Realitätscheck Klima – Was im zweiten österreichischen Sachstandsbericht zum Klimawandel steht

Knapp fünf Jahre lang haben über 200 Wissenschaftler:innen an mehr als 50 Institutionen an diesem Bericht gearbeitet. Ergebnis: Die bislang umfassendste wissenschaftliche Grundlage zum Klimawandel in Österreich. Sie bietet nicht nur solide Informationen über gegenwärtige und zukünftige Klimaänderungen, sondern zeigt auch Folgen und Handlungsmöglichkeiten auf. Denn die veränderten klimatischen Rahmenbedingungen haben schon jetzt unmittelbare Auswirkungen auf alle Bereiche des Lebens. Will man die schlimmsten Schäden noch begrenzen, ist rasches Handeln gefragt.
Wir haben die neun wichtigsten Erkenntnisse des Berichts zusammengefasst.
1. Hotspot Österreich
“Seit 1900 hat sich Österreich bereits um rund 3,1 °C erwärmt –
deutlich stärker als der globale Schnitt”
In den immer heißer werdenden Sommern sucht man die Abkühlung im Meer hierzulande vergeblich. Deshalb erwärmt sich die Alpenrepublik deutlich stärker als der globale Durchschnitt. Seit 1900 ist die Temperatur um rund 3,1 Grad Celsius gestiegen. Das macht Österreich zu einer jener Regionen Europas, die besonders von der Erderhitzung betroffen ist. Setzt sich der globale Trend fort, droht die mittlere Lufttemperatur in Österreich bis zum Jahr 2100 sogar auf mehr als 4 Grad Celsius anzusteigen. Mit einem Blick auf die jüngst beschlossenen Kürzungen der Regierung im Bereich Klima und die weltweite politische Großwetterlage sind das keine guten Nachrichten für Österreich.
Zur Erinnerung: Das Pariser Klimaschutzabkommen – unterzeichnet von fast allen Staaten der Erde (Ausnahmen: Iran, Jemen, Libyen und USA) – hat zum Ziel, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2 Grad, im Idealfall unter 1,5 Grad Celsius gegenüber vorindustriellem Niveau (1850-1900) zu beschränken. Was global (noch) nicht passiert ist, ist hierzulande längst Realität – negative Auswirkungen inklusive.

2. Das neue Normal
“Die Häufigkeit und Intensität von Extremereignissen wie Hitze, Dürre oder Starkregen hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen und wird sich mit fortschreitendem Klimawandel weiter verstärken.”
“Früher war es auch schon heiß”, diesen Satz hört man häufig von Menschen, die wissenschaftliche Fakten zum Klimawandel nicht so ernst nehmen. Für alle, die heute in ihren 20ern sind, trifft es allerdings zu – sie kennen es nicht anders. Das bestätigt auch der AAR2. Im Vergleich zum Zeitraum 1961 bis 1990 haben sich Hitzewellen in den Landeshauptstädten mittlerweile verdoppelt und dauern im Schnitt bis zu vier Tage länger. Auch die Anzahl an Hitzetagen in sehr heißen Jahren hat sich in den letzten Jahrzehnten hierzulande verdreifacht. Hitzewellen und Tropennächte sind ein erhebliches Gesundheitsrisiko. Sie wirken sich negativ auf Lebensqualität und Arbeitsproduktivität aus – und erhöhen die Sterblichkeit.
Auch andere extreme Wetterereignisse wie Dürren und Starkregen legen in Österreich an Häufigkeit und Intensität zu. Die Folgen: spürbare Auswirkungen auf Umwelt, Infrastruktur, Gesundheit und die Stabilität ganzer Ökosysteme inklusive Biodiversität. Das betrifft sowohl den städtischen als auch den ländlichen Raum – mit unterschiedlichen regionalen Ausprägungen. Während besonders im Osten und Südosten des Landes schon jetzt die Wasserverfügbarkeit zurückgeht, setzt der Klimawandel alpine Regionen gleich mehrfach unter Druck. “Neben Hitze steigt das Risiko für Extremniederschläge, Hochwasser, Hangrutschungen, sowie Destabilisierung von Permafrost und Gletscherflächen.” Welche Auswirkungen das zur Folge haben kann, bewiesen vor kurzem eindrückliche Bilder aus der Schweiz, als ein ganzes Dorf unter einer bis zu 200 Meter dicken Schicht aus Schutt vergraben wurde.

