Wenn man sich nach einem Terroranschlag nicht mehr auf die Fakten einigen will

Zwei Terroristen erschießen 15 Menschen, weil sie Juden und Jüdinnen sind. Unter den Opfern ist ein Kind, ein Holocaustüberlebender und ein Paar, das heldenhaft versucht hat, einem der Attentäter die Waffe zu entreißen.
So eine Breaking News-Situation ist immer auch ein Einfallstor für gezielte Desinformation. Das wurde bei diesem Anschlag wieder überdeutlich.
Es gibt einen weiteren Helden dieses Anschlags: den 43-jährigen Ahmed al Ahmed, einen Obstverkäufer vom Bondi Beach. Eine Kamera hat seinen unfassbaren Mut festgehalten, als er sich auf den jüngeren der Terroristen stürzte und mit ihm rangelte bis er ihm die Waffe entreißen konnte. Er überlegt kurz, ob er den Attentäter erschießen soll und entscheidet sich dagegen. Jeder Schritt ist für sich eine Heldentat (zumal er damit rechnen musste, selbst von der herbei eilenden Polizei für den Terroristen gehalten zu werden).
Ein muslimischer Obstverkäufer, der sich Islamisten in den Weg stellt, passt aber nicht ins Bild der Online-Faschisten. Also wurde auf ihren Plattformen aus Ahmed al Ahmed ein angeblicher Edward Crabtree. Aus dem ehemaligen syrischen Polizisten, der seit wenigen Jahren die australische Staatsbürgerschaft besitzt, wurde ein Australier ohne Migrationshintergrund.
Auch die Religion des Helden von Sydney wurde schnell umerzählt. Aus dem Muslim wurde ein mennonitischer Christ. Entsprechende Beiträge wurden vor allem auf Twitter tausendfach geteilt.
Doch auch die anderen Beteiligten wurden Teil von Desinformations-Kampagnen. Die beiden Terroristen wurden zu Mossad-Agenten und Israelis erklärt. Auch den Opfern wurden Verbindungen zu Israel angedichtet. Das Prinzip ist dasselbe: Was nicht sein darf, darf nicht sein und alles, was schlecht für die “eigene Seite” ist, wird schlicht geleugnet.
Wahrheit wird beliebig
Das Perfide ist, dass es bei einem Terroranschlag überhaupt noch “meine” und “die andere” Seite gibt. Selbst ein Terroranschlag wird wie ein Fußballspiel behandelt, wo man mit geschickten PR-Moves dem Gegner schaden will. In den entsprechenden Bubbles hilft keinerlei Aufklärung und die ausgedachten Wahrheiten haben Bestand. Ein furchtbares Ereignis ist in diesem Denken auch nur eine weitere Möglichkeit, ein paar Punkte zu machen. Weder die Opfer noch die Held:innen werden so gewürdigt. Die Analyse über die Radikalisierung der Täter findet in so einem Denken gar nicht statt.
Die Realität ist aber stärker, denn selten war sich diese zerklüftete Welt so einig wie hier: Der Anschlag ist unfassbar fürchterlich und selten hat man in Angesicht einer Tragödie so einen Heldenmut gesehen.
Doch Desinformations-Kampagnen haben eine weitere Wirkung: Fakten stehen zur Debatte und man kann sich nicht mehr sicher sein, was wahr ist und was nicht. Und wenn alles einmal wahr und unwahr gleichzeitig ist, dann zerstört das die öffentliche Debatte.





