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Arbeitswelt

Eine Frage der Vernunft: Der Staat muss Jobs schaffen

Öffentliche Jobs könnten die absehbare Lawine an Corona-Langzeitarbeitslosen verhindern – mit positiven Effekten für Wirtschaft, Sozialsystem und Klima. 
Wer in einer Familie aufgewachsen ist, die mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen hatte, weiß aus eigener Erfahrung um die desaströsen Auswirkungen für Betroffene und Angehörige: Keinen Job zu haben, geht nicht nur mit Geldsorgen einher, sondern stellt Grundsätzliches in Frage. Arbeit bedeutet eben auch Identität und gesellschaftliche Einbindung.

In der Zweiten Republik war die Arbeitslosigkeit noch nie so hoch wie heute. Seit dem Langzeithoch im Mai ist sie nur leicht gesunken. Nach wie vor rund 423.000 Menschen ohne Job oder in Schulung. Dazu kommen etwa 453.000 Personen in Kurzarbeit. Fast