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Gesundheit
Arbeitswelt

Eine Burnout-Betroffene erzählt: "Ich saß heulend im Auto und konnte nicht mehr in die Arbeit fahren“

Illustration mit handgeschriebenem Titel Was ich wirklich denke
Christine (48) hatte ein Burnout. Obwohl sie körperlich und seelisch schon völlig am Ende war, ging sie immer noch ins Büro. Warum viele Menschen bis zum kompletten Zusammenbruch arbeiten und wie ihr der Ausstieg aus dem Hamsterrad gelang, erzählt sie uns hier.

Alles begann, als mein Team von zehn auf fünf Mitarbeiter:innen zusammengeschrumpft ist. So funktionieren Einsparungen: Menschen werden gekündigt, aber die Arbeit wird nicht weniger. Wir haben die Aufträge in einem Logistik-Konzern bearbeitet. Wir waren quasi der Flaschenhals: Wenn bei uns etwas liegenblieb, ging die Ware zu spät raus und dann waren Kund:innen verärgert.

Dieser Druck war uns bewusst und wir haben alle getan, was wir konnten. Aber wir waren einfach zu wenige. Irgendwann ließ ich Arbeit sprichwörtlich unter den Tisch fallen. Ich habe gelogen und behauptet, dass ich gewisse Aufträge einfach nicht bekommen hätte. Ich war zu feig, um zu sagen, dass ich die Bearbeitung nicht mehr schaffe. Ich habe mich als Versagerin gefühlt.

Keine Kaffeepause

Der Stress nahm zu, Kaffeepausen habe ich mir nicht mehr gegönnt. Es war selbstverständlich für mich, am Sonntag oder spät in der Nacht noch im Büro zu sitzen. Im Gegenteil: Ich habe mich über Kolleg:innen geärgert, die sich dafür noch Zeit genommen haben. Doch uns ging es allen gleich: Bald waren die ersten krank, andere haben gekündigt. Die übrigen mussten diese Arbeit dann auch noch erledigen.

Ich war nur noch erschöpft und wollte schlafen. Doch mein Kopf konnte nicht abschalten. Ich lag die halbe Nacht wach und dachte an die Arbeit. Dann kamen Angst- und Panikattacken dazu. Wenn ich endlich einmal eingeschlafen war, bin ich oft hochgeschreckt, hab keine Luft bekommen und dachte, ich müsse sterben.  

Anrufe von Freund:innen wurden ignoriert

Treffen mit Bekannten wurden zur Last, Theaterbesuche eine lästige Pflicht. Eines Tages war ich bei Freund:innen eingeladen und habe mich bald gefragt: „Was mache ich hier?“ Ich konnte den Gesprächen nicht folgen, fand nichts lustig, worüber gelacht wurde. Ich habe mich dann auf der Toilette eingesperrt und wollte weinen. Ich hatte das Gefühl, von einem anderen Planeten zu sein und hier nicht herzugehören. Ich war innerlich so leer und war unendlich weit weg von den anderen.

Irgendwann habe ich bei Telefonanrufen von Freund:innen und Bekannten nicht einmal mehr abgehoben.

Diagnose: Magengeschwür

Eines Tages bekam ich extreme Magenschmerzen und ging zum Arzt. Ich hatte ein Magengeschwür. Wieso ich das so lange nicht bemerkt habe, wollte der Arzt wissen und mahnte, mehr auf mich zu achten.

Da wurde mir das erste Mal bewusst, dass etwas nicht stimmt. Ich bin trotzdem weiter zur Arbeit gegangen. Zwei Jahre zuvor war mein Team halbiert worden, der Stress hatte kontinuierlich zugenommen. Mein „Verantwortungsbewusstsein“ war so groß, dass ich nicht daran dachte, in den Krankenstand zu gehen. Das schlechte Gewissen gegenüber den anderen Kolleg:innen ließ das nicht zu.

Zwei Wochen habe ich noch durchgehalten. Jeden Tag stand ich erschöpfter auf und ich dachte mir: „Wie soll ich diesen Tag überstehen?“ Meine Füße haben sich wie Blei angefühlt. Eines Morgens wollte ich mit dem Auto in die Tiefgarage der Firma fahren, doch es ging nicht. Ich blieb vor der Einfahrt stehen und habe im Auto losgeheult. Ich konnte einfach nicht hineinfahren.

Wollte Burnout nicht wahrhaben

Erst da habe ich mich krankgemeldet. Als Grund habe ich natürlich das Magengeschwür angegeben. Die psychischen Probleme wollte ich noch immer nicht einsehen. Das Burnout wollte ich nicht wahrhaben, habe es als persönliche Schwäche gesehen und mich geniert.

Im Krankenstand habe ich aber bemerkt, dass ich eine Gesprächstherapie brauche. Ich dachte noch immer an die Arbeit, hatte weiterhin Angst- und Panikattacken und malte mir aus, dass ich gekündigt und auf der Straße landen würde. Die Schuldgefühle gegenüber den Kolleg:innen waren schrecklich. Außerdem war ich völlig verwirrt, vergaß Arzttermine oder wusste plötzlich nicht mehr, wo ich mein Auto geparkt hatte.

Selbsthilfegruppe als Anker

Neben der Psychotherapie habe ich bei pro mente eine Selbsthilfegruppe besucht. Das hat mir ungemein geholfen. Plötzlich waren da lauter Leute, denen es so ging wie mir. Ich konnte alles nachvollziehen, was sie erzählten. Ihnen konnte ich mich besser anvertrauen als Freund:innen, die einfach nicht verstanden, wie es mir ging. Wir haben bei uns allen dasselbe Muster festgestellt: Wir waren Menschen, die niemals nein sagten und nichts abschlugen. Das waren Verhaltensmuster, die sich oft in der Kindheit schon eingeschliffen hatten. Und es ist nicht leicht, sich von diesen zu lösen.

Nach vier Wochen Krankenstand war ich wieder ein paar Tage im Büro, aber sofort wieder krank. An eine Kündigung dachte ich aber noch immer nicht. Erst als mir nach mehreren Monaten im Krankenstand mitgeteilt wurde, dass die Firma vor einer Umstrukturierung stünde und den Standort wechseln würde, habe ich mich zu diesem Schritt entschlossen.

Es gibt einen Weg zurück

Da musste ich dann wirklich zum AMS. Die Angst und Panik war plötzlich begründet. Aber die wuchs auch hoch, als ich Stellenausschreibungen durchsah und auf Worte wie „Belastbarkeit“ stieß. Erst nach einem Jahr habe ich wieder zwanzig Stunden zu arbeiten begonnen. Vollzeit hätte ich sicher nicht geschafft.

Es dauert wirklich lange, nach einem Burnout wieder zu sich selbst zu finden. Und diese Zeit muss man sich gönnen.

Heute arbeite ich wieder Vollzeit und habe einen Job gefunden. Ich helfe nun Menschen, die in derselben Situation sind wie ich damals. Ich habe auch den Spagat zwischen Privat- und Berufsleben geschafft, wurde Mutter von einem Sohn und achte nun besser auf mich.

Und ich habe endlich gelernt, auch einmal „Nein!“ zu sagen.

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