3. Skifoahn wor des leiwondste
“Bis zur Mitte des Jahrhunderts wird je nach Emissionsverlauf die Dauer der Schneedecke selbst in höheren Lagen um weitere 60 bis 80 Tage abnehmen.”
Skifahren und Wintertourismus – das ist Teil der österreichischen DNA. Für Fans des Skisports könnte es aber bald heißen: “Denn Skifoan woar des leiwondste, wos ma sie nur vorstöhn ko”. Grund: Die Zahl der Tage mit natürlicher Schneedecke nimmt in mittleren Höhenlagen seit Jahrzehnten ab. Auch wenn Franz Hörl, Seilbahnchef und Tiroler ÖVP-Politiker, das mit eigenen Interpretationen der Faktenlage gerne abtut: Die sinkende Schneesicherheit, verursacht durch den Klimawandel, gefährdet den Skitourismus. Bis zur Mitte des Jahrhunderts könnte die Dauer der Schneedecke selbst in hohen Lagen um weitere 60 bis 80 Tage abnehmen – je nachdem, wie viele Emissionen weiterhin ausgestoßen werden. Eine Entwicklung, bei der Wintersportregionen vor tiefgreifend strukturellen Herausforderungen stehen, und wirtschaftlicher Verlust samt Arbeitsplatzabbau droht.
4. Aber wer soll das alles bezahlen?
“Bereits heute verursachen Extremereignisse in Österreich durchschnittliche Schäden von 2 Milliarden Euro pro Jahr. Diese könnten bis 2030 auf 2,5 bis 5,2 Milliarden Euro pro Jahr ansteigen.”
Oftmals werden Klimaschutzmaßnahmen mit dem Argument abgetan, dass sie zu teuer wären. Auch die aktuelle Regierung aus ÖVP, SPÖ und NEOS hat sich bei ihren Sparplänen kräftig am Budget für Klimamaßnahmen bedient. Bei den Summen, die Extremereignisse wie Ernteverluste durch Dürre oder Schäden durch Hochwasser verursachen, ist das kurzsichtig. Laut AAR2 erzeugen sie in Österreich schon heute Kosten in der Höhe von durchschnittlich zwei Milliarden Euro pro Jahr. Bis 2030 könnten sie auf bis zu 5,2 Milliarden Euro ansteigen.
Der bisher beobachtete Temperaturanstieg hat bereits jetzt “moderate klimabedingte Risiken zur Folge.” Zahlreiche gesellschaftliche und wirtschaftliche Sektoren geraten unter Druck. Steigt die Temperatur weiter an, bedeutet das, dass auch das Risiko weiter zunimmt und sich räumlich weiter ausbreitet – auch in höhere Lagen. Daher gilt: “Gerade in sensiblen Bereichen wie Landwirtschaft, Infrastruktur oder Gesundheit lassen sich durch proaktives Handeln hohe Folgekosten vermeiden.”
Investition in die Zukunft
“Zusätzliche jährliche Investitionen zwischen 6,4 Milliarden und 11,2 Milliarden Euro sind erforderlich, um bis zum Jahr 2040 Netto-Null-Emissionen […] zu erreichen”.
Klimaziele gibt es einige. Ob sie sich überhaupt noch erreichen lassen, wird zumindest beim 1,5 Grad Ziel des Pariser Abkommens mittlerweile angezweifelt. Auch für die Ziele, die sich die EU bis 2030 und Österreich bis 2040 gesetzt haben, braucht es “rasche und zielgerichtete Maßnahmen in vielen Sektoren”. Denn “Österreichs verbleibendes CO₂-Budget, das sich aus den Pariser Klimazielen ableitet, ist faktisch aufgebraucht […].” Nur ein “sofortiges und umfassendes Handeln” könne das Einhalten der Klimaziele noch möglich machen. Dafür braucht es aber Geld. Laut AAR2 Investitionen in der Höhe von 6,4 bis 11,2 Milliarden Euro pro Jahr. Eine Summe, die sich “in einer ähnlichen Größenordnung wie die klimaschädlichen Subventionen der letzten Jahre” bewegt, wie der Bericht hervorhebt. Gleichzeitig wird betont, dass vorsorgender Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen auf lange Sicht deutlich kostengünstiger sind, als die Bewältigung der verursachten Schäden.
