Deine Allergie wird schlimmer? Vielleicht ist botanischer Sexismus schuld
Von männlichen und weiblichen Bäumen
Irgendwann hat das angefangen, dass wir ihn kollektiv bekämpfen. Vielleicht in der ersten Welle der Frauenbewegung in den 1960ern. Seitdem bekämpfen wir ihn im Alltag, im Job, im Internet, auf der Straße und (bestenfalls) in allen Klassen. Wir bekämpfen ihn Dank #Metoo endlich auch in der Kulturbranche. Den Sexismus. Aber in der Pflanzenwelt?
Der Forscher Tom Ogren hat herausgefunden, dass botanischer Sexismus ein großes gesundheitliches Problem in Städten ist. Er sorgt zunehmend für Allergien und Asthma-Erkrankungen. Wer schuld ist an dem Baum-Sexismus? Wir selbst. Vorweg: Es ist nicht in allen Städten gleich schlimm.
Es gibt Baumgattungen, die brauchen männliche und weibliche Versionen, um sich fortzupflanzen. Zu diesen sogenannten zweihäusigen Bäumen zählen zum Beispiel Weiden, Pappeln, Espen, Eschen, Silberahorne, Pistazien, Maulbeeren und Pfefferbäume. Dann gibt es welche, die beides am selben Baum haben – also quasi Zwitter sind.
Um auf den Punkt zu kommen: Weibliche Bäume tragen Früchte, die im Herbst zu Boden fallen und so mehr “Müll” erzeugen. Deshalb haben städtische Landschaftsgärtner:innen ab den 1950er beschlossen, nur mehr männliche Bäume zu pflanzen. Seit den 1970er Jahren macht man das fast ausschließlich. Wir kommen der Bienchen-und-Blumen-Metapher schon sehr nahe, wenn man weiß: Männliche Bäume erzeugen dafür sehr viele Pollen.
Mehr Pollen sind gleich mehr Allergien
Die Pollen sind dafür verantwortlich, dass Menschen in der Stadt häufiger Allergien und Asthma entwickeln. Eine allergische Reaktion bekommt man von dem fast unsichtbaren Blütenstaub, wenn man sie in großen Mengen einatmet. Je mehr, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass das Immunsystem nicht mitmacht.
Darüber hinaus sind männliche Bäume schlechtere Luftfilter als weibliche, da sie Schadstoffe in Form von Pollen wieder abgeben.
Zusätzlich ist es nicht nur die bevorzugte Männerwahl der Bäume, die uns zusetzt. Bäume, die Nase rinnen lassen, entstehen auch durch die Züchtung: Um gewisse Zwitter-Bäume “Stadt-fit” zu machen, züchtete man sie zu männlichen Bäumen heran und klonte sie dann. Et voilà: Der scheinbar perfekte Baum – Nebenwirkung: Allergie. Ups.
International ein Aufschrei – aber wie ist es in Wien?
Die Sorge um den Anstieg bei Pollenallergien ist groß genug, dass sie eine der tragenden Themen in dem Forschungsbericht waren, der beim UN-Waldforum vergangenes Jahr in New York vorgestellt wurde. “Um Allergien vorzubeugen, sollten Stadtplaner:innen einerseits Arten auswählen, die weniger allergen sind – wie etwa Tulpenbäume und Magnolien – und andererseits auch verstärkt weibliche Bäume pflanzen”, sagte die Wissenschaftlerin und Co-Autorin der Studie, Dr. Matilda von den Bosch gegenüber der APA.
Was Allergien auf jeden Fall auch verstärkt – global – ist die Klimakrise. Durch die Luftverschmutzung und den höheren CO2-Gehalt gibt es mehr Pollen und ein höheres Allergiepotenzial. Hinzukommen eine längere „Pollensaison“, extreme Wetterschwankungen und zunehmende Treibhausgase, die unser Immunsystem zusätzlich fordern.
Fakt ist: Es gibt keine Daten dazu, wie weit verbreitet Baum-Sexismus in Europa ist. Ein genauer Blick auf die Lage in Wien zeigt aber auch: An den Bäumen liegt es wahrscheinlich nicht, dass immer mehr Menschen hier Allergien haben. Die Wiener Stadtgärten (MA 42) sagen auf Anfrage, dass in Wien ausschließlich Zwitterbäume gepflanzt werden – abgesehen vom Gingko-Baum.
Dass davon nur männliche Bäume gepflanzt werden, hat einen simplen Grund: Der weibliche Gingko-Baum trägt im Herbst Früchte, die einen “pentranten beißenden Geruch” verströmen.
Ein Zwitter, der sich aber wie ein Männchen oder Weibchen verhält, ist die Kastanie. Sie wird wegen der Miniermotte aber ohnehin nicht mehr in Wien gepflanzt. Die Motte schadet den Bäumen nämlich. Deswegen werden nun Linden statt Kastanienbäumen gepflanzt.
Auch wenn es gut ist, über jegliche Formen des Sexismus aufgeklärt zu sein: In Wien hat man das Problem nicht.