Auf der Suche nach dem verlorenen Faschismus
Von Donald Trump bis Henryk Broder fürchtet man sich vor der AntiFa. Dabei, so wird gesagt, gäbe es keinen Faschismus mehr, wer sich antifaschistisch betätigt, hat daher nur Böses im Sinn - und nicht die Verteidigung der Demokratie.
Ob Donald Trump, Henryk Broder in der Welt oder Karl-Peter Schwarz in der Presse – die Angst vor der AntiFa geht um. In langatmigen Ausholungen wird ein Bild einer raubenden und brandschatzenden Bande bemüht, deren einziges Ziel ist, das friedliebende und gottestreue Bürgertum in Angst und Schrecken zu versetzen. Verbunden wird das mit einer speziellen Geschichtsschreibung. Ich werde in losen Abständen Punkt für Punkt die Strategien der intellektuellen Anti-AntiFa erläutern. Heute:
Es gibt aktuell gar keinen „Faschismus“
Sowohl Schwarz als auch Broder argumentieren, dass der Faschismus ein historisches Phänomen ist. Er sei nicht nur historisch auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, sondern auch geografisch auf Italien begrenzbar. Diese These stimmt jedoch nicht mit dem aktuellen Stand der Faschismusforschung überein. Es gibt sehr wohl einen Diskurs über das Verhältnis von Faschismus zu Nationalsozialismus (Faschismus als Überbegriff, Nationalsozialismus als Faschismus in seiner extremsten Form, Nationalsozialismus und Faschismus als zwei unterschiedliche Phänomene). Je nach Faschismusdefinition ist Nationalsozialismus Teil der ideologischen Familie Faschismus oder nicht. Für viele der führenden TheoretikerInnen (Paxton, Griffin, Sternhell, usw.) zu dem Thema besteht ganz klar eine enge Beziehung (Ober- oder Unterbegriff, Ideologiefamilienbezeichnung), kaum jemand betrachtet Faschismus und Nationalsozialismus als zwei komplett unterschiedliche Phänomene, wie George Lukacs.
KommunistInnen gegen Nazis und FaschistInnen
Bevor ich hier weiter eine Einführungsvorlesung in Faschismustheorien niederschreibe, sei gesagt, dass all diese Überlegungen gut und wichtig für den akademischen Diskurs des ausgehenden 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts sind. Es ist aber intellektuell unredlich, sie auf die Sprache des politischen Aktionismus des Jahres 1932 in Deutschland anzuwenden, als die „Antifaschistische Aktion“ von der KPD gegründet wurde. Natürlich wurden „Faschismus“ und „Nationalsozialismus“ zu dieser Zeit synonym verwendet und es gab kein jahrelanges Herumtheoretisieren, ob das ganz oder nur halb zutreffend ist. Dieses ahistorische und kontextlose Herausfiltern von Spitzfindigkeiten ist eine „gotcha“-Strategie. Das sind Strategien, die verkürzt, verzerrend und sehr selektiv Fakten präsentieren mit dem einzigen Ziel, das Gegenüber zu diskreditieren.
Die Behauptung, Antifaschismus habe sich nur und exklusiv gegen den historischen, italienischen Faschismus zu richten, ist genau so eine Strategie. Wenn man dieser Logik folgt, dann kann es aktuell keinen Antifaschismus geben, da ja keine Schwarzhemden auf Rom marschieren. Historische Lehren werden hier im wörtlichen Sinne verstanden und nicht im übertragenen. Erst, wenn die Situation 1:1 derer des Italien der 20er und 30er Jahre gleicht, dürfe man von Faschismus und Antifaschismus sprechen. Das ist ein völlig abstruser Trugschluss, da Faschismus ja kein historisches Bühnenspiel, sondern ein Denkmodell, eine Ideologie ist, die sich in Gestalt natürlich den gegebenen Umständen anpasst. Das Bestehen auf einer exakten Replikation würgt jeden Diskurs (sei es akademisch oder politisch) über Faschismus, Nationalsozialismus und aktuelle Ausformungen ab.
Faschismus im Wandel
Das Fixieren auf Faschismus oder Nationalsozialismus am Höhepunkt der jeweiligen Macht verstellt das Bild einer jahrzehntelangen Entwicklung. Faschismus und Nationalsozialismus sind nicht erst mit großen Parteiaufmärschen und bei Kriegserklärungen vorhanden. Es müssen nicht erst Konzentrationslager gebaut werden, um vor einer nationalsozialistischen Bedrohung zu warnen. Sie stellen „Höhepunkte“ (inwieweit man hier von Höhepunkten sprechen mag) eines Prozesses dar, der viele kleine und große Schritte davor hatte. Sowohl Faschismus in Italien als auch Nationalsozialismus in Deutschland und Österreich waren lange innerhalb der Demokratie aktiv, ihre ideologischen Anknüpfungspunkte reichen wiederum bis weit in die Monarchie, etwa der rabiate moderne Vernichtungsantisemitismus.
Es ist zu simpel, Faschismus als abgeschlossenes historisches Stück zu sehen, das von 1922 bis 1945 auf der europäischen Bühne aufgeführt wurde. Das ist eine vereinfachte Betrachtung, die viel über ein Geschichtsbild aussagt, das nicht bereit ist, Geschichte prozesshaft wahrzunehmen. Faschismus und Nationalsozialismus sowie ihre Vorstufen sind nie verschwunden, sie haben sich nur an die bestehenden Verhältnisse angepasst. Genau darauf macht die AntiFa aufmerksam. Die AntiFa zu bekämpfen und den aktuellen Faschismus/Nationalsozialismus zu leugnen, ist in diesem Sinne auch eine Parteinahme.