Der Kindergarten bleibt zu: Pädagog:innen in Österreich sind an ihren Grenzen
Es ist Montag Vormittag. Im Kindergarten im 15. Bezirk laufen Kinder zwischen drei und sechs Jahren durcheinander. Nael muss aufs Klo, Maria hat Hunger, Amira vermisst die Mama und mittendrin bekommt Jonathan einen Wutausbruch. Monika, die Kindergartenpädagogin, steht allein hier. Den Wünschen und Bedürfnissen aller 25 Kinder will, aber kann sie nicht gerecht werden.
Für Monika ist das ihr Arbeitsalltag. Vorgestellt hat sie sich den Beruf als Kindergartenpädagogin anders: „Ich habe Elementarbildung an der Pädagogischen Hochschule studiert. Für mich ist das dann besonders schwierig, wenn ich die Qualitätskriterien der Wissenschaft genau kenne und auch weiß, wie ich reagieren müsste, so aber nicht arbeiten kann, weil ich die Ressourcen dafür nicht habe. Und so geht es mir wirklich jeden Tag“.
Fehlende Ressourcen, das bedeutet zu wenig Geld, um kleinere Gruppen und mehr Personal ermöglichen zu können. Eine Problematik, die schon lange bekannt und schon lange kritisiert wird. Passiert ist bisher allerdings wenig. „Nach Jahrzehnten der leeren Worte aus der Politik ist die Stimmung unter den Kolleginnen am Kochen “, sagt Gewerkschaftsvertreterin Karin Wilflingseder. „Wenn wir irgendetwas erreichen wollen, müssen wir uns das von unten erkämpfen. Da reicht es dann nicht, sich außerhalb der Arbeitszeit symbolisch auf den Minoritenplatz zu stellen“.
Kindergarten-Protest: Zu wenig Ressourcen für gute Betreuung
Um bessere Arbeitsbedingungen einzufordern sind am 29. März die Wiener Privatkindergärten einheitlich geschlossen. Schon im Oktober 2021 gab es erste Proteste. Seitdem sind allerdings nur wenige Forderungen umgesetzt worden. Es brauche vor allem nachhaltig mehr Geld, damit die Kinder gut betreut werden können. Neben Gruppenverkleinerungen und Aufstockung des Personals soll es bezahlte Vor- und Nachbereitungszeit sowie Reflexionszeit geben. Derzeit beträgt das vier Stunden pro Woche, in der Materialien besorgt, Ausflugsziele ausgekundschaftet, Planungen geschrieben, Elterngespräche vor- und nachbereitet, Dienstbesprechungen geführt werden sollen… Die Liste ist endlos, die Zeit viel zu knapp: „Ich kenne keine Pädagogin, die mit der Vorbereitungszeit wirklich auskommt. Das sind dann automatisch Überstunden“, sagt Monika.
Auch die Assistent:innen, die die Pädagog:innen eigentlich entlasten sollten, können ihren eigentlichen Aufgaben kaum nachkommen. Sie müssen stattdessen aus Personalmangel oft Reinigungstätigkeiten oder Organisatorisches übernehmen. Assistent:innen könnten sich darüber hinaus durch eine sehr niedrige Bezahlung kaum ihr Leben finanzieren. Die Gewerkschaft fordert deshalb bessere Entlohnung sowie einen Berufsschutz.
Pädagog:innen sind überlastet
Dass man in diesem Rahmen nicht so gut arbeiten kann, wie man sollte, bringt viele Pädagog:innen an ihre Grenzen. „Ich stehe eigentlich permanent vor der Entscheidung: Arbeite ich so, wie ich arbeiten will, damit das qualitativ gut ist, oder arbeite ich so, dass wir alle gut durch den Tag kommen“, sagt Monika. „Ich komme manchmal wirklich mit Kopfweh nach Hause, weiß, ich muss jetzt noch eine Planung und eine Reflexion schreiben, es warten aber vielleicht noch meine eigenen Kinder und mein Partner auf mich. Auf Dauer löst das einfach Stress aus“.
Monika ist dabei kein Einzelfall. Einer Studie der Universität Wien zufolge fällt es vielen Elementarpädagog:innen schwer, im Privatleben von der Arbeit abzuschalten: 72 Prozent der Befragten denken am Abend noch über die Arbeit nach. Bei zwei Drittel ist dies auch nach dem Aufwachen der Fall. Auch Burnout ist in diesem Beruf laut Wilflingseder ein großes Thema.
Ein Grund, warum viele die Elementarpädagogik früh verlassen: Kindergärten kämpfen mit einem stetig wachsenden Personalmangel. Nur circa 60 Prozent der ausgebildeten Pädagog:innen arbeiten später tatsächlich im Kindergarten. Und auch in den ersten zwei Jahren im Beruf, der zu knapp 98 Prozent von Frauen ausgeführt wird, ist die Dropout-Rate hoch. „Frauenjobs sind immer noch unterbezahlte Jobs. Es sind aber vor allem die Rahmenbedingungen, die den Job unattraktiv machen. Die Kolleginnen, die in diesen Beruf gehen, sind hochmotiviert. Die machen die Ausbildung, sehen dann aber in der Praxis, dass sie das, was sie lernen, nicht wirklich umsetzen können. Man nimmt ihnen damit die Motivation”.
Kindergärten: Pandemie verschärfte Probleme nur
Eine neue Kündigungswelle wurde durch die Pandemie ausgelöst. Kindergärten müssen bereits auf nicht-qualifiziertes Personal zurückgreifen, um die Aufsichtspflicht garantieren zu können. Bis heute gibt es kein Testkonzept für die Kindergärten. Seit Montag soll es bei Corona-Fällen auch keine Teilschließungen der Gruppen mehr geben. „Die Durchseuchung ist absolut gewollt. Wenn du nichts tust, tust du auch etwas”, so Wilflingseder. „Dass wir im dritten Jahr der Pandemie kein Sicherheitskonzept haben, sondern uns das bisschen Schutz, das wir bisher hatten, auch noch genommen wird, zeigt, dass der Politik die Gesundheit von Pädagoginnen nichts wert ist“.
Kindergartenpersonal ist zudem einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt. Social Distancing ist mit Kindern, die besonders viel Nähe brauchen, nicht möglich. Monika arbeitet derzeit ausschließlich mit Maske, auch wenn sie das nicht muss. „Wir hatten vor zwei Wochen einen ziemlichen Cluster im Kindergarten. Da überlegt man sich dreifach, arbeite ich ohne Maske oder mit. Maskenpausen gibt es natürlich nicht”. Viele Pädagog:innen fühlen sich auch in ihrem Privatleben eingeschränkt. Die Angst, das Virus in den Kindergarten zu bringen oder Familie und Freunde durch das arbeitsbedingte erhöhte Infektionsrisiko zu gefährden, ist groß.
Nach zwei Jahren Pandemie ist das Personal ausgelaugt. Die Krise verschärft aber nur Missstände, die bereits zuvor deutlich sichtbar waren. Missstände, die die Pädagog:innen und vor allem auch die Kinder mit voller Wucht treffen. „Österreich hat ein stark sozial selektives Bildungssystem. Kinder sind aber nicht wie aus dem Automaten gedruckt“, betont Wilflingseder. Unter den derzeitigen Rahmenbedingungen sei Chancenausgleich im Kindergarten durch Sprachförderung oder Aufarbeitung von Fluchterfahrung schlicht nicht möglich. „Der Bund muss hier dringend mehr Geld zu Verfügung stellen. Damit es möglich ist, dass jedes Kind in Österreich gleich viel wert ist“.