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Ungleichheit

Angst vor rechten Ideologien: “Habe ich als migrantische Person eine Zukunft in Österreich?”

Kemal fragt sich, ob sich die Geschichte zu wiederholen droht.
Kemal fragt sich, ob sich die Geschichte zu wiederholen droht. Foto: Kemal Kulaksiz
Kemal Kulaksiz lebt seit 30 Jahren in Wien. Er ist hier geboren und mag seine Stadt. Seit kurzem fühlt er sich aber nicht mehr wirklich sicher. Bei uns erzählt er, was er wirklich darüber denkt, wenn Rechte über die Vertreibung von Menschen sprechen.

Schon als Kind wusste ich, dass wir ein großes gesellschaftliches Problem haben: Ein Problem namens Rassismus. Natürlich verstand ich damals nichts davon, ich wusste nicht einmal, was das Wort bedeutete, geschweige denn, wie man es schreibt. Ich konnte es aber deutlich spüren. Es war wie ein schmieriges Gefühl auf der Haut. So wie nach einer langen Fahrt mit der U-Bahn im Hochsommer.

Ich bin in einer türkischen Arbeiterfamilie aufgewachsen. Mein Zuhause war der Wildganshof in Wien. Dort hatte ich viele schöne Momente. Aber auch nicht so schöne. Als Kind nimmt man vieles nicht wahr. Rassismus war aber stets präsent und beinahe täglich ein Thema. Ob wir wollten oder nicht, wir wurden ständig damit konfrontiert. Im Supermarkt, auf der Straße, in der Schule, am Arbeitsplatz, in der Politik, in den Medien, einfach überall. 

Warum stören sich Menschen an meiner Existenz?

Sobald Auseinandersetzungen stattfanden, wurde man auf die Herkunft reduziert oder beleidigt. Von den Erwachsenen, aber auch von den Jüngeren. Türk:innen als Feind? Wenn Kinder andere Kinder rassistisch beschimpfen, dann zeigt das, was für ein Gedankengut zu Hause vorherrscht. Direkt vor unserem Wohnzimmerfenster waren dauernd irgendwelche FPÖ-Plakate – oftmals mit anti-türkischen oder -muslimischen Sprüchen und Straches Gesicht. 

Als Kind konnte ich damit nicht viel anfangen. Ich verstand die Erwachsenengespräche um mich herum nicht wirklich. Trotzdem wurde mir eines sehr schnell bewusst: Wir waren nicht so wie die anderen. Da draußen gab es Menschen, die sich durch unsere Existenz gestört fühlten – massiv.

Wie man über Angst spricht

In den Sommerferien 2004 wurde dieses Gefühl der Andersartigkeit erstmals greifbar. Ich schaute den Film „Anne Frank – Die ganze Geschichte“ von Robert Dornhelm. Und damit sah ich auch, was mit Menschen, die „anders“ waren, geschehen konnte. Ich erinnere mich, wie ich nachts aus dem Schlaf hochgeschreckt bin, weil ich geträumt hatte, dass man uns holen kam. Wir wurden gezwungen, gelbe Sichelmonde auf der Brust zu tragen – wie Anne Frank den Judenstern. Eigentlich sollte die Kindheit doch unbeschwert sein. Bei mir hat sich diese Angst aber schon damals tief ins Herz gepflanzt. 

Mit meiner Familie habe ich kaum darüber gesprochen. Die meisten von uns sind Gastarbeiterkinder. Sie haben selbst aufgrund von Rassismus traumatische Erfahrungen gemacht. Es kam mir vor, als würde ich Öl ins Feuer gießen, wenn ich über meine Angst rede. Deshalb habe ich es nicht gemacht. Eher wollte ich meine Familie ermutigen, sich nicht davon bestimmen zu lassen. 

Jänner 2024, die Angst keimt

Vor kurzem wurde durch eine Recherche öffentlich bekannt, dass AfD-Politiker:innen, Neonazis und vermögende Unternehmer:innen ein gemeinsames Ziel haben: die Deportation von Millionen von Menschen mit Migrationshintergrund. Und wenn man sich die hetzerische Rhetorik der FPÖ-Politiker vor Augen führt, kann man davon ausgehen, dass auch sie sich nichts sehnlicher wünschen, als dass ihre eigenen Deportationsträume endlich in Erfüllung gehen.

Dass diese schlummernde Angst, die ich seit jeher in mir trage, jemals so berechtigt sein würde, hätte ich nie gedacht. Seitdem von diesem rechten Geheimtreffen berichtet wurde, sucht mich eine enorme Unruhe heim. Bin ich noch sicher in Wien? 

Ich habe eine Akte mit den wichtigsten Dokumenten zusammengestellt. Ich habe mir überlegt, ob ich mit meinen Ersparnissen nicht Gold kaufen und es in Kleidungsstücke einnähen sollte. Bei der Arbeit habe ich mit einer Kollegin sogar über Fluchtrouten gesprochen. Überspielt haben wir es mit Humor. Wir wussten einfach nicht, wie wir damit umgehen sollten.

Wiederholt sich die Geschichte? 

Ich bin Schriftsteller. Ich habe im Oktober meinen Master abgeschlossen und versuche mir nun eine Zukunft aufzubauen. Aber welche Zukunft? Habe ich überhaupt eine, also hier in Österreich? Ich muss mich fragen: Wie tief gehen die Wurzeln, dass die Geschichte sich zu wiederholen droht? Und das im Jahr 2024 und in unseren aufgeklärten Gesellschaften.

Ich wünsche mir, dass wir alle Rassismus ernst nehmen! Es ist frustrierend, wenn das Umfeld versucht, Rassismus zu rechtfertigen oder zu mildern. Auch wenn Personen noch nie davon betroffen waren und sich nichts darunter vorstellen können: Wir bilden uns die Diskriminierung nicht ein, die uns in der Vergangenheit widerfahren ist und noch widerfährt. 

Was mir sehr geholfen hat, waren die Menschenmassen, die in Deutschland, aber jetzt auch in Österreich auf die Straßen gegangen sind. Ich selbst war in Wien dabei. Zu sehen, wie viele Menschen die Stimme gegen Rechtsextreme erheben, war wirklich unglaublich und hat mich ermutigt, öffentlich über meine Erfahrungen zu sprechen. Ich möchte den Menschen zeigen, wie es vielen gerade geht – und was solche Ereignisse mit uns machen. 

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