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Arbeitswelt

Arbeitszeitverkürzung wird erkämpft, nicht geschenkt

Seit 4 Jahrzehnten wurde die Arbeitszeit in Österreich nicht mehr reduziert. Die Beschäftigten arbeiten heute sogar länger als früher, obwohl sie immer produktiver werden. Unter Schwarz-Blau wurde der 12-Stunden-Tag wieder eingeführt. Mit Jahresbeginn  wird nun die Arbeitszeit im privaten Gesundheits- und Sozialbereich von 38 auf 37 Stunden verkürzt. Ein erster Vorgeschmack auf eine kürzere Arbeitswoche für alle?
Sarah steht unter Dauerstress. Sie arbeitet Teilzeit in einem Verein, der Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen betreut. Vollzeit arbeiten nur wenige. „Man schafft das psychisch fast nicht, das ist so eine Belastung“, sagt sie. Auch körperlich sei der Job anstrengend. Häufig muss sie Nachtschichten übernehmen. Dann ist sie alleine für alle 15 Klient:Innen zuständig, die in der WG betreut werden.

Ihre Kolleg:innen wünschen sich eine Normalarbeitszeit von 35 Stunden bei vollem Lohn. Vollzeit arbeite nur, wer das Geld dringend braucht. Teilzeit wird weniger gut bezahlt. Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich könne dieses Problem lösen, meint Sarah. Damit wäre der Job attraktiver und es wäre leichter, neues Personal zu finden.

Arbeitszeitverkürzung im Gesundheits- und Sozialbereich

Seit November 2019 verhandelten die Sozialpartner einen neuen Kollektivvertrag für den privaten Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich. Monatelange wurde demonstriert, in mehr als 300 Betrieben sogar gestreikt. Auch in Sarahs Betrieb wurde die Arbeit niedergelegt, nur der Notbetrieb wurde aufrechterhalten. „Eigentlich hat man eh immer Notbetrieb“, scherzt sie mit Verweis auf den Personalmangel.

 
Eine Grafik, die die Schritte der Arbeitszeitverkürzung in Österreich darstellt.

Die Forderung nach einer 35-Stunden-Woche wurde nicht erfüllt. Der Arbeitskampf wurde mit Beginn der Pandemie beendet. Die Sozialpartner einigten sich wenig später auf eine Normalarbeitszeit von 37 Stunden, gültig ab 1.1.2022. Das ist nur eine Stunde weniger als bisher.

Für Sarah ändert sich jetzt wenig. Eine Stunde weniger für die Vollzeitbeschäftigten bedeutet in ihrem Betrieb nur, dass mehr Arbeit innerhalb kürzerer Zeit erledigt werden muss. Deshalb wird eine Kollegin, die Teilzeit angestellt ist, ihre Arbeitszeit erhöhen. Eine neue Anstellung wird es wegen der Arbeitszeitverkürzung nicht geben.

Trotzdem ist es die erste Arbeitszeitverkürzung seit über 45 Jahren. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass um jede Stunde gekämpft werden musste etwa mit Demonstrationen, Streiks oder Volksbegehren.

Wichtige Arbeitszeitverkürzung schon 1919

Bereits im 19. Jahrhundert wurde für kürzere Arbeitstage gekämpft. Damals mussten die Menschen noch bis zu 90 Stunden in der Woche arbeiten. Urlaub war gänzlich unbekannt und die Arbeitsbedingungen waren miserabel. Über 100.000 Menschen gingen am 1. Mai 1890 in Wien auf die Straße. Sie forderten die Einführung des achtstündigen Arbeitstages. Das Motto war: 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Freizeit, 8 Stunden Schlaf. Aber die bürgerlichen Parteien stellten sich quer.

Das Ziel wurde erst mit dem Rückenwind der österreichischen Revolution nach dem Ersten Weltkrieg erreicht. 1919 wurde der Acht-Stunden-Tag für Industrie und Gewerbe gesetzlich beschlossen. In der Landwirtschaft wurde weiterhin länger gearbeitet. Außerdem mussten die Beschäftigten von Montag bis Samstag arbeiten, insgesamt also 48 Stunden in der Woche. Für Frauen und Jugendliche galt die 44-Stunden-Woche.

Zehn Jahre später gaben die Weltwirtschaftskrise und die explodierenden Arbeitslosenzahlen Anlass für die Forderung nach einer weiteren Arbeitszeitverkürzung. Die 40-Stunden-Woche wurde erstmals bei einem Gewerkschaftskongress 1931 gefordert. Allerdings sollte die Umsetzung erst 1975 gelingen.

Eine einschneidende Zäsur: Unbeschränkte Arbeitszeit im Nationalsozialismus

Die austrofaschistische Regierung hebelte  die Arbeitszeitgesetze aus. Im Nationalsozialismus wurde die Normalarbeitszeit schließlich ganz aufgehoben: Die Arbeitszeit wurde vom Unternehmen diktiert. Unmut, sinkende Arbeitsmoral und geringere Leistung waren die Folge. Deshalb wurde die Höchstarbeitszeit 1944 auf 60 Stunden pro Woche beschränkt. Gearbeitet wurde durchschnittlich 12 Stunden am Tag. Die lange Arbeitszeit, Mangelernährung und fehlende Schutzmaßnahmen führten zu immer mehr Arbeitsunfällen.

 
Arbeitszeitverkürzung: Arbeiter stempeln aus

1959 wird die 45-Stunden-Woche eingeführt

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Arbeitszeitvorschriften der NS-Zeit nicht ersetzt. Die Höchstgerichte stritten, ob nun weiterhin 60 oder 48 Stunden gearbeitet werden mussten. Klarheit herrschte erst 1956. Damals hat das Bundesministerium für soziale Verwaltung eine Verordnung erlassen. Die Überschreitung der täglichen Arbeitszeit von acht Stunden war nur mehr mit Genehmigung des zuständigen Arbeitsinspektorats möglich. Sozialdemokratie und Gewerkschaften forderten die 40-Stunden-Woche und ein gutes Arbeitszeitgesetz. Im Parlament ließ sich keine Mehrheit finden, die ÖVP blockierte.

Daher wählten die Gewerkschaften in den 1950er Jahren eine andere Strategie. Wenn schon nicht im Gesetz, so sollte die Arbeitszeit doch in den Kollektivverträgen geregelt werden. Die Gewerkschaften bauten aber nur zaghaft Druck auf aus Sorge, den Wiederaufbau des Landes zu bremsen. In einigen Kollektivverträgen gelang es die Wochenarbeitszeit auf 45 Stunden zu senken.

 
Bild einer Demonstration: Historischer Kampf um Arbeitszeitverkürzung

1958 unterzeichneten die Sozialpartner dann einen Generalkollektivvertrag. Darin wurde die 45-Stunden-Woche für zahlreiche gewerbliche Betriebe beschlossen. Im darauffolgenden Jahr wurde die 45-Stunden-Woche auf alle österreichischen Branchen ausgedehnt. Der Kampf für die 40-Stunden-Woche ging weiter.

900.000 Stimmen für die 40-Stunden-Woche

Der Aufschwung nach dem Krieg brachte Wirtschaftswachstum, Lohnzuwächse, Vollbeschäftigung und technologischen Fortschritt. Diese Faktoren begünstigten den Kampf für die Arbeitszeitverkürzung.  Die SPÖ erhöhte den Druck und initiierte 1969 ein Volksbegehren für die 40-Stunden-Woche. Fast 900.000 Menschen unterzeichneten es. Das konnte die Arbeitgeberseite nicht mehr ignorieren.

Daraufhin einigten sich die Sozialpartner auf eine schrittweise Senkung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich. Bis 1975 wurde die Normalarbeitszeit auf 43, dann 42 und schließlich 40 Stunden pro Woche reduziert. Die Arbeitszeitverkürzung hatte einen weiteren positiven Effekt: Sie führte gemeinsam mit anderen Maßnahmen zu einer Eindämmung der Arbeitslosigkeit, die in den 1970er Jahren angestiegen war.

Arbeitszeitverkürzung: Nicht alle Ziele erreicht

Die 40-Stunden-Woche war ein Meilenstein in der Geschichte der Arbeitszeitverkürzung. Aber bereits in den 1980er Jahren wurden Stimmen nach einer weitergehenden Verkürzung der Arbeitszeit laut. Die Arbeit wurde anstrengender. Man musste in derselben Zeit mehr leisten. Außerdem stiegen die Arbeitslosenzahlen und der Einsatz neuer Technologien befeuerte die Angst vor noch größerer Arbeitslosigkeit. Deshalb brachte der damalige Sozialminister Alfred Dallinger 1983 die 35-Stunden-Woche aufs Tapet. 

Die Unternehmerseite forderte die „Flexibilisierung der Arbeitszeit“. Die Gewerkschaften waren damit beschäftigt, Verschlechterungen abzuwehren. Sie gerieten immer mehr in die Defensive. In einzelnen Branchen konnten aber noch Kollektivverträge abgeschlossen werden, die Arbeitszeiten unter 40 Stunden festsetzten. Die letzte Arbeitszeitverkürzung kam 1985, wenn auch nicht flächendeckend auf 38,5 Stunden.

Seither wurde die Arbeitszeit nicht mehr verkürzt. Im Gegenteil. Das Arbeitszeitgesetz wurde mehrmals den Bedürfnissen der Arbeitgeberseite angepasst. Einige „Flexibilisierungsmaßnahmen“ wurden 1997 eingeführt, etwa die Durchrechnungszeiträume. Innerhalb dieses Zeitraums darf die Arbeitszeit ausgedehnt werden. Dadurch ersparten sich die Unternehmen Überstundenzuschläge.

Arbeitszeitverkürzung in weite Ferne gerückt?

2018 beschloss die schwarz-blaue Bundesregierung unter Sebastian Kurz ein „Paket zur Arbeitszeitflexibilisierung“. Damit wurde die mögliche Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche angehoben. 100.000 Menschen gingen dagegen auf die Straße. Das war die größte Demonstration seit den Protesten gegen die schwarz-blaue Pensionsreform 2003. Aber das Gesetz konnte nicht verhindert werden.

 
Grafik die Porduktivitätsfortschritte in Österreich darstellt

Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich die tatsächlich geleistete Arbeitszeit verringert. Auch die Zahl der Überstunden ist so gering wie seit eineinhalb Jahrzehnten nicht mehr.  In der Krise haben viele bemerkt, dass weniger Arbeit guttut. Immer mehr Menschen wünschen sich eine kürzere Arbeitszeit. Eine Volkshilfe-Umfrage ergab: 58 Prozent halten eine Arbeitszeit von 35 Stunden für sinnvoll. Wer weniger arbeitet, ist glücklicher, gesünder und besser im Job, zeigen Studien. Mit der Arbeitszeitverkürzung auf 37 Stunden im privaten Gesundheits- und Sozialbereich kehrt das Thema nun wieder auf die Tagesordnung zurück. 

 
Demo für Arbeitszeitverkürzung
 

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