Durch den Ausbau erneuerbarer Energien könnten die Kosten des Energiesystems langfristig gesenkt und die Abhängigkeit von Energieimporten bis 2040 halbiert werden. Für die Sektoren Verkehr, Gebäude und Industrie würden sich Investitionen deutlich positiv auf Beschäftigung, Einkommen und Wohlstand auswirken, hält der Bericht fest.
All diese Investitionen würden auch auf ein hehres Ziel einzahlen: bessere Luftqualität, eine Verbesserung der allgemeinen Gesundheit und somit eine erhöhte Lebensqualität in Österreich.
6. Wer ist eigentlich dafür zuständig?
“Vielschichtige Zuständigkeiten und Abstimmungsprozesse verlangsamen häufig die Umsetzung effektiver Maßnahmen zur Emissionsreduktion und Anpassung an den Klimawandel.”
Wenn es darum geht, künftige Schäden zu vermeiden, ist eine vorausschauende und frühzeitige Planung entscheidend. Doch wer wofür zuständig ist, kann in Österreich nicht immer klar benannt werden. Die vom AAR2 geforderte vorausschauende Planung lässt sich so schwer umsetzen. Grund dafür ist, dass die österreichische Klimapolitik in ein komplexes System eingebettet ist, das zahlreiche Akteure auf Bundes-, Landes und Gemeindeebene umfasst. Das ist nicht immer schlecht, vor allem wenn es um regionale Anpassung geht. Für eine koordinierte Umsetzung klimapolitischer Maßnahmen birgt es aber große Herausforderungen.
Gibt es komplexe Zuständigkeiten und Abstimmungsprozesse, verlangsamt das häufig die Umsetzung effektiver Maßnahmen zur Vermeidung von Emissionen und bei der Anpassung an den Klimawandel. Der AAR2 fordert daher eine “institutionell verankerte Koordination” über alle Ebenen hinweg, bei der Zuständigkeiten klar geregelt sind. Für “eine wirkungsvolle und zukunftsfähige Klimapolitik und die Erreichung der Klimaziele” sei das ein entscheidender Faktor.
7. Klimawandel ist sozial ungerecht
“Haushalte mit niedrigem Einkommen sind unverhältnismäßig stärker von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen, obwohl sie einen wesentlich geringeren Ressourcenverbrauch und Emissions-Fußabdruck haben als der Durchschnitt der Bevölkerung.”
Für den AAR2 steht fest: Soziale Gerechtigkeit muss ein wesentlicher Bestandteil jeder klimapolitischen Strategie sein. Denn “Nicht alle Bevölkerungsgruppen sind im selben Maß von den Folgen der Erderhitzung betroffen, und nicht alle verfügen über die gleichen Möglichkeiten, um auf veränderte Bedingungen zu reagieren.” – auch nicht in Österreich.
Vor allem ältere Menschen, Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen, im Freien arbeitende Berufsgruppen, sozial benachteiligte Haushalte und Frauen hebt der Bericht vor. Letztere sind durch strukturelle Ungleichheiten wie den Gender-Pay-Gap, geringere Erwerbsbeteiligung und ungleiche Verteilung von Sorgearbeit besonders vulnerabel.
Ungerecht ist vor allem der Umstand, dass gerade sozial benachteiligte Haushalte unverhältnismäßig stärker von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind. Und das, obwohl sie wesentlich weniger Ressourcen verbrauchen und ihr Emissions-Fußabdruck viel kleiner ist als bei der durchschnittlichen Bevölkerung. Zur Veranschaulichung: “In Österreich verursacht das einkommensstärkste Zehntel der Bevölkerung durchschnittlich mehr als das Vierfache der Emissionen des einkommensschwächsten Zehntels.”
