EU-Autogipfel: Droht Aufweichung der Klimaziele durch die Autolobby?
Eine Woche voller Autos. Auf der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA) in München poltern prominente Politiker:innen gegen das “EU-Verbrenner-Aus” 2035. Zu viel Regulierung, zu wenig “Technologieoffenheit”. Das ist eine steile Vorlage für das, was noch kommt: der EU-Autogipfel am Freitag in Brüssel. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen trifft sich mit Vertreter:innen der Automobilindustrie, um über die Emissionsziele für den Verkehrssektor zu verhandeln. Kann sich die Autolobby durchsetzen? Kommt nun das von Konservativen herbeigesehnte Ende des Verbrenner-Aus?
Ab 2035 dürfen in der Europäischen Union keine Neuwagen mehr verkauft werden, die mit fossilem Benzin oder Diesel fahren. Bis dahin müssen die durchschnittlichen CO2-Emissionen von neu zugelassenen Fahrzeuge schrittweise sinken. In einem Brief klagten die zwei wichtigsten Vertreter der Branche, die Ziele für 2030 und 2035 könnten nicht mehr erreicht werden. Bereits im Frühjahr hatte die EU-Kommission Autoherstellern zusätzliche Zeit eingeräumt, um die CO2-Vorgaben für 2025 zu erreichen.
Den Einfluss auf die jeweilige Politik des Landes und auch in der EU lassen sich Autokonzerne und Verbände einiges kosten: Im vergangenen Jahr gab allein der europäische Automobilverband ACEA 5,5 Millionen Euro für Lobbyarbeit in Brüssel aus. BMW investierte in den letzten drei Jahren über 6 Millionen Euro in EU-Lobbying, ähnlich wie VW und Daimler. Neben Vertreter:innen der Autolobby werben auch vor allem eng vernetzte konservative Parteien seit Langem für die Abkehr vom Verbrenner-Aus. Auch hierzulande verteidigen ÖVP und FPÖ immer wieder den Verbrenner im “Kampf gegen die Überregulierung”.
MOMENT.at: Die Autolobby will reden. Welche Klimaziele setzt die EU dem Verkehrssektor überhaupt und wie betrifft das die Autoindustrie?
Nina Katzemich: Also, es geht um die Emissionsziele für Pkws und die Frage, wie viel ein Auto in den nächsten Jahren ausstoßen darf. Die EU macht Vorgaben für die Emissionswerte, die Autoindustrie muss folgen. Schaffen die Hersteller es nicht, die Grenzwerte einzuhalten, drohen Strafzahlungen. Das ist das Prinzip.
Dabei hat vor allem Deutschland schon immer dafür gesorgt, dass diese Ziele möglichst spät kommen und möglichst stark verwässert werden. Da gab es schon so einige Skandal-Stories, bei denen Deutschland beispielsweise im letzten Moment gesagt hat: Nein, der Kompromiss geht doch nicht für uns. Obwohl schon fast alles entschieden war. So zieht sich das bestimmt schon seit 15 Jahren durch die EU-Geschichte.
MOMENT.at: Schon im Frühjahr fand ein “Autodialog” zwischen EU-Kommission und Vertreter:innen der Autoindustrie statt. Was genau wurde besprochen?
Katzemich: Da hat sich die Autoindustrie schon mal ein Stück weit durchgesetzt: Die Ziele für 2025 wurden nochmal verschoben. Die Autoindustrie hat sich beim letzten EU-Dialog also vor allem Zeit gekauft. Und natürlich macht es Mut, noch mehr einzufordern, wenn man merkt, man kommt bei der EU-Kommission durch.
MOMENT.at:Wie ist das gelungen?
Katzemich: Die Autolobby hat Druck aufgebaut: die kriselnde Wirtschaft, die Zölle aus den USA und die Konkurrenz aus China. In dieser schwierigen Lage dürfdie EU die Autoindustrie nicht auch noch mit Strafzahlungen belasten. Die EU-Kommission hat sich auf diese Argumentation eingelassen und gesagt: Okay, strecken wir die Ziele nochmal um drei Jahre. Ihr bekommt mehr Zeit.
