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Ungleichheit
Arbeitswelt

Alleinerziehende mit Vollzeitjob: “Es ist zum Speiben.”

Alleinerziehende mit Vollzeitjob: “Es ist zum Speiben.”
Eigentlich läuft es gut im neuen Büro. Sonja* arbeitet seit kurzem im Marketing einer Softwarefirma. Sie hat einen Uniabschluss und viel Berufserfahrung. Trotzdem hat sie jeden Tag Angst, ihre Stelle zu verlieren. Das ist ihr schon einmal passiert. Denn: Kinderbetreuung und Vollzeitjob waren nicht vereinbar. Bei uns erzählt sie, was sie wirklich über ihren Alltag zwischen Schulden, Alleinerziehung und der 40-Stunden-Woche denkt.

Ich bin 33 und habe Wirtschaft studiert, meinen Master versuche ich gerade fertig zu machen. Seit eineinhalb Jahren bin ich Alleinerziehende. Die Trennung war schlimm. Ich habe zwei Söhne, sie sind vier und sieben Jahre alt. Bei meinem letzten Job bin ich nach nur vier Monaten gekündigt worden. 

Der Grund? Während der Ferienzeit letzten August habe ich versucht, einen Tag pro Woche Urlaub zu bekommen. Kindergarten und Hort waren geschlossen. Das war eine wahnsinnig anstrengende Zeit für mich. Aber auch für die Kinder. Sie hatten jeden Tag eine andere Betreuungsperson vor der Nase. Meinem Chef waren diese “Unzulänglichkeiten” zu viel. Ich musste gehen. 

Das Gefühl kenne ich bereits. In meiner Ex-Beziehung bin ich von selbst gegangen. Es war und ist für mich und die Kinder besser so. Dennoch musste ich mein Leben erstmal sortieren und ein neues soziales Netz aufbauen. Ich war ziemlich isoliert. Finanziell ging es dann schnell bergab. Die Trennung war teuer und ich habe mich dadurch stark verschuldet. 

Ich schlafe jetzt im Wohnzimmer

Nach der Kündigung letzten Sommer war ich fünf Monate erstmal arbeitslos. Unterstützung gab’s vom AMS. Mit dem Geld bin ich über die Runden gekommen, aber gereicht hat es hinten und vorne nicht. Vor allem bei der Miete wurde es knapp. Nach der Trennung bin ich in eine Wohnung in derselben Gemeinde gezogen, weil ich den Kindern die gewohnte Umgebung lassen wollte. Die neue Wohnung war aber eigentlich zu groß und zu teuer. Mit meiner damaligen Teilzeitanstellung konnte ich sie mir einfach nicht mehr leisten. 

Um Fixkosten zu sparen, sind wir schließlich nochmal umgezogen. Da hatte ich Unterstützung vom österreichischen Wohnschirm. Der hat einen Teil meiner Miete übernommen, dafür bin ich sehr dankbar. Die neue Wohnung hat nur mehr zwei Zimmer. Ich schlafe im Wohnzimmer, die Kinder teilen sich eins. 

Ende des Monats ist nichts mehr auf dem Konto 

Mein Expartner und Vater der Kinder zahlt kaum Unterhalt und wenn, dann sehr unregelmäßig. Diesen Monat ist es sich bei ihm wieder einmal “leider” nicht ausgegangen. Für mich geht sich’s oft gar nicht mehr aus. Wir leben sehr spartanisch, ich kaufe oft nur das Nötigste. Ich habe auch schon ein paar Mal Lebensmittelpakete geholt. Ich gehe nur mehr in den Discounter, mein Steuerausgleich Ende des Jahres hat uns Weihnachten gerettet. 

Die Kinder merken das schon. Für mich ist es sehr schwer, ihnen jedes Mal im Supermarkt zu erklären, dass wir uns den Schokoriegel nicht leisten können. Mittlerweile ist es eines meiner obersten Ziele, die Kinder die Armut nicht spüren zu lassen. Da verzichte ich lieber selbst auf Dinge.

Nebenbei bekomme ich zum Glück noch Beihilfen. Mein Alltag ist trotzdem verdammt knapp budgetiert. Seit Jänner arbeite ich jetzt wieder Vollzeit. Ich mache das Marketing für einen Softwarekonzern und verdiene ganz gut.

