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Arbeitswelt

30-Stunden-Woche: Wo kurz gut ankommt

Eine Firma in Oberösterreich hat die 30-Stunden-Woche bei Vollzeit-Gehalt eingeführt - und profitiert gewaltig davon. Wie ging das und kann das für alle funktionieren?

Ein mehrstöckiges Bürolokal, darin mehrere Nischen mit Computer-Arbeitsplätzen über den Raum verteilt. An einigen sitzen MitarbeiterInnen, an anderen nicht. Zwei KollegInnen besprechen leise ein aktuelles Projekt, Besuch bekommt als erstes einen Kaffee angeboten. Auslegeware am Boden dämpft die Schritte, die Farben der Büromöbel strengen das Auge nicht an, der Kopierer steht mitten im Raum.

Wer die Zentrale des Online-Marketing-Unternehmens eMagnetix im oberösterreichischen Bad Leonfelden 25 Kilometer nördlich von Linz betritt, erkennt zunächst keinen Unterschied zu einem Büro irgendwo anders in Österreich. Einen gibt es aber doch, er steht ganz rechts im Eingangsbereich. Dort zeigt ein Flatscreen in Dauerschleife Fotos der Belegschaft, nicht beim Arbeiten, sondern im Urlaub, beim Sport und gemeinsamen Freizeitaktivitäten. Dazu wird der Slogan gezeigt, den sich die Firma zu eigen gemacht hat: #30sindgenug.

In der Firma arbeiten die Angestellten seit einem Jahr nicht mehr als 30 Stunden in der Woche. Und: Alle bekommen das gleiche Gehalt wie vorher in Vollzeit. Für Geschäftsführer Klaus Hochreiter war die kürzere Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich eine Idee, die aus der Not heraus geboren wurde. Vor rund vier Jahren stand er vor einem Problem: „Die Geschäftslage war gut, die Aufträge waren gut“, sagt er. Aber: „Wir haben einfach keine qualifizierten MitarbeiterInnen mehr bekommen.“ MitarbeiterInnen mussten Überstunden schieben, KundInnen vertröstet werden, weil neue Projekte auf der Warteliste landeten.

Keine BewerberInnen trotz mehr Geld

„Haben wir einen Einsteigerjob ausgeschrieben, bekamen wir zehn Bewerbungen. Bei Stellen für Berufserfahrene kam mitunter gar nichts rein“, schildert der 38-jährige Hochreiter. Der Fachkräftemangel, in seiner Branche ist er stark zu spüren. „Gerade uns als kleine Firma trifft das. Gefragte BewerberInnen können aus vielen Unternehmen auswählen. Wenn ich da nicht heraussteche, gehen die woanders hin.“ Hochreiter probierte es damit, das angebotene Gehalt weit über den Branchenschnitt zu heben. Der Erfolg: Null. „Es ist nichts gekommen.“

Die besten Leute, um die sich jeder reißt, die kommen jetzt zu uns.
Klaus Hochreiter, 38, Geschäftsführer eMagnetix

Er schaute sich um in der Branche. In Schweden stieß er auf ein Unternehmen, das die 30-Stunden-Woche eingeführt hatte. „Da habe ich gesehen: Das ist es!“ Er las Umfragen und Studien zu Arbeitszeit und Zufriedenheit von MitarbeiterInnen. „In Österreich wünschen sich die meisten, 31 Stunden in der Woche zu arbeiten, heute sind es aber 41 bei Vollzeit. Da geht die Schere auseinander“ Warum also nicht probieren, diese Schere zu schließen? Für Hochreiter war klar: Das Gehalt muss dabei so hoch bleiben wie es vorher war und Neueinsteiger sollten dasselbe bekommen, als wenn sie Vollzeit arbeiten.

„Es ging darum, die Attraktivität am Bewerbermarkt zu verbessern und die Zufriedenheit der MitarbeiterInnen“, sagt Hochreiter. Ersteres gelang schnell: „Plötzlich hatten wir 100 Bewerbungen am Tisch, wo wir vorher zehn hatten. Die besten Leute, um die sich jeder reißt, die kommen jetzt zu uns.“ Dennoch musste Hochreiter erst einmal rechnen. Schließlich hatte das Unternehmen, in dem vorher wöchentlich 38,5 Stunden gearbeitet wurde, durch die kürzere Arbeitszeit auf dem Papier 22 Prozent weniger Ressourcen zur Verfügung. „Das könnte man gleichsetzen mit einem Umsatzrückgang um 22 Prozent.“ Auf der anderen Seite blieben die Kosten dieselben.

Der Ansatz von eMagnetix: „Wir haben geschaut, wie wir mit Digitalisierung Arbeitsschritte vereinfachen können“, sagt Hochreiter. „Da sind wir auf 5 Prozent Umsatzrückgang im ersten Schritt der Umstellung gekommen“, sagt Hochreiter. Er macht keinen Hehl daraus: „Am Anfang kostet das mit Sicherheit mehr Geld. Das ist so, damit haben wir gerechnet. Aber langfristig werden wir produktiver.“ Und tatsächlich: Er und seine MitarbeiterInnen schaffen jetzt dasselbe in sechs Stunden, woran sie früher rund acht Stunden saßen. Heißt das, sie haben vorher schlicht nicht hart genug gearbeitet?

Niemand kann zehn Stunden lang fit sein

„Keineswegs“, antwortet Hochreiter. Die Frage hört er oft. Neue MitarbeiterInnen, die früher in All-in-Verträgen gearbeitet hatten, wunderten sich, dass sie plötzlich am Nachmittag mit dem fertig waren, woran sie vorher bis zum frühen Abend saßen, schildert er. „Die werden unsicher und fragen sich, was sie eigentlich vorher gemacht haben.“ Dabei waren die MitarbeiterInnen sicher nicht weniger engagiert, nur: „Wenn ich um 8 Uhr in die Arbeit komme und bis 18 Uhr bleiben muss, weil ich sonst schiefe Blicke ernte, dann gehe ich anders an die Arbeit ran“, sagt Hochreiter. „Die Präsenzkultur ist sehr stark: Ich muss da sein. Wenn ich das weiß, arbeite ich bestimmt nicht effizient.“

In der Anfangszeit sei das auch bei eMagnetix noch zu spüren gewesen, so Hochreiter. „Unsere Kernzeit hat schon vorher um 14 Uhr geendet. Aber wir haben gemerkt: Es geht keiner.“ Also machte er den Anfang: „Wir Geschäftsführer sind dann am frühen Nachmittag 14 Uhr rausgegangen, das hat dann jeder gesehen“, erzählt Hochreiter, der in seiner Freizeit Triathlons bestreitet.

Extra lange im Büro zu bleiben, bringe nichts: „Bei unserem Beruf kannst du nicht zehn Stunden lang fit sein.“ Er nicht und seine MitarbeiterInnen auch nicht. Carina Hammer ist seit mehr als vier Jahren bei eMagnetix. Die 28-Jährige leitet das Content-Marketing, schreibt Texte und Blogbeiträge für KundInnen des Unternehmens. Als Hochreiter ihr und den anderen Mitarbeiterinnen die Idee vorstellte, „waren wir erstmal sprachlos“, sagt sie. “Wie soll das gehen?“ hätten sie gefragt.

Hochreiter habe ihnen dann gezeigt, dass ein 8-Stunden-Arbeitstag auch aus viel Leerlauf besteht, dass Tools und Computer-Programme ihnen Routineaufgaben abnehmen könnten. „Es ist ja belegt, dass man nach 5 bis 6 Stunden Arbeit nicht mehr so produktiv ist“, sagt Hammer. Nach einem Testlauf und einem Schritt zunächst runter auf 34 Stunden Arbeitszeit, arbeitet sie seit Oktober 2018 nur noch 30 Stunden pro Woche.

Manchmal hatte ich ein komisches Gefühl, schon um 14 Uhr zu gehen. Was tue ich jetzt eigentlich?
Carina Hammer, 28, Mitarbeiterin

Daran musste Hammer sich erst einmal gewöhnen: „Manchmal hatte ich ein komisches Gefühl, schon um 14 Uhr nachhause zu gehen. Was tue ich jetzt eigentlich?“ erzählt Hammer. „Das überhaupt anzunehmen, war eine große Umstellung.“ Inzwischen könne sich niemand mehr vorstellen, wieder zum alten Arbeitszeitmodell zurückzukehren, „auch wenn es mehr Geld dafür gäbe“. Hammer, die wie ihr Chef begeisterte Sportlerin ist, bildet sich nebenbei zur Fitnesstrainerin weiter. Andere KollegInnen lernen Sprachen oder ein Instrument zu spielen. „Wir haben jetzt Zeit Sachen zu machen, die wir schon immer machen wollten, zu denen wir aber nie gekommen sind.“

In ihrem Umfeld hätten viele zunächst skeptisch reagiert. „Sie fragten: Das gibt’s doch nicht? Bleibt das so? Ich musste mich oft auch rechtfertigen dafür“, sagt Hammer. Ihr Lebensgefährte arbeitet als Schlosser im Schichtbetrieb. Es ist praktisch das gegensätzliche Arbeitszeitmodell zu ihrem. Aber weil sie jetzt schon am frühen Nachmittag Feierabend macht, „können wir uns besser ergänzen und mehr unternehmen. Für unsere Beziehung ist es toll.“

Was Carina Hammer schildert, ist auch Ergebnis von Interviews und Befragungen, die eMagnetix von einem unabhängigen Institut durchführen hat lassen. Demnach fühlen sich 83 Prozent der Belegschaft inzwischen gesünder als zuvor. Für fast zwei Drittel ist die Arbeitsbelastung geringer geworden, für ein Drittel ist sie unverändert geblieben. 100 Prozent der MitarbeiterInnen sagen, sie könnten Beruf und Privatleben besser oder deutlich besser miteinander vereinbaren. Das spricht sich herum: „Viele fragen mich, ob wir noch jemanden brauchen, ob sie bei uns einsteigen können“, sagt Carina Hammer. „Und viele fragen sich, ob das auch bei ihnen im Unternehmen möglich ist.“

Können wir nicht alle kürzer arbeiten?

Wenn es bei eMagnetix funktioniert: Kann es dann auch anderswo gehen? Können wir nicht alle nur 30 Stunden in der Woche arbeiten? „Ich behaupte nicht, dass das für alle übertragbar ist“, sagt Klaus Hochreiter, „und eins zu eins sicher nicht“. Ausschließen sollte man es aber in keiner Branche, nicht einmal am Bau. „Dort sagt man ja immer, es sei unmöglich“, so Hochreiter. Selbst dort könne man mithilfe digitaler Planung effizienter arbeiten, ohne die MitarbeiterInnen mehr zu beanspruchen, zeigen Studien. Aber: „Jetzt flächendeckend die Arbeitszeit zu verkürzen, davon halte ich nichts. Jedes Unternehmen muss selbst entscheiden, welchen Weg es geht.“

Wenn Firmen und MitarbeiterInnen produktiver werden, stünden sie letztlich vor der Frage, was sie damit machen wollen, so der eMagnetix-Geschäftsführer. „Macht man mehr Gewinne oder arbeitet man weniger?“ In Bad Leonfelden haben sie sich für den zweiten Weg entschieden, und damit auch die Gewinne gesteigert. Vor zwei Jahren stellte Hochreiter das Konzept seinen damals noch 13 MitarbeiterInnen vor. Inzwischen arbeiten fast doppelt so viele im Unternehmen. Im Jänner eröffnet eMagnetix einen zweiten Standort in Linz.

Nachdem die Umstellung auf kürzere Arbeitszeit geschafft war, stellte Hochreiter fest: „Normalerweise machst du so etwas für die MitarbeiterInnen. Aber auch unsere KundInnen kommen und loben unsere hohe Qualität und Produktivität.“ Weil die Belegschaft zufrieden ist, „haben wir eine Fluktuation von nahezu null“, bei längeren Geschäftsbeziehungen ein immenser Vorteil. „Die KundInnen kennen ihre Ansprechpersonen. Anderswo kommt vielleicht alle drei Monate jemand anderes, dem sie wieder alles von neuem erzählen müssen“, schildert Hochreiter. Von der kürzeren Arbeitszeit hätten seine MitarbeiterInnen einen Vorteil, seine KundInnen „und damit wir“.

 
 

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