Daraus folgt aber, dass die Autoindustrie nicht gezwungen ist, mehr elektrische Fahrzeuge zu produzieren und zu verkaufen. Das ist nicht nur aus klimapolitischer Sicht schwierig. Auch für die Verbraucher:innen ist das eine schlechte Nachricht: Das heißt nämlich, es gibt weniger günstige elektrische Fahrzeuge, die sich weniger Menschen leisten können.
MOMENT.at: Wer gehört eigentlich zur Autolobby? Welche sind die einflussreichsten Stimmen?
Katzemich: Deutschland hat als großes Autoland natürlich enormes Gewicht in der EU. Es gibt nur noch zwei weitere einflussreiche: Stellantis (Niederlande) und die Renault-Nissan-Allianz (Frankreich). Vor allem aber sind es die deutschen Autokonzerne: BMW, Daimler und Volkswagen. Und dann gibt es noch einige große Verbände, die auch wichtig sind. Das ist einmal der ACEA, deren Vorsitzender – Zufall ist es nicht – von BMW kommt. Und der deutsche Automobilverband VDA, der sehr einflussreich ist. Auf dessen Chefposten sitzt immer irgendein Ex-Politiker, in dem Fall die ehemalige Staatsministerin von Angela Merkel: Hildegard Müller.
MOMENT.at: Welche Ziele verfolgt die Autolobby und wie agiert sie?
Katzemich: Die großen Autokonzerne würden die Klimaziele eigentlich schon erreichen. Aber es ist natürlich rentabler für die Unternehmen, wenn sie noch so lange wie möglich ihre fossilen Verbrenner verkaufen können. Im Moment geht es ihnen vor allem um Hybridfahrzeuge. Also Verbrenner mit einem kleinen Elektromotor. Aber hauptsächlich fährt man eigentlich fossil. Diese Modelle würde die deutsche Autoindustrie gerne noch einige Zeit weiterverkaufen.
Und hier kommen weitere Lobbys ins Spiel, die ich noch nennen möchte: vor allem die Mineralölindustrie. Die will uns glauben machen, dass fossile Brennstoffe und E-Fuels in einigen Jahren so weit sind, dass man damit klimaneutral fahren kann. Davon sind wir aber weit entfernt. Das wissen auch die Automobilhersteller und lassen sich nur so weit auf dieses Ziel ein, wie es ihnen dienlich ist, um weiter Hybridfahrzeuge verkaufen zu können.
Der letzte Akteur, den man nicht vergessen darf, sind die Zulieferer. Das sind viele mittelständische Betriebe. Für sie ist eine Transformation viel aufwendiger als für die großen Autokonzerne. Trotzdem haben inzwischen auch von den Zulieferern viele verstanden, dass sie da durch müssen.
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MOMENT.at: Warum hält die Autoindustrie eigentlich so vehement am Verbrenner fest?
Katzemich: Bis jetzt rentiert es sich einfach für die Autoindustrie. Die Unternehmen machen kurzfristig deutlich bessere Zahlen, wenn sie anstatt Strafen zu zahlen noch einige Jahre Plug-in Hybride und normale Verbrenner verkaufen können und erst dann auf E-Mobilität umschwenken, wenn es nicht mehr vermeidbar ist. Aus Sicht von Expert:innen wäre es natürlich vernünftig, schon jetzt mit der Transformation zu beginnen. Aber für die Autoindustrie drückt sich ein langer Verbleib beim Verbrenner ganz konkret in Gewinnen aus.
Deshalb auch das Mantra der Technologieoffenheit. Die Autoindustrie glaubt zwar selbst nicht mehr daran, dass man alles auch mit E-Fuels, Biokraftstoffen und Wasserstoff schaffen kann. Sie nutzt das Argument aber und macht Druck.
MOMENT.at: Konservative Parteien machen sich seit Langem stark für die Aufweichung von Klimazielen im Verkehrssektor. Auch sie plädieren für den Verbrenner. Wie beeinflusst die Autolobby Politik und öffentliche Meinung?
