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Kapitalismus
Ungleichheit

Beschwerdeflut über Energiegutschein: Bisher kein einziger Euro vom Zuschuss angekommen

Frau schaut fassungslos auf Computerbildschirm
Der Energiekostenausgleich kommt für viele zu spät. Vielen, die ihn bräuchten, bekommen den 150-Euro-Gutschein gar nicht. Foto: Andrea Piacquadio/Pexels
Der Energiekostenausgleich von 150 Euro soll helfen, die Rechnungen für Strom und Gas noch bezahlen zu können. Die Liste der Pannen ist lang: In Häusern mit 40 Wohnungen kommt ein Energiegutschein an. Viele bekommen nichts, weil sie keinen eigenen Stromzähler haben. Und: Bisher ist noch kein einziger Euro ausbezahlt.

Österreichs Haushalte stöhnen unter den explodierenden Energiekosten. Wer jetzt seine Jahresabrechnung erhält, muss mit teils horrend erhöhten Preisen für Strom und Gas rechnen. Das ist im besten Fall ärgerlich und im schlechtesten Fall existenzbedrohend. Wer wenig verdient, den trifft es besonders hart. Lindern sollte das der Energiekostenausgleich: Ein Gutschein über 150 Euro, der von der Jahresabrechnung abgezogen werden soll.

Groß kündigte die Regierung die Maßnahme im Jänner an. Stolz vermeldet das Finanzministerium, die Gutscheine seien an alle 4,1 Millionen Haushalte in Österreich verschickt worden. Bereits eine Million Gutscheine seien zurückgeschickt worden. Und Ende Mai waren bereits 602.104 Gutscheine eingelöst. „Seither ist die Zahl wieder deutlich gestiegen“, sagt Ministeriumssprecher Stefan Trittner zu MOMENT.

Noch kein Euro vom Energiekostenausgleich angekommen

Wobei „eingelöst“ eine irreführende Wortwahl ist. Denn tatsächlich ist bisher noch kein Euro des Energiekostenausgleichs geflossen, wie MOMENT auf Nachfrage bei Energieunternehmen erfuhr. Der Gutschein von 150 Euro geht nämlich nicht direkt an diejenigen, die Anspruch darauf haben. Das sind Ein-Personen-Haushalte mit höchstens 55.000 Euro brutto Jahreseinkommen. Haben mehrere erwachsene Personen dort ihren Hauptwohnsitz, liegt die Grenze bei 110.000 Euro. Den Bonus selbst bekommen die Versorger wie Verbund AG, Wien Energie, Salzburg AG oder Energie Burgenland ausgezahlt. Und die sollen die 150 Euro dann ihren Kund:innen von der nächsten Jahresabrechnung abziehen.

Für ganz viele wird das sehr spät sein. Diejenigen, die bereits in den ersten fünf Monaten dieses Jahres ihre teils massiv erhöhte Jahresrechnung erhalten haben, schauen bis ins Jahr 2023 durch die Finger. Wem jetzt im Juni die Rechnung ins Haus flattert, bekommt den Bonus bis jetzt auch noch nicht. Sprich: Rund die Hälfte der Haushalte erhält in diesem Jahr keinen Energiekostenausgleich. „Ziel war, dass die Entlastung möglichst rasch bei den Menschen ankommt“, sagt Finanzministeriumssprecher Trittner. Dieses Ziel wurde wohl verfehlt. Es ist eingetreten, wovor im Frühjahr gewarnt wurde. Der Zuschuss kommt zu spät.

Konsument:innen beschweren sich über Gutschein

Doch nicht nur hier hakt es. Ein Rundruf bei den Beratungsstellen für Konsument:innenschutz der Arbeiterkammern in den Bundesländern zeigt: Immer mehr Beschwerden über den Energiekostenausgleich landen bei ihnen am Tisch. Paul Rusching aus Vorarlberg spricht von „unzumutbar vielen Anfragen“, die derzeit hereinkommen. Am Dienstagvormittag dieser Woche beriet Doris Augustin-Schneider in ihrem Büro im niederösterreichischen Mistelbach neun Personen. Vier davon kamen, weil sie Probleme mit dem Energiegutschein haben.

„Das Grundproblem sind die Zählerpunkte“, sagt Augustin-Schneider zu MOMENT. „Viele haben gar keinen eigenen Zählerpunkt, sondern allenfalls einen Subzähler“, erklärt sie. Beim Energiekostenausgleich gilt aber: Den 150-Euro-Bonus gibt es nur pro Zählerpunkt, egal wie viele Haushalte dahinter noch angeschlossen sind. „Das betrifft oft Menschen, die eh schon in prekären Mietverhältnissen wohnen“, sagt sie. Also Menschen, die Unterstützung meist gut gebrauchen können.

„Eine wahre Missgeburt von einem Zuschuss“, nennt es Patricia Saurer, die in Kärnten Konsument:innen berät. Rund 200 Kärntner:innen hätten sich bereits hilfesuchend an die AK gewandt. „Die tatsächliche Zahl von Betroffenen ist aber um ein Vielfaches höher”, sagt sie. „Es melden sich ja nicht alle Betroffenen bei der Arbeiterkammer.” Die Liste der Probleme ist lang. In Mehrgenerationenhäusern, wo die Oma im Parterre wohnt, die jüngere Generation im 1. Stock und der Sohn in der Einliegerwohnung, hat trotzdem nur einer der drei Haushalte Anspruch. Grund: Es gibt nur einen Zähler für Strom und Gas. „Das ist aber der Klassiker am Land“, sagt Saurer.

