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Ungleichheit

Der Anschlag von Halle und der Dreiklang des Rechtsterrors

Natascha Strobl analysiert für MOMENT politische Sprache und Ideologien.

Ein Terrorist möchte in eine volle Synagoge stürmen und ein Massaker anrichten. Durch gute Sicherheitsvorkehrungen, Unvermögen auf seiner Seite, Glück und Zufall gelingt es ihm nicht. Er ermordet zwei andere Menschen. Sein Live-Stream und sein Manifest geben Einblick in seine Ideologie – zu dem, was ihn zu Terror und Mord bewogen hat.

Es sind drei Stränge, die in ihrem Zusammenspiel bis weit in die vermeintliche Mitte der Gesellschaft wirken: Antisemitismus – Rassismus – Antifeminismus. Die dahinterstehende große Erzählung ist, dass FeministInnen, Jüdinnen und Juden sowie muslimische Flüchtlinge sich gemeinsam gegen Europa verschworen hätten. Diese Verschwörungstheorie bestimmt seit 2015 die Weltsicht der extremen Rechten.

Antifeminismus

Rechtsextreme sehen das so: Das Grundproblem sei, dass die Frauen in (West)Europa in einen Gebärstreik getreten sind. Sie bekommen einfach zu wenige Kinder, um das Volk zu reproduzieren (mindestens 3 Kinder pro Frau). Schuld daran sind in ihren Augen der Feminismus und der angebliche linke Mainstream. Dahinter steht ein patriarchales und frauenfeindliches Weltbild mit Schwarz-Weiß-Denken. 

Die Anklage lautet, dass völkisch in ihren Augen wünschenswerte Frauen zu wenige Kinder bekommen, während völkisch nicht wünschenswerte Frauen zu viele Kinder bekämen. Es sind also unterschiedliche Formen von Frauenhass, die sich mit Rassismus und Antifeminismus verbinden. Der Hass auf völkisch wünschenswerte Frauen, die ihren angeblich natürlichen Pflichten nicht nachkommen, ist dabei auch ein Hass auf den Umstand, dass sie diese Frauen in ihrer völkischen Ideologie brauchen, um das Volk zu erhalten. Diese Frauen könnten daher auf der aus ihrer Sicht richtigen Seite stehen, entscheiden sich aber aktiv dagegen. Das mache sie zu Verräterinnen am Volk. Und damit zu einem der Hauptfeinde der extremen Rechten.

Antisemitismus

Da das Volk durch die niedrigen Geburtenraten geschwächt ist, sehen für diese Rechtsextremen nun finstre, geheime Mächte ihre Zeit gekommen, um ihren Hass gegen das europäische/deutsche/westliche Volk auszuleben. Dieser Hass rührt seit hunderten Jahren angeblich daher, dass Juden und Jüdinnen nie so tief verwurzelt an einem Flecken Erde waren, wie das Volk, zu dem sie nie gehören können. Dieser Kern der antisemitischen Erzählung hat sich seit dem Mittelalter nicht geändert und war in der ein oder anderen Form auch immer da. 

Derzeit wird behauptet, es stünden mächtige Jüdinnen und Juden hinter den Flüchtlingsbewegungen des Jahres 2015, die nur das Ziel haben sich an Europa zu rächen. Mit viel Geld, Tücke und im Dunkel werden diese Flüchtlingsbewegungen ganz genau geplant. Zentral im Antisemitismus ist, dass Jüdinnen und Juden immer als sehr schlau, mächtig und finanzstark aber körperlich schwach und feige dargestellt werden, weswegen es nie zu einer direkten Konfrontation kommt, sondern sie durch List und Tücke agieren. Der Rechtsextremismus hingegen sieht sich selbst als angeblichen Anhänger der ehrlichen, direkten Konfrontation, die so als „ehrenhaft“ dargestellt wird. 

Dadurch sind sie keine bemitleidenswerten Menschen mehr, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, sondern eine angreifende Armee

Rassismus

Während Jüdinnen und Juden als schlau aber körperlich schwach dargestellt werden, so ist es bei (muslimischen) Flüchtlingen genau umgekehrt – sie werden als junge Männer dargestellt, die als Invasoren gesehen werden. Das eigene Idealbild einer jungen, gewaltvollen Männlichkeit wird auf die Flüchtlinge übertragen und zum Angstbild verdichtet. 

Dadurch sind sie keine bemitleidenswerten Menschen mehr, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, sondern eine angreifende Armee, die körperlich stark, aber nicht sehr intelligent ist. Sie werden als tiergleiche, triebgesteuerte Wesen dargestellt, die nur auf Mord und Vergewaltigung aus sind. Jede ermordete und vergewaltigte Frau ist in dieser Erzählung synonym für Europa und das Volk. Es ist also nie eine Tat für sich, sondern alles immer nur Symptom eines Entscheidungskampfes zwischen dem guten europäischen Volk auf der einen und dem inneren Feind (FeministInnen</abbr>; Jüdinnen und Juden) und äußeren Feind (Muslimische Flüchtlinge) auf der anderen Seite. 

Der große Austausch

Diese Erzählung wird seit 2015 vor allem von den Identitären unter dem klingenden Namen „der große Austausch“ propagiert.

Diese Phrase ist auch deswegen so praktisch für den Rechtsterrorismus, weil sie eine Not- und Abwehrsituation behauptet. Notwehr bedeutet aber, sich in einer Situation zu befinden, in der Gewaltanwendung legitim ist, da sie nur der eigenen Verteidigung dient. Dabei ist diese Erzählung nur die perfekte Rechtfertigung für Gewalt gegen Menschengruppen. Sie führt die drei Feindbilder der extremen Rechten in einem einzigen Konstrukt zusammen: Juden und Jüdinnen wollen das weiße Europa auslöschen und schicken im Verbund mit dekadenten Polit-Eliten und linken Kräften muslimische männliche Flüchtlinge nach Europa, die auf eine durch den Feminismus derart geschwächte Gesellschaft treffen, dass ihr Austausch und Untergang die Konsequenz aus der niedrigen Geburtenrate sein wird.  

Die bizarre Erzählung vom „großen Austausch“ fordert die, die ihr aufsitzen, zu einem Handeln auf, das logisch in Gewalt enden muss. 

 

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