Ich bin chronisch krank – und das ist teuer
Ich lebe seit zwölf Jahren mit Morbus Bechterew, einer rheumatischen Autoimmunerkrankung. Und ich habe die Erfahrung gemacht: Chronisch krank zu sein, ist ganz schön teuer.
Bei Morbus Bechterew ist das Immunsystem überaktiv, greift den eigenen Körper an und zerstört gesundes Gewebe. Die Gelenke, das Knorpelgewebe oder die Sehnenansätze entzünden sich, im schlechtesten Fall wird die Wirbelsäule so steif wie ein Bambusstecken.
Ich habe die Diagnose mit 23 Jahren bekommen. Mein rechtes Sprunggelenk war da schon total zerfressen. Ich hatte extreme Schmerzen und konnte nicht einmal mehr eine Flasche aufschrauben. An manchen Tagen war ich bettlägerig, da habe ich sogar Hilfe gebraucht, um auf die Toilette zu gehen, meine Zähne zu putzen oder meinen Pyjama anzuziehen.
Rückenschmerzen bei Frauen werden oft nicht ernst genommen
Mittlerweile geht das alles wieder – weil ich damals viel Glück hatte: Der erste Arzt, bei dem ich war, hat gleich erkannt, dass es Rheuma sein muss, und mich zum Rheumatologen geschickt. Rückenschmerzen bei Frauen werden oft nicht ernst genommen. Da heißt es, man soll sich nicht so anstellen, ein bisschen turnen und dann wird das schon.
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Ich bin in einem guten Spital gelandet, wurde dort stationär aufgenommen und habe alle Untersuchungen bekommen, die es braucht. Außerdem habe ich das „Glück“, dass bei mir ein bestimmter Blutwert positiv ist, der die Wahrscheinlichkeit für Rheuma erhöht. Ich bin also sozusagen ein Lehrbuch-Beispiel für die Krankheit und habe deshalb sofort die Diagnose bekommen. Bei ganz vielen Frauen ist dieser Wert aber negativ. Und viele Kassenärzt:innen denken, wenn es nicht lehrbuchartig ist, ist es kein Rheuma, und machen manche Untersuchungen gar nicht erst. Heute sind sie da offenbar aus Spargründen noch zögerlicher als damals.
Meine Therapie ist irrsinnig teuer. Ich brauche einmal im Monat eine Spritze, die ungefähr 1.000 Euro kostet. Viele Ärzt:innen versuchen es deshalb erst einmal mit anderen, günstigeren Schmerzmitteln. Weil ich recht jung war und eine starke Ausprägung der Krankheit hatte, haben sie das bei mir nur ein halbes Jahr versucht. Als es nicht funktioniert hat, habe ich Gott sei Dank gleich die Therapie mit den Spritzen gekriegt. Sonst wäre ich jetzt in viel schlechterem Zustand.
Der Krankheitsverlauf lässt sich stoppen
Heute geht es mir ganz gut. Meine Krankheit ist zwar unheilbar, aber man kann ihren Verlauf stoppen. Das heißt leider nicht, dass ich keine Schmerzen habe – meine Gelenke schmerzen immer wieder, aber ich habe keine Versteifungen, keine großen Gewebsveränderungen und nur sehr selten Entzündungsaktivität im Körper.
Meine größte Einschränkung ist, dass ich nicht mehr als fünf Kilo heben darf. Ich bin alleinerziehende Mutter von sechsjährigen Zwillingen, das ist also nicht so alltagstauglich. Wenn ich länger als zehn Minuten stehe, bekomme ich stechende Schmerzen im unteren Rücken. Meine Bandscheiben verlieren viel schneller an Flüssigkeit als die anderer Menschen. Dann drücken die Wirbel aufeinander, das schmerzt irrsinnig und kann zu einem Bandscheibenvorfall führen. Damit sie sich wieder mit Flüssigkeit füllen, muss ich mich tagsüber immer wieder mal für eine halbe Stunde flach auf den Rücken legen.
Hätte ich damals nicht so zügig die Diagnose und die richtige Behandlung bekommen, wäre ich heute in einer viel schlechteren körperlichen Verfassung. Ich hätte viele Schädigungen und viel mehr Einschränkungen. Und die Schmerzen haben mich damals in den Wahnsinn getrieben. Ich weiß nicht einmal mehr, ob ich noch da wäre.
Kaum Kassenärzt:innen, kaum Geld von der ÖGK
Mittlerweile wurden bei mir auch eine Immunschwäche und das Hashimoto-Syndrom diagnostiziert, das ist eine Autoimmunerkrankung der Schilddrüse. Durch die Immunschwäche habe ich auch viele Allergien und Lebensmittel-Intoleranzen.
Neben den gesundheitlichen Einschränkungen bringen chronische Krankheiten auch große finanzielle Herausforderungen mit sich. Gerade in den ärztlichen Fachrichtungen, die ich mit meiner Krankheit brauche, gibt es kaum Kassenärzt:innen. Bei Wahl- oder Privatärzt:innen ist alles unter 200 Euro pro Besuch günstig, und von der Kasse kriegt man kaum was zurück.
Es gibt in ganz Wien keinen einzigen niedergelassenen Kassenrheumatologen. Es gibt nur Rheuma-Ambulanzen in den Krankenhäusern, dort war ich jahrelang in Behandlung, war aber extrem unzufrieden. Die Ärzt:innen dort haben offenbar nicht die Möglichkeit, sich Zeit für einen zu nehmen. Die Meisten hören einem nicht richtig zu, es ist alles nur so pro forma, man fühlt sich nicht gut beraten. Gerade bei schwierigen Erkrankungen, die beim einen Patienten so verlaufen, beim anderen so. Also gehe ich immer wieder zu Privatärzt:innen, aber das kostet. Ich habe Honorarnoten von 230 Euro vom Rheumatologen, da hat die ÖGK 23 Euro dazugezahlt.
Und zum Rheumatologen muss man alle paar Monate. Bei mir reicht zwei bis drei Mal im Jahr – aber weil Rheuma oft so spät erkannt wird, geht es vielen Leuten mit Morbus Bechterew viel schlechter als mir, die brauchen viel öfter ärztliche Hilfe.
Am Land ist es natürlich noch schwieriger. Ich bin aus der Obersteiermark, da gibt es gar keine Rheumatolog:innen. Da muss man nach Graz fahren. Die Kosten summieren sich.
500 Euro hier, 290 Euro da
Allein für die Rheumatologie zahle ich also im Jahr mehrere Hundert Euro privat. Rheuma ist aber eine systemische Erkrankung, ich muss also auch regelmäßig zum Orthopäden, zur Hautärztin und zum Augenarzt. Immerhin für die Augen habe ich eine auf Rheuma spezialisierte Kassenärztin gefunden.
Dazu kommen noch die Physiotherapien, die ich regelmäßig machen muss. Da übernimmt die Kasse zum Glück mittlerweile 50 Prozent der Kosten – aber bei 100 Euro pro Einheit zahlt man für zehn Einheiten trotzdem 500 Euro privat.
All das kostet neben Geld auch viel Zeit und Nerven. Weil die Krankheit und die Schmerzen psychisch so belastend sind, gehe ich auch zur Psychotherapie. Da übernimmt die Kasse pro Termin 34 Euro, 76 muss ich selbst zahlen.
Wie hoch die jährlichen Kosten insgesamt sind, ist unvorhersehbar. Vor kurzem hatte ich einen Ärzt:innen-Marathon, weil ich Magen-Darm-Beschwerden abklären lassen musste, die wohl mit meinen chronischen Erkrankungen zusammenhängen. Allein für diese Abklärung kamen ungefähr 800 Euro innerhalb von ein paar Monaten zusammen. Ich war bei verschiedenen Kassenärzt:innen, niemand konnte mir sagen, was los ist. Jetzt habe ich einen spezialisierten Gastroenterologen gefunden. Da lag schon die erste Honorarnote bei 290 Euro.
Keine Deckelung, keine Steuererleichterung
Wenn man einen Grad der Behinderung beantragen will, braucht man noch ein Gutachten, allein das kostet 80 Euro. Und wie bei so vielen chronisch kranken Menschen war auch bei mir die Begutachtung eine Frechheit. Ich habe mit meiner Krankengeschichte einen Grad der Behinderung (GdB) von 20 Prozent bekommen. Mit einem höheren GdB würde ich eine Steuererleichterung bekommen, das würde mir finanziell extrem helfen. Aber um den GdB zu bekommen, der mir eigentlich laut Gesetz zusteht, muss ich wohl vor Gericht ziehen.
Eine Deckelung so wie bei den Rezeptgebühren gibt es bei Arztkosten auch nicht. Im Gegenteil: die Zuschüsse von der Kasse sind gedeckelt. Sie zahlt zum Beispiel pro Quartal nur einen gewissen, relativ geringen Betrag für Laboruntersuchungen. Wenn ich da drüberkomme, muss ich den Rest selbst zahlen.
Unterstützungsangebote von offiziellen Stellen gibt es meines Wissens nicht. Man kann Krankheitskosten zwar als „Außergewöhnliche Belastungen“ von der Steuer absetzen, aber ich habe es mehrmals versucht, und bei der Berechnung der Steuern kam immer das Gleiche heraus wie ohne die Krankheitskosten. Ich vermute, es ist wie bei der Rezeptgebührenbefreiung: Ich habe zwar hohe Rezeptgebühren, aber die Grenzen sind so hoch, dass ich trotzdem nicht drüberkomme.
Dazu kommen noch die Kosten für Medikamente. Das teure Grundmedikament, das ich mir einmal im Monat spritze, finanziert zum Glück die Kasse. Die Impfung gegen Gürtelrose hat die Kasse auf einen Antrag meines Rheumatologen hin auch übernommen, weil ich da Risikopatientin bin. Trotzdem komme ich auf bis zu 2.000 Euro Apothekenkosten pro Jahr.
Über den Zeitaufwand und die Bürokratie, die mit all dem einhergehen, haben wir da noch gar nicht einmal gesprochen.
Zusatzversicherung? Kannst du vergessen
Ich war schon als Jugendliche oft im Spital: mehrere Mandelentzündungen, mehrere Blinddarmentzündungen. Deswegen hatte ich vor, eine private Krankenzusatzversicherung abzuschließen, sobald ich zu Arbeiten anfange. Aber nach einer Operation muss man eine gewisse Zeit warten, bis man eine Zusatzversicherung abschließen kann. Und innerhalb dieser Sperrfrist habe ich dann die Diagnose Morbus Bechterew gekriegt. Damit konnte ich das mit der privaten Krankenversicherung vergessen. Die Beiträge wären extrem hoch, und zusätzlich wäre alles ausgeschlossen, was irgendwie mit meiner Erkrankung zusammenhängt.
Mein großes Glück ist, dass es bei meinem Arbeitgeber über eine spezielle Betriebsvereinbarung einen ganz alten Vertrag mit einem Versicherungsunternehmen gibt. Deswegen dürfen die mich nicht ausschließen, und so habe ich doch eine Zusatzversicherung mit ganz normalen Prämien bekommen. Diese Versicherung hat allein dieses Jahr rund 2.000 Euro von meinen Kosten übernommen. Ich weiß von keinem anderen Unternehmen, wo es so etwas gibt.
Was chronisch kranken Menschen helfen würde
Aber selbst da habe ich das Limit für Internist:innen schon erreicht – wenn ich bei einem Rheumatologen bin, bei einer Gastroenterologin und bei einem Endokrinologen, dann sind das nämlich alles Internist:innen. Da wird nicht unterschieden.
Was mir und anderen chronisch kranken Menschen helfen würde? Mehr niedergelassene Kassenärzt:innen für Fächer wie Rheumatologie. Höhere Zuschüsse von der ÖGK für Wahlärzt:innen. Die Möglichkeit, eine Zusatzversicherung zu bekommen, bei der nicht alles ausgeschlossen wird, was mit der chronischen Erkrankung zu tun hat. Und eine Änderung bei den Begutachtungen zum Grad der Behinderung, sodass Menschen nicht erst vor Gericht ziehen müssen, um die Einstufung zu bekommen, die ihnen laut Gesetz zusteht.
Über diesen Text: Für unsere Reihe „Was ich wirklich denke“ arbeiten unsere Journalist:innen mit Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen zusammen. Sie erzählen uns, auf welche Rahmenbedingungen sie dabei stoßen, wie sie die Situation erleben und wie es ihnen dabei geht. Aus diesen Gesprächen und nach Faktenchecks entstehen dann die Texte. Die Perspektive bleibt die der Befragten. Auf Wunsch können sie dabei anonym bleiben.
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