Wer Sonnenstrom einspeist, schaut durch die Finger

Wenn der Vater für den an der Uni Klagenfurt studierenden Sohn den Stromvertrag abschließt, weil der noch kein Einkommen hat, gibt es auch keinen Kostenausgleich. Denn es gilt: Jede Person darf nur für einen Energieliefervertrag den Gutschein beanspruchen. Ein weiteres Beispiel: Stromlieferverträge laufen über den Vermieter, die Mieter zahlen jeweils eine Pauschale oder haben einen Subzähler. Dann erhält der Vermieter auch nur einmal den Energiekostenausgleich von 150 Euro, obwohl teils bis zu einem Dutzend Miethaushalte am Anschluss für Strom und Gas hängen.

Und wer eine Photovoltaik-Anlage auf dem Dach installiert hat, baut meist auf nur noch einen Stromzähler zurück. Damit wird es in Mehrparteienhäusern leichter, den rückeingespeisten Strom abzurechnen. Für den Energiekostenausgleich wird das zum Problem. Denn ein Zähler heißt nunmal: nur einmal Anspruch. Konsumentenschützer:innen aus dem Burgenland berichteten in dieser Woche über ähnliche Fälle.

Aber auch die noch simpleren Dinge bereiten Probleme: Ein Viertel der Beschwerden, die Patricia Saurer hereinbekommt, drehen sich darum, dass der Gutschein gar nicht oder falsch zugestellt wurde. So sei etwa in einem Haus nur ein einziges Schreiben eingelangt, obwohl dort 40 Wohnungen sind. Verbraucher:innen erhalten Gutscheine, die auf die Nachbarin ausgestellt sind. Die Schreiben sind zerknittert und schwer leserlich, der QR-Code für die Online-Anmeldung funktioniert nicht.

Wer einen neuen Gutschein will, muss bis Juli warten

Bis Ende Mai seien alle Gutscheine an die Haushalte verschickt worden, sagt Stefan Trittner vom Finanzministerium. Bei Doris Augustin-Schneider in Niederösterreich melden sich allerdings viele, bei denen der Gutschein noch immer nicht ankam. Wer keinen oder einen fehlerhaften Gutschein erhalten hat, kann derzeit aber nichts machen. Betroffenen sei gesagt worden, ab Mai könnten sie Online oder per Hotline einen neuen Gutschein beantragen, berichtet Doris Augustin-Schneider aus Niederösterreich.

Aber: Das funktioniert noch immer nicht. Laut Website des Ministeriums wird es erst ab Juli möglich, sich einen neuen Gutschein zuschicken zu lassen – dann hoffentlich fehlerfrei. Bis dahin tickt für viele die Uhr. Die erhöhte Jahresabrechnung kommt, und zwar ohne den versprochenen Kostenausgleich.

Den Energieunternehmen beteuern, ihnen seien die Hände gebunden. Der Datenabgleich mit dem Bundesrechenzentrum funktioniere noch immer nicht. Denn um den 150-Euro-Gutschein gutzuschreiben, müssen die Firmen wissen, welche ihrer Kund:innen den Bonus beantragt haben und anspruchsberechtigt sind. Ende Mai hätte das eigentlich auf Schiene gebracht sein sollen. Doch erst in dieser Woche liefen erfolgreiche Tests mit rund 30 Datensätzen. „Das hat funktioniert. Aber wie es dann ist, wenn 10.000 Daten hereinkommen, weiß keiner“, sagt ein Branchenvertreter zu MOMENT. Er ist merklich nicht zufrieden damit, wie holprig die Maßnahme technisch umgesetzt wird. Ende dieser Woche sollen die ersten „echten“ Daten kommen.

Kritik: Energiekostenausgleich denkbar schlecht umgesetzt

Frühestens dann könnten die Versorgungsunternehmen das Geld auf neu ausgestellten Jahresrechnungen gutschreiben. „Wie das umgesetzt wurde, ist eine denkbar schlechte Variante“, sagt Paul Rusching von der Arbeiterkammer Vorarlberg. Den Energiekostenausgleich quasi über die Bande durch die Versorgungsunternehmen den Kund:innen gutzuschreiben, hätte aus seiner Sicht nicht sein müssen. Denn: „Die Daten sind ja vorhanden. Es gibt das Melderegister, es gibt das Finanzamt“, sagt er. „Klar ist das ein Aufwand, aber es muss möglich sein, das über den Bund datenschutzkonform abzuwickeln.“

Von „spürbaren Entlastungsmaßnahmen, die bereits wirken“, sprach Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) jüngst. Für den Energiekostenausgleich gilt: Er ist weder spürbar, noch wirkt er bisher. Wenn er denn irgendwann kommt, wird er für viele allenfalls ein Pflaster auf das angeschlagene Haushaltsbudget sein. So erhöhte der Verbund seine Preise für Gaskund:innen jüngst um 148 Prozent. Für einen Durchschnittshaushalt bedeutet das fast 900 Euro mehr im Jahr zahlen zu müssen. Wien Energie will die Preise für Fernwärme demnächst um 92 Prozent erhöhen. Mit 150 Euro Bonus lässt sich das schwer ausgleichen.

Dazu kommt: „Das Problem bei solchen Sozialleistungen ist auch, dass manche das gar nicht erst beantragen, obwohl es ihnen zusteht“, sagt der Vertreter eines Energieversorgers. „Sei es aus Unkenntnis oder weil die Person einen Genierer hat, um so etwas anzufragen.“

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