Auch bei klimapolitischen Maßnahmen werden einkommensschwache Haushalte häufig überproportional belastet. Wenn die nötigen Ausgleichszahlungen fehlen, stößt das auf Ablehnung. Bekanntes Beispiel: die CO₂-Steuer. Seitdem der Klimabonus als Ausgleichszahlung den Sparplänen der Schwarz-Rot-Pinken Bundesregierung zum Opfer fiel, zahlen besonders Menschen mit wenig Geld (anteilig an ihrem Einkommen) drauf.
Damit Klimapolitik langfristig wirksam gestaltet werden kann und bei der Bevölkerung auf Verständnis trifft, ist es laut AAR2 wichtig, dass sie sozial gerecht ist, gezielt entlastet, Übergänge fair gestaltet und Transparenz schafft.
8. Technologie ja, aber …
“Die Transformationspfade zur Klimaneutralität basieren vor allem auf Elektrifizierung, Steigerung der Effizienz sowie Stärkung von
klimafreundlichen Lebensweisen.”
Meint die Politik es ernst mit den Netto-Null-Emissionen bis 2040, muss sie neben der Elektrifizierung von Industrie, Mobilität und der Wärmebereitstellung auch den Ausbau der Stromnetze und eine Verdreifachung der Stromerzeugung aus Windenergie und Photovoltaik vorantreiben. Die dafür benötigten, CO₂-neutralen Technologien sind längst einsatzbereit. Ein Ausbau der erneuerbaren Energien ist “technisch machbar und ökonomisch zunehmend attraktiv” hält der AAR2 dazu fest. Photovoltaik, Windkraft, Wärmepumpen und Fernwärme, sie alle sind Teil des Szenarios Netto-Null-Emissionen.
In Bereichen, in denen fossile Kraftstoffe noch nicht durch Elektrifizierung ersetzt werden können, hält der Bericht klimaneutrale Energieträger wie nachhaltige Biomasse, Biomethan, grünen Wasserstoff und E-Fuels für sinnvoll. Das betrifft vorwiegend einzelne Anwendungen in Industrie, Schwerlastverkehr und Luftfahrt.
Nicht vermeidbare Emissionen, vor allem aus der Landwirtschaft und Industrieprozessen, müssen durch “Bindung und Speicherung von Kohlendioxid ausgeglichen werden”. Möglich ist das zum Beispiel durch Aufforstung oder neue Technologien. Da Wälder aufgrund von vermehrtem Holzeinschlag, anhaltender Trockenheit, dem Borkenkäfer und Sturmschäden in den letzten Jahren aber deutlich weniger CO₂ aufgenommen haben, wird diese Aufgabe zunehmend herausfordernder. Wichtig ist daher, ihre Rolle als Kohlenstoffspeicher durch Aufforstung, vielfältige Waldstrukturen und eine standortgerechte Bewirtschaftung langfristig wieder zu sichern.
Neue Technologien wie zum Beispiel die direkte Abscheidung und Speicherung von CO₂ aus der Luft sieht der Bericht eher kritisch. Sie seien kostspielig und ihre Machbarkeit von vielen anderen Faktoren abhängig. Der gezielte Einsatz klimafreundlicher Technologien ist zwar unerlässlich, alleine lösen sie das Problem aber nicht. Dafür braucht es vor allem eine entschlossene Reduktion der Treibhausgasemissionen sowie den raschen Ausstieg aus fossilen Energieträgern.
9. Was bleibt
“Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen und zur Anpassung an den Klimawandel verstärken nicht nur die Resilienz, sondern können auch die Abhängigkeit von Energieimporten bis 2040 halbieren und die Lebensqualität in Österreich erhöhen.”
Die Lage ist dramatisch, so viel steht fest. Doch noch ist Zeit zum Handeln. Werden rasch zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen gesetzt, bei denen alle am selben Strang ziehen, ist das Erreichen der Klimaziele noch möglich. Dafür braucht es aber Investitionen in den Klimaschutz – und keine Kürzungen. Denn: Vorsorge ist billiger als Nachsorge.
Profitieren würden alle von den Klimaschutzinvestitionen. Maßnahmen zur Reduktion der Emissionen und zur Anpassung an den Klimawandel verstärken nämlich nicht nur die Widerstandsfähigkeit, sie sorgen auch für eine bessere Lebensqualität in Österreich – besonders für einkommensschwache Haushalte.