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Gesundheit
Ungleichheit

Zwei-Klassen-Medizin? Mehr Wahlärzt:innen als Kassenpraxen in Österreich

Eine Ärztin teilt einem jungen Patienten die Diagnose mit. Er wirkt frustriert.
Die medizinische Versorgung in Österreich wird schleichend privatisiert. Warum ist das ein Problem? Foto: Symbolbild Pexels/ Karolina Grabowska
In Österreich schrumpft die Zahl der Mediziner:innen mit Kassenvertrag. Immer weniger Kassenärzt:innen kümmern sich um immer mehr Patient:innen. Da bleibt weniger Zeit für einzelne Diagnosen. Wer es sich leisten kann, geht zu Wahlärzt:innen. Was unterscheidet sie von Kassenpraxen?

Welche Art von Arztpraxen gibt es in Österreich?

Prinzipiell kann jede Person in Österreich frei wählen, wo sie sich behandelt lassen möchte. Wie schnell man einen Termin bekommt und wie viel Zeit für die Diagnose bleibt, ist aber oft eine Frage des Geldbeutels. Denn Praxen unterscheiden sich bei den Kosten, Leistungen und der Art der Abrechnung. Es gibt Ärzt:innen mit einem Kassenvertrag, Wahlärzt:innen, und Privatpraxen

Was sind Kassenpraxen?

Kassenpraxen werden von Vertragsärzt:innen geführt. Das heißt, sie haben einen Vertrag mit einem Krankenversicherungsträger. Die angebotenen Leistungen werden von der Sozialversicherung bezahlt. In manchen Fällen müssen Patient:innen einen Teil der Kosten selbst tragen. Hier spricht man von Selbstbeteiligung – sie wird von der Versicherung festgelegt. Die Verträge zwischen Sozialversicherungen und Ärzt:innen sorgen dafür, dass Patient:innen Zugang zu bestimmten Leistungen wie geregelten Öffnungszeiten und medizinischen Behandlungen nach klaren Richtlinien erhalten.

Was ist ein Wahlarzt? 

Wahlärzt:innen in Österreich sind frei praktizierender Mediziner:innen ohne einen Vertrag mit einer Gesundheitskasse. Dadurch legen sie ihre Honorare unabhängig von den festgelegten Tarifen der Krankenversicherungen fest. Neben der Höhe ihrer Honorare können sie auch ihren Standort, ihre Ordinationszeiten und ihre Leistungen frei wählen. Besucht man eine Wahlarzt-Praxis muss man die Kosten für eine medizinische Behandlung vorerst aus eigener Tasche bezahlen. Manchmal zahlen die Krankenkassa einen Teil, den sich auch bei Kassenärzt:innen übernommen hätten – und manche Leistungen können zusätzliche Privatversicherungen übernehmen.

Wie teuer ist ein Wahlarzt?

Durchschnittlich zwischen 80 und 120 Euro kostet eine Ordination bei allgemeinmedizinischen Wahlärzt:innen. Fachärzt:innen wie beispielsweise in der Gynäkologie, beim HNO oder in der Orthopädie stellen etwa 150 bis 200 Euro pro Besuch in Rechnung. Für Personen im Alter von 20 bis 40 Jahren liegt der durchschnittliche Jahresbeitrag für eine Zusatzversicherung, die Wahlarztleistungen abdeckt, bei etwa 600 Euro.

Wie viel bezahlt man selbst bei einem Wahlarzt? 

Nach dem Besuch bei Wahlärzt:innen können Patient:innen die Rechnung zwar bei der Krankenkasse einreichen, bekommen aber nur 80 Prozent des Kassentarifs, der meist viel geringer als das Arzthonorar ist, rückerstattet. Das bezieht sich auf den Betrag, den beispielsweise die ÖGK bei der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen bei Kassenärzt:innen hätte aufbringen müssen. Auf diese Weise werden Gesundheitsausgaben de facto schleichend privatisiert, sagen Kritiker:innen. 

Wann gibt es keine Kostenrückerstattung beim Wahlarzt?

Wenn innerhalb eines Kalenderquartals sowohl Wahlärzt:innen als auch Vertragsarzt:innen des gleichen Fachgebiets besucht werden, zahlt die Krankenversicherung in der Regel keine Rückerstattung. Wenn mehrere Wahlärzt:innen aus dem gleichen Fachgebiet innerhalb eines Quartals für eine sogenannte “Zweite Meinung” besucht werden, wird nur die zuerst eingereichte Rechnung rückerstattet. Keine Erstattung gibt es beim Besuch einer Privatpraxis. 

Wie unterscheiden sich Privatordinationen von Wahlärzt:innen?

Privatordinationen erfüllen zwar formal die Ansprüche von Wahlarztpraxen, aber sie schlüsseln ihre Honorarnoten nicht im Sinne der Kassenleistungen auf. Das heißt, wie viel eine medizinische Leistung kostet, ist an keine Ober- und Untergrenze gebunden. Als ein Anhaltspunkt für faire Preise gelten die Preisempfehlungen der Ärztekammern. Ärzt:innen in Privatpraxen dürfen aber selbst entscheiden, wie viel sie für ihre Leistungen verlangen, ohne sich an bestimmte Preise halten zu müssen. In privaten Arztpraxen besteht in der Regel kein Recht auf Kostenrückerstattung. 

Wie viele Wahlärzt:innen gibt es in Österreich?

Im ersten Quartal vergangenen Jahres waren in Österreich 19.643 niedergelassene Ärzte gemeldet. 11.343 von ihnen haben keinen Kassenvertrag – sie sind Wahlärzt:innen. Waren es vor 18 Jahren noch 7,9 Wahlärzt:innen je 10.000 Einwohner:innen, stieg die Zahl bis zum Jahr 2023 um mehr als die Hälfte auf 12,3. Seit zehn Jahren gibt es mehr Wahl- als Kassenärzt:innen in Österreich. Die Zahl letzterer sinkt. 

Hat das Auswirkungen auf die Gesundheit aller?

Eine gute medizinische Versorgung soll man nicht nur bekommen, wenn man Geld hat. Die ärztliche Versorgung in Österreich wird aber schleichend und zunehmend privatisiert. Eine gute gesundheitliche Versorgung und Diagnose muss man sich immer öfter leisten können. Wer das Geld hat, versichert sich lieber zusätzlich privat. Zahlreiche Studien zeigen: Armut macht krank. Aber gerade im ärmsten Einkommenszehntel sind nicht einmal 2 von 10 Personen zusatzversichert. Im reichsten Zehntel sind dafür mehr als 6 von 10 Menschen zusatzversichert. Deshalb braucht es ein politisches Bekenntnis und mehr finanzielle Unterstützung für öffentliche Krankenhäuser, das Kassensystem und Primärversorgungszentren.

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    Kommentare 2 Kommentare
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  • inarzt
    19.04.2024
    Das problem ist schon etwas diffiziler als nur zahlen zu zitieren.1) was ist die motivation wahlarzt zu werden: ein geringer Teil NUR der mehrverdienst. Man will nicht mehr den patient in der kassenordi durchschleusen weil msn nur 6,7€ pro besuch bekommt. 2) man hat medizin gelernt um medizin zu machen , nicht stundenlang verrechnungslisten und Anträge 3) weil man schon auch gerne gute, für den Patienten passende medizin macht Der trend killt sich nun selber tlw. Wegen dem ärztemangel werden sie geflutet und wartezeiten etc gibts dort auch. Paar Glücksritter riiechrn auch den cash , der auch möglich ist und Versicherungen ebenso. Bietet schicke ordis un verlockungen und offiziell nur wahlarzt- abgerechnet wird im hintergrund- die eigentliche zielle verschwinden. Einige durchschauen es und gehen auch wieder. Und es ist eine Mythos , dass dort bessere medizin gemacht wird. Junge kolleginnen sehen dort ihre zukunft - wenig erfahrung mehr schein. Versicherungen schüren das image aber. Jeder versucht verträge abzuschliessen. Auch geringverdiener- man macht es ja fürs kind und will nicht zum schlechteren kassenarzt- etc etc- es lohnt sich da mehr hinzuschauen- höchst gefährliche Entwicklung
    Antworten
    • Ogolius
      20.04.2024
      Diese Entwicklung ist der politischen Umfärbung undÄnderungen im Hauptverband der Sozialversicherungsträger geschuldet. Im Zuge der „Reform“ wurde allerdings ein Gleichstand zwischen Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen durchgezogen. Unternehmen sind naturgemäß daran interessiert, ihre Dienstgeberbeiträge zu senken, was den Druck erhöht, auch die Leistungen zu reduzieren. Es ist in ihrem Interesse, selbst gute Geschäfte zu machen, etwa durch Privatisierung im Gesundheitswesen. Entscheiden sich die VertreterInnen der Arbeitgeber beispielsweise dafür, Einsparungen vorzunehmen und die Leistungen zu kürzen, hat das negative Auswirkungen auf die Versicherten. Von diesen Änderungen profitiert vor allem der private Versicherungsmarkt. Das war keine Reform, sondern eine bewusste Verhinderung eines funktionierenden Sozialstaats. Es wurde damit die interne Demokratie innerhalb der Sozialversicherung beendet. Demokratie hat auch immer etwas mit Zahlen und Verhältnissen zu tun und diese sind hier schwer aus dem Gleichgewicht geraten. Man braucht nur den abstrusen Gedankengängen eines Herrn Moritz Mitterer folgen, um zu erkennen, auf welchem Weg sich die österreichische Sozialversicherung befindet . Eine demokratische Erfindung wird kapitalistischen Begehrlichkeiten geopfert. Alles Gute Österreich!