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Arbeitswelt
Gesundheit

Diese Jobs machen psychisch krank

Psychische Erkrankungen zwingen immer mehr Menschen in den Krankenstand oder sogar in Frühpension. Österreichs Pflegepersonal streikt jetzt und macht damit auf ein Problem aufmerksam, das viele Branchen betrifft. 
Ein Artikel von Anika Suck und Katharina Rustler.
 
Schmutzige Wäsche blieb in Pflegeheimen liegen, es gab nur kaltes Essen, Jugendzentren und Horte waren vorübergehend geschlossen. Vergangene Woche traten 300 Pflegeeinrichtungen in ganz Österreich in Streik. Etwa 20 davon nahmen am Donnerstag an einer Streikdemo in Wien teil. Ihre zentrale Forderung: eine Arbeitsverkürzung auf eine 35-Stunden-Woche. Doch nach sieben Runden der Kollektivvertragsverhandlungen wird seitens der ArbeitgeberInnen mit Ablehnung reagiert: zu teuer sei das Anliegen. Der Protest würde den Pflegenotstand nur noch weiter verschärfen.

Die Gewerkschaften appellieren an die Politik, der Beruf sei ganztägig kaum zu schaffen. Beschäftigte im Pflege-, Gesundheits- und Sozialbereich stehen aufgrund der intensiven Arbeit nicht nur unter körperlicher, sondern auch unter extremer psychischer Belastung. ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian schlägt den Ungläubigen in einem Interview im Standard vor „einfach mal zwei Stunden lang Demenzkranke“ selbst zu betreuen. Dann würden sie schon verstehen.

Arbeit macht immer öfter psychisch krank

Der Pflegebereich ist nur ein Beispiel von vielen: Es handelt sich um ein allgemeines Problem am Arbeitsmarkt. Psychisch bedingte Krankenstände haben sich zwischen 1994 und 2014 mehr als verdreifacht. Insgesamt sind rund zwei Prozent aller Krankenstände laut dem österreichischen Gesundheitsbericht 2016 psychisch bedingt. Da die Behandlung von psychischen Krankheiten allerdings meist länger dauert, entfallen neun Prozent aller Krankenstandstage auf sie.

Fast 30 Prozent der Invaliditätspensionen waren 2014 durch psychische Erkrankungen begründet. Bei Frauen ist es sogar der häufigste Grund, aus dem sie früher in den Ruhestand gehen müssen. Für den Österreichischen Arbeitsmonitor 2012 wurden messbare Befindlichkeiten wie Gereiztheit, Depressivität, Nicht-Abschalten-Können, Motivationsverlust oder Resignation unter Berufstätigen erhoben. Die Untersuchungen zeigen: Die Zahl der Betroffenen steigt von Jahr zu Jahr. Jeder dritte Erwerbstätige ist mindestens einem Belastungsfaktor ausgesetzt –  wie zum Beispiel Stress oder Zeitdruck.

 

Spezialfall Gastronomie 

Psychische Überlastung am Arbeitsplatz ist ein branchenübergreifendes Problem. Untersuchungen der Arbeiterkammer Oberösterreich zeigen, dass vor allem FabriksarbeiterInnen, BerufskraftfahrerInnen und BauarbeiterInnen betroffen sind. Aber auch medizinisches Personal, wie ÄrztInnen und PflegerInnen, sowie GeschäftsführerInnen klagen über psychische Beeinträchtigung.

Auch Gastronomieangestellte wie KellnerInnen und Küchenpersonal sind stark betroffen: Hier klagen 67 Prozent über Stress und ein Gefühl der Überlastung. Ein Bericht der Arbeitsinspektion aus den Jahren 2011/2012 zeigt, dass 50 Prozent der Gastronomieangestellten über Arbeitsunlust klagen, 33 sagen, sie verspüren eine “Sinnleere”. Das ist ein Grund, weshalb die Gastronomie oft als eine der “unbeliebtesten” Branchen in Österreich bezeichnet wird. Ähnlich geht es nur RegalbetreuerInnen und Tourismusangestellten.

“In der Gastronomie geht es nicht nur um die typischen physischen, sondern auch besonders um die psychischen Gefahren wie Stress und übermäßiger Druck. Hier müssen sich ArbeitgeberInnen überlegen, wie sie diese psychische Belastung reduzieren können”, sagt Anna Ritzberger-Moser, die Leiterin des Arbeitsinspektorats.

Arbeitszufriedenheit sinkt

Der Arbeitsklimaindex der Arbeiterkammer hält fest, dass heute fast 40 Prozent der Angestellten in der Gastro-Branche ihren Job wechseln wollen, meistens sogar die Branche. Die generelle Zufriedenheit unter Angestellten in der Gastronomie ist im Laufe der Jahre gesunken, die psychische Belastung ist gestiegen. Im Schnitt wechseln Angestellte alle zwei Jahre den Betrieb.

Spricht man mit Menschen aus dem Bereich, bekommt man eigentlich immer die gleichen Gründe dafür zu hören: Nicht endende Schichten, Arbeit in der Nacht, am Wochenende und an Feiertagen, ständiger Gästekontakt, unseriöse Anstellungsverhältnisse, schlechte Bezahlung. Die Liste lässt sich ewig fortsetzen. Von vielen der Probleme sind zwar auch andere Berufe betroffen, die Gastronomie scheint jedoch mit allen auf einmal konfrontiert zu sein. 

Pflege: Aufschrei statt Flucht

Betrachtet man schließlich erneut den Pflegebereich genauer, ergibt sich anhand der Zahlen des Arbeitsindex ein interessanter Unterschied: Beschäftigte im Pflegebereich (zumindest aus der medizinischen Betreuung) scheinen – ähnlich wie Bankangestellte und PolizistInnen – generell zufrieden mit dem eigenen Beruf zu sein.

Sie wünschen sich keinen Branchenwechsel. Obwohl die körperlichen und psychischen Belastungen am Arbeitsplatz sehr hoch sind. Mit den angesetzten Streiks fordern sie aber eine Veränderung, stehen für ihre Berufsbranche ein. Ein wichtiger Aufschrei, der etwas bewirken könnte und von dem sich auch andere betroffene Branchen in Österreich etwas abschauen könnten – ohne diese gleich zu wechseln.

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