30.000 pflegebedürftige Menschen in ihrem Zuhause. Ab Pflegestufe 3 gibt es dafür einen staatlichen Zuschuss: Im Jänner dieses Jahres wurde dieser erhöht – und zwar erstmals, seitdem die 24-Stunden-Betreuung im Jahr 2008 legalisiert wurde. Statt 550 Euro monatlich gibt es nun 640 Euro.
Das Sozialministerium von Johannes Rauch (Grüne) nennt das eine “deutliche Erhöhung”. Einen lächerlichen Betrag nennen es übereinstimmend die Vertreter:innen der 24-Stunden-Betreuer:innen, die von MOMENT.at kontaktierten Vermittlungsagenturen, das ÖQZ-24 und die Wirtschaftskammer. Tatsächlich gleichen die 90 Euro mehr nicht einmal aus, was die Teuerung vom Bonus abgeknabbert hat. Die 550 Euro von vor 15 Jahren sind heute nur noch 350 Euro wert.
ÖQZ-24: Wie fair ist der Fairnessbonus?
Der Verein, das ÖQZ-24, Funktionär:innen der Wirtschaftskammer und Vermittlungsagenturen forderten bei ihren Gesprächen mit dem Sozialministerium im vergangenen Sommer, die Basisförderung auf 780 Euro zu erhöhen. Doch das ist nicht alles: Daneben fordert der Verein ein sogenanntes „ÖQZ 24 Bonussystem“.
Ein Teil davon ist der Fairnessbonus: Gefördert werden soll, wer Vermittlungsagenturen beauftragt, deren 24-Stunden-Betreuer:innen einen Tagessatz von mindestens 85 Euro erhalten. 350 Euro soll es für Klient:innen ab Pflegestufe 3 geben. Bei höheren der insgesamt 7 Pflegestufen steigen die Mindest-Tagessätze und der geforderte Zuschuss. Wer mehr zahlt für die 24-Stunden-Betreuung seiner hilfsbedürftigen Oma, dem Papa oder der Mama, soll etwas davon zurückerhalten.
Das klingt fair. Honorar-Dumping, wie es für 24-Stunden-Betreuer:innen allzu oft Realität ist, könnte so vermindert werden. Aber: Verknüpft werden soll diese Förderung damit, dass die Vermittlungsagentur auch das ÖQZ-24-Label trägt. Wer Agenturen beauftragt, die zwar die Mindest-Tagessätze zahlen, jedoch nicht vom Verein zertifiziert worden sind, würde keinen Zuschuss bekommen.
Doppelt so hohe Förderungen für Agenturen mit ÖQZ-24
Dazu wünscht sich das ÖQZ-24 eine dritte Fördersäule, einen „Qualitätsbonus“. Anspruch darauf soll haben, wer Vermittlungsagenturen beauftragt, die das ÖQZ-24 tragen und von den bei ihnen unter Vertrag stehenden Betreuer:innen nicht mehr als 10 Prozent der Honorarsumme für sich abzwacken. Ab Pflegestufe 3 soll es hier noch einmal monatlich 270 Euro geben, bei höheren Stufen entsprechend mehr.
Kommt das so, hätten Vermittlungsagenturen mit ÖQZ-24 einen klaren Wettbewerbsvorteil. Kund:innen, die dann die rund doppelt so hohen Förderungen wie jetzt erhalten wollen, müssten eine der zertifizierten Agenturen beauftragen. Agenturbeschäftigte:r F. begrüßt den Ansatz, Förderungen daran zu knüpfen, dass Vermittlungsagenturen Qualitätsstandards einhalten und ihre 24-Stunden-Betreuer:innen fair bezahlen. “Mehr Qualität kostet mehr”, sagt er. Und das sollte auch gefördert werden. Aber muss das so eng an ÖQZ-24-Label und dessen dahinterstehenden Verein geknüpft werden?
Curavita-Geschäftsführer Duschek hält das für “keine gute Idee, denn das ist eine Zwangsmaßnahme”. Sämtliche Agenturen “müssten sich dann von einem Privatverein zertifizieren lassen, wenn sie ihre Kund:innen behalten wollen. Selbst dann, wenn diese Agenturen seit vielen Jahren über einen untadeligen Ruf verfügen und schon lange vor dem Zertifikat gut gearbeitet haben.”
24-Stunden-Betreuung privat organisieren? Eher schwierig
Er schlägt vor, den umgekehrten Weg zu gehen: “Man sollte besser diejenigen von der Förderung ausschließen, die die Vorgaben nicht erfüllen”, sagt Duschek. “Dann ist es egal, ob sie mit dem ÖQZ-24 zertifiziert sind oder nicht.” Und er sieht ein weiteres Problem: “Was ist mit den Personen, die sich privat eine 24-Stunden-Betreuung organisieren? Das soll es ja auch geben”, sagt er.
Im vom ÖQZ-24 und der Wirtschaftskammer vorgeschlagenen Fördermodell wäre das kaum mehr drin. Wollen betreute Personen größtmöglich gefördert werden, ginge das nur noch, wenn sie Vermittlungsagenturen beauftragen, die das ÖQZ-24 tragen. Diese bräuchten den Extra-Bonus, „damit sie sich unsere Qualitätsstandards leisten können“, sagt ÖQZ-24-Geschäftsführer Wallner.
Ein Problem am Fördermodell, wie es sich der Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen vorstellt: Würde es umgesetzt, hätte er viel Macht. Senkt der Verein den Daumen bei einer Zertifizierung mit dem ÖQZ-24, hätte die betreffende Vermittlungsagentur einen massiven Wettbewerbsnachteil.
Unter denen, die die erweiterte Förderforderung beim Sozialministerium gestellt haben, sind bekannte Namen: Neben Wallner stehen dort Zertifiziererin Karin Hamminger sowie Robert Pozdena und Mario Tasotti. Pozdena ist Fachgruppen-Obmann der Wirtschaftskammer Niederösterreich und Geschäftsführer von cura domo. Laut eigener Aussage ist es die größte privat betriebene Vermittlungsagentur in Österreich. Tasotti ist stellvertretender Fachgruppen-Obmann der Wiener Wirtschaftskammer und führt die Agentur LebensWerte Seniorenbetreuung.
WKO-Funktionär und Agenturbetreiber als unabhängiger Experte?
Tasotti trommelt öffentlich für das Modell des ÖQZ-24. In Aussendungen der Wirtschaftskammer und Medienberichten wird er als “Expertenvertreter und Allgemein beeideter gerichtlicher Sachverständiger” oder kurz “Experte” bezeichnet. Nicht hingewiesen wird darauf, dass Tasotti hoher Funktionär der Wirtschaftskammer und selbst Agenturbetreiber ist. Seine Firma würde vom Modell profitieren, für das er sich als “Experte” ausspricht. Das kann man so machen, ist aber zumindest nicht die ganze Wahrheit.
Doch im Moment geht für das ÖQZ-24 nichts weiter. Tatsächlich habe es seit dem Termin im Juli vergangenen Jahres „keine konkreten weiteren Gespräche gegeben“, sagt Wallner. „Wir warten nach wie vor.“ Und langsam wird die Zeit knapp. Das Sozialministerium verlängerte jüngst auf Antrag des Vereins den Förderzeitraum für das ÖQZ-24 bis März dieses Jahres. Bisher flossen jährlich 80.000 Euro Steuergeld an den Verein.
Für die Zeit danach stellte der Verein noch kein Ansuchen, ihn erneut zu unterstützen. Laut Wallner hängt es stark davon ab, ob die vom ÖQZ-24 gewünschte “Förderpyramide” umgesetzt wird oder nicht. Würde diese zum Gesetz, fließt bald wohl mehr Geld in die Kassen des Vereins. Denn dann hätte so ziemlich jede Vermittlungsagentur für 24-Stunden-Betreuung in Österreich einen großen wirtschaftlichen Druck, sich vom ÖQZ-24 zertifizieren zu lassen.
„Wir stehen vor der Neuzertifizierung. Das ist kostspielig, ich wiege Vor- und Nachteile ab.“
Agenturbeschäftigte:r P.
Anders als zuletzt: Im vergangenen Jahr ließen sich nur drei Agenturen zertifizieren. 37 der mehr als 900 Vermittlungsagenturen für 24-Stunden-Betreuer:innen tragen das ÖQZ-24. Viele Agenturen, mit denen MOMENT.at sprach, überlegen, ob sie das ÖQZ-24 weiterhin haben wollen. „Wir stehen jetzt vor der Neuzertifizierung“, sagt Agenturbeschäftigte:r P. „Das ist recht kostspielig, ich wiege Vor- und Nachteile ab.”
Sich als Agentur zertifizieren zu lassen kostet nicht nur Zeit und Druckerpapier, sondern auch Geld: 3.900 Euro müssen Vermittlungsagenturen dem Verein zur Förderung der Qualität in der Betreuung älterer Menschen überweisen, damit der sie zertifiziert. Wer sich erstmals zertifizieren lässt, kann sich dafür fördern lassen – von der Wirtschaftskammer.
Bis zu 100 Prozent der Kosten erstattet die Standesvertretung. Je weniger Klient:innen eine Agentur hat, desto mehr gibt es zurück. Rund 125.000 Euro haben die Fachgruppen der Landes-Wirtschaftskammern laut Berechnung von MOMENT.at auf Grundlage von Zahlen des ÖQZ-24 bisher dafür springen lassen. Es ist eine Förderung, die auch die 24-Stunden-Betreuer:innen mit ihrer Kammerumlage mitfinanzieren. Denn diese arbeiten formal als selbständige Unternehmer:innen, sind also Mitglieder der Wirtschaftskammer. Im ÖQZ-24 kommen sie und ihre Interessen aber kaum vor, wie MOMENT.at berichtete.
2. Teil der Recherche: 24-Stunden-Betreuer:innen kommen beim ÖQZ-24 unter die Räder
Anders als bei der erstmaligen Zertifizierung, fördert die Wirtschaftskammer Agenturen nicht, wenn sie das ÖQZ-24 erneuert haben wollen. “Wenn ich sehe, dass niemand sonst mehr mitmachen will, dann brauche ich das nicht“, sagt P. Agenturbeschäftigte:r R. ist noch klarer: “Noch einmal werde ich mich nicht zertifizieren lassen.” Inzwischen hat das ÖQZ-24 die Gültigkeit der bisher ausgegebenen Zertifikate kurzerhand um zwei Jahre verlängert. Abgesegnet vom Sozialministerium.
Eigentlich hätten sich Ende vergangenen Jahres die ersten Vermittlungsagenturen erneut zertifizieren lassen müssen, um das seit 2019 vergebene ÖQZ-24 weiter tragen zu dürfen. Jetzt ist lediglich ein erneutes “Management Review” notwendig. Das ist eine Art Selbstauskunft der Agenturen darüber, ob sie die Richtlinien des Zertifikats eingehalten haben. Der Verein prüft es dann lediglich auf “Plausibilität”.
Das ÖQZ-24 stammt aus der Zeit von türkis-blau
Warum das ÖQZ-24 jetzt plötzlich fünf statt nur drei Jahre gültig sein soll? Geschäftsführer Wallner geht auf die Frage erst im zweiten Anlauf ein: “Es fehlt an der gesetzlichen und finanziellen Absicherung”, sagt er und erklärt: “Die ersten Agenturen, die sich zertifizieren haben lassen, haben dies auch im Hinblick auf die zukünftig in Kraft zu tretenden gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen getan.”
“Dieser Vorleistung der Agenturen ist bis dato keine politische Entscheidung gefolgt.” Will heißen: Das ÖQZ-24 war attraktiv, weil es Vermittlungsagenturen in Aussicht stellte, demnächst von höheren Förderungen zu profitieren. Doch die kommen und kommen nicht. Wozu dann also dabei bleiben und jetzt noch einmal die aufwändige Zertifizierung auf sich nehmen?
Auf die Beine gestellt wurde das ÖQZ-24 im Jahr 2018 unter der damaligen Gesundheitsministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ). Danach folgte Ibiza und die Koalition aus ÖVP und FPÖ war Geschichte. Die erste Verleihung des Zertifikats im Jahr 2019 nahm dann schon Brigitte Zarfl vor. Sie war Gesundheitsministerin der Übergangsregierung von Kanzlerin Brigitte Bierlein.
Ministerium ohne Antworten darauf, wie es besser gehen soll
Anfang 2020 einigten sich ÖVP und Grüne auf eine gemeinsame Regierung. Die Grünen führen jetzt das Sozialministerium. Und das scheint skeptisch zu sein. „Das angesprochene Modell ist dem Ministerium bekannt“, heißt es von dort gegenüber MOMENT.at. Beim Versuch, die 24-Stunden-Betreuung zu verbessern, „werden die Anliegen des ÖQZ selbstverständlich in die weiteren Diskussionen miteinbezogen“. Das klingt nicht nur zurückhaltend, sondern das ist es wohl auch.
Was das Ministerium allerdings stattdessen tun möchte, um die Qualität in der Betreuung und Pflege älterer Menschen zu verbessern und schwarze Schafe unter den Vermittlungsagenturen auszusieben, bleibt es bisher schuldig. Nur 90 Euro mehr Förderung im Monat für die 24-Stunden-Betreuung sind keine Antwort.