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Ungleichheit
Fortschritt

Wenn Nostalgie zur Waffe wird – das Gottschalk-Syndrom

Wenn Nostalgie zur Waffe wird – das Gottschalk-Syndrom
Man dürfe ja gar nichts mehr sagen, beklagen Männer wie Thomas Gottschalk gerne. Und sagen es dann doch. Die "Früher war alles besser"-Männer verharmlosen mit ihrer Nostalgie Gewalt, analysiert Natascha Strobl. Foto: Christliches Medienmagazin pro, CC BY-SA 2.0 , via Wikimedia Commons
In regelmäßigen Abständen tritt ein allseits beliebter Mann etwas gesetzteren Jahrgangs auf den Plan und beklagt, dass man nichts mehr sagen dürfe. Sie sagen es dann trotzdem: in allen Zeitungen und TV-Stationen des Landes und im eigenen Buch, das kurz darauf erscheint.

Die Methodik ist so bekannt wie simpel. Man sagt etwas komplett aus der Zeit gefallenes und beklagt, dass früher alles anders und somit besser war und lässt sich dafür feiern. Aktuelles Beispiel ist Thomas Gottschalk. Er beklagt sich wortreich, dass er nicht mehr mit Frauen Aufzug fahren möchte. Das gilt aber nicht, damit Frauen sich besser fühlen, schließlich erleben Frauen Belästigungen am laufenden Band und jede Fünfte wird in ihrem Leben Opfer eines sexualisierten Übergriffs. Es gilt für Gottschalk selbst, der Angst hat, falsch beschuldigt zu werden.

Nostalgie als Waffe, um Gewalt zu rechtfertigen

Damit bedient er die schwierige Erzählung von den Falschbeschuldigungen, die das Leben eines Mannes ruinieren könnten. Dabei gilt: Umso prominenter, umso weniger Konsequenzen. Gottschalk müsste sich, genauso wie Depp oder andere Männer der Unterhaltungsbranche, da relativ wenig Sorgen machen. Umgekehrt gibt es für jeden zur Anzeige gebrachten Übergriff eine hohe Dunkelziffer an erlebten Übergriffen im Dunkelfeld. 

Doch das ist nicht die einzige Begebenheit, die Gottschalk wortreich verklärt. Er erzählt auch darüber, wie er früher Frauen ganz professionell angetatscht hat und beklagt wiederum, dass das heute nicht mehr in Ordnung wäre. Die Klage wird zum Standard-Modus dieser Männer, die einer verflossenen Zeit nachhängen, in der scheinbar alles besser war.

Dazu gehört auch, dass Gottschalk unbekümmert erzählt, wie er seine Söhne geschlagen hat. Eine Begebenheit war, dass sein Sohn das Eis fallen ließ und dafür eine Ohrfeige kassierte. Eine andere, dass der zweite Sohn in einem Geschäft zu lebhaft war. Beinahe stolz berichtet Gottschalk, dass man die Abdrücke seiner Finger auf der Wange des Kindes lange sah.

“Das hat uns nicht geschadet”? Gemeint sind nie die Opfer

Das ist das Problem an Männern wie Gottschalk: Sie machen die Nostalgie zur Waffe, um Gewalt zu rechtfertigen. Selbstverständlich ist das Schlagen von Kindern Gewalt. Und man hört von Gottschalk keine Reue, sondern nur Stolz. Gewalt wird zu einer normalen Alltagshandlung verharmlost, die „uns“ nicht geschadet hat. Mit „uns“ sind aber nie die Opfer, sondern die Täter gemeint. Die ihrem Alltag nachtrauern, indem sie für ihre Gewalt nicht belangt wurden.

Kindern oder Frauen wurde klar der Platz zugewiesen. Sei es durch offene Gewalt, wie Schläge, oder Übergriffe und die Erinnerung, dass ein Mann in jeder Situation tun kann, wie ihm beliebt. Es ist die Nostalgie für eine Vergangenheit, in der Männer wie Gottschalk auf niemanden Rücksicht nehmen mussten, außer auf sich selbst. 

Der „Früher war alles besser“-Mann

Denn am Ende ist Gottschalks Thema und Gottschalks wichtigste Person immer Gottschalk. Und dabei ist Gottschalk nicht der einzige “Früher war alles besser”-Mann. Sie reiten gegen die eigene Irrelevanz aus, um sich an eine Zeit zu klammern, die einfacher erschien, weil sie nicht eine Sekunde über das Wohlbefinden anderer Menschen nachdenken mussten. Wo sie ihrem Ego, ihren gewalttätigen Impulsen und ihrem Narzissmus freien Lauf lassen konnten und dafür belohnt wurden. Jetzt versuchen sie daraus einen „man darf ja nicht mehr sagen“-Kulturkampf zu basteln. Es ist so langweilig wie erfolgreich. 

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    Kommentare 3 Kommentare
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  • Fropen
    18.10.2024
    Schon seltsam, wenn man einem Erwachsenen eine Ohrfeige gibt, ist das ein tätlicher Angriff, auch damals schon, aber bei einem Kind soll es Erziehung sein.
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  • 68er
    16.10.2024
    Gottschalk war schon zu seiner "großen" Zeit ein unsympathischer Clown! Mit dem wollte jede und jeder, die damals in der Jugendrevolte engagiert waren nichts zu tun haben. Insofern ist die Nostalgie des alten bösartigen Clowns so selbstverständlich wie fehl am Platz. Einfach ignorieren.
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  • Johnny B. Goode
    16.10.2024
    Mein Vater war Jahrgang 1925 und hatte es nie nötig zu schlagen, obwohl er schon von Kindesbeinen an strukturelle Gewalt zur Genüge erlebte (1930er und 40er Jahre). Später war dann vieles auch nicht besser (1950er bis 70er). Und punkto Fahrstuhl fällt mir eine Frau ein, die sich undercover ein Jahr lang in der Macho-Welt von Börsianern aufhielt und - ja - gerade auch im Fahrstuhl unter solchen verschwitzten Männergruppen die tiefsten Bemerkungen zum Fremdschämen anhören durfte. Sie sprach dann darüber auch in einer deutschen Talkshow mi ihrem Buch im Gepäck.
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