Ich hab’ ständig Angst wieder ohne Job dazustehen

Aber die Probleme hören nicht auf. Nach zwei Wochen im neuen Team ist der Kleine krank geworden. Er konnte nicht in den Kindergarten, ich musste die Woche bei ihm daheim bleiben. Am Wochenende darauf wurde der Große krank. Laut meinem Kollektivvertrag habe ich zwei Wochen Pflege-“Urlaub” im Jahr. Wenn es schlecht läuft, brauche ich die ja quasi schon in den ersten Wochen des Jahres auf.

Freund:innen und mein neuer Partner springen deswegen immer wieder mal ein. In der Vergangenheit hatte ich auch tolle Unterstützung von der Caritas Familienhilfe. Ich brauche diese freien Abende, weil ich dann länger arbeiten kann. Dadurch mache ich Überstunden, um die Kinder dann mal wieder früher holen zu können. Es ist ein ständiges Zeitmanagement. Gerade in den Wintermonaten ist es frustrierend, wenn die Kinder frühmorgens in die Betreuung kommen und ich sie erst im Dunkeln nach 17 Uhr wieder abholen kann. 

Ich brauche den Job, ich hau’ mich irrsinnig rein. Meine Vorgesetzte ist auch zufrieden mit mir. Aber ich habe trotzdem ständig Angst, plötzlich wieder gekündigt zu werden. Ich will nicht wieder in so eine Situation kommen wie letztes Jahr. Vor allem, wenn die Kinder krank sind, kann ich an nichts anderes denken. Mein Ex nimmt die Kinder zwei Tage die Woche über Nacht. Selbst dafür musste ich eineinhalb Jahren gerichtlich kämpfen. Und er nimmt sie nur, wenn sie nicht krank sind. 

Schuldenfrei in die Zukunft 

Am allermeisten wünsche ich mir Ruhe und finanzielle Sicherheit. Für mich und meine Kinder. Ich möchte mit ihnen im Sommer ein paar Tage Urlaub machen, vielleicht an einen See fahren und viel Eis essen. Ich fühle mich mittlerweile sehr angekommen in meiner Wohnung, wir drei müssen auch jetzt Ruhe haben, um die letzten zwei Jahre voller Stress verarbeiten zu können. 

Ich verdiene gerade ausreichend und auch so hoch, dass ich eine Perspektive habe, in den nächsten ein bis zwei Jahren meine gesamten Schulden zurückzahlen zu können. Aktuell bin ich bei der Schuldnerberatung und erstelle einen Tilgungsplan. Ich habe mittlerweile gelernt, um Hilfe zu bitten und diese anzunehmen. Das war ein wichtiger Lernprozess. Ganz allein geht’s nicht. 

Das System ist fehlerhaft, wenn es um Alleinerziehende geht

Aber was mich nach wie vor ärgert: Ich war sehr dahinter, schnell einen Job zu finden, ich arbeite gerne. Trotzdem hat es fünf Monate gedauert. Ein ordentliches Grundeinkommen wäre wahnsinnig wichtig, weil Arbeitslosigkeit kann offensichtlich jede:n jederzeit treffen. Ich hätte Sozialhilfe beantragen können, aber das Verfahren dauert lange und ich habe nicht erwartet, dass ich so lange keinen Job habe. 

Auch sollte es ein Alleinerziehenden-Programm geben. Das neben psychologischer und rechtlicher Hilfe auch finanzielle Überbrückungshilfe und Kinderbetreuung ermöglicht. Einfach, damit man sich wieder fangen kann. Es gibt tolle Vereine und Services, aber bis man die findet und sich dort vernetzt, dauert es. In Extremsituationen hat man eh schon so viel im Kopf. Man fühlt sich einfach alleingelassen und das frustriert. 

Alleinerziehung ist ein Drahtseilakt

Es ist täglich ein Drahtseilakt, der psychisch sehr belastet. Burnout kann man sich selbst kaum leisten, weil man als Mutter oftmals die Hauptverantwortung für die Kinder trägt. Man muss funktionieren, auch wenn man selbst nicht mehr kann. Wenn man kein familiäres Netz hat, oder keine Freund:innen, dann ist es kaum schaffbar. Care Arbeit müsste entlohnt oder zumindest gesehen werden. An die Teilzeitfalle im Sinne von Pension will ich noch gar nicht denken. 

Ich will keine Almosen, ich brauche auch keine Tipps, wo ich Unterstützung finde. Ich bin froh, dass ich jetzt wieder Vollzeit arbeite. Ich will nur mal einen realen Einblick geben, wie es gut ausgebildeten Alleinerziehenden in Österreich 2024 geht. Kurz gesagt: Es ist oft zum Speiben. Und es geht nicht nur mir so, es gibt sehr viele.

*Name von der Redaktion geändert

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