Katzemich: In Deutschland hat es schon immer den Drehtüreffekt zwischen Automobilindustrie und Politik gegeben. Insbesondere bei der CDU/CSU ist die Drehtüre immer sehr schnell geschwungen. Hildegard Müller, die VDA-Präsidentin, ist da nur ein Beispiel. Ihr Vorgänger, Matthias Wissmann, war Verkehrsminister, bevor er zur Lobby wechselte. Eigentlich kann man sagen, alle führenden Autolobbyist:innen waren vorher in der Politik, die allermeisten bei der CDU/CSU. Diese Verbindungen spielen natürlich eine Rolle dabei, was CSU und CDU fordern.
Auch Bundesländer mit großen Automobilkonzernen sind der Automobilindustrie sehr freundlich gesonnen. Zum Beispiel Baden-Württemberg. Da sitzt zwar ein Grüner Ministerpräsident, aber auch der agiert ganz im Sinne der Automobilindustrie und versucht zu bremsen, wo es geht. Denn auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann weiß, dass der Verlust von Jobs droht.
Wobei eher Jobs verloren gehen, wenn man die Kurve nicht kriegt. Wenn also die Automobilindustrie die Transformation verschläft. Zusätzlich zum Drehtüreffekt herrscht bei den Konservativen immer noch großes Misstrauen gegen die Energiewende. Das hat nur in Teilen mit Lobbying zu tun. Man ist noch immer nicht überzeugt von der Energiewende und glaubt, dass man der Industrie einen Gefallen tut, indem man sie so lange wie möglich aufhält.
Da ist vor allem Manfred Weber zu nennen, der EVP-Vorsitzende, der diese Überzeugung vertritt. Und ich denke, auch der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz sieht das so. Die beiden machen Druck auf Ursula von der Leyen, die es durchaus mal anders gesehen hat. In dieser Wahlperiode hat sie sich allerdings dem Druck ihrer CDU/CSU-Kollegen gebeugt und verfolgt jetzt eine ganz andere Politik als noch in ihrer ersten Amtszeit. Sie ist drauf und dran, ihre eigenen ehrgeizigen Ziele wieder ein Stück weit zurückzunehmen.
Also ja, zum einen spielen Lobby-Verbindungen eine Rolle. Zum anderen ist es aber auch die unselige Position der deutschen CDU/CSU, und ich glaube auch der österreichischen ÖVP, die Klimaschutz und Energiewende einfach immer noch für Gedöns halten.
MOMENT.at: Die Autolobby behauptet, die Branche könne die Zielvorgaben der Europäischen Kommission für 2030 und 2035 nicht mehr erreichen. Ist das politisches Kalkül?
Katzemich: Es ist nicht unrealistisch, die Zielvorgaben für 2030 und 2035 zu erreichen. Das galt auch schon für die Grenzwerte für 2025, die dann aufgeweicht wurden. Aber es ist natürlich eine Frage des wirtschaftlichen und auch des politischen Willens. Ich finde es zum Beispiel völlig in Ordnung, wenn die EU auch mit anpacken muss, um die Ziele zu erreichen. Zum Beispiel, mit dem Vorschlag, Unternehmen günstiger zu besteuern, wenn sie sich statt Verbrenner E-Autos als Dienstwagen anschaffen.
Natürlich sehe ich auch, dass die Autoindustrie kämpft. Vielleicht müsste sie weniger hart kämpfen, hätte die Politik schon früher Hebel in Bewegung gesetzt. Ich glaube aber, mit einem gemeinsamen Kraftakt von Politik und Wirtschaft sind die Ziele zu erreichen.
MOMENT.at: Welche Ergebnisse erwarten Sie vom Autogipfel am Freitag? Naht das Ende des Verbrenner-Aus?
Katzemich: Es wird darum gehen, die EU-Ziele weiter aufzuweichen, wo es nur geht. Vielleicht werden die Ziele nicht vollständig gekippt. Aber das Interesse der Autolobby ist es weiter, so lange wie möglich Autos verkaufen zu können, die nicht CO2-neutral sind.
Unter den momentanen politischen Voraussetzungen fürchte ich, dass sie mit ihren Forderungen Erfolg haben wird. Bis auf die spanische Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission, Teresa Ribera, wird es aus der EU-Kommission kaum Stimmen geben, die sich klar für die derzeitigen Ziele aussprechen. Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass es zu einer Aufweichung kommt. Wie die genau aussieht, wird sich noch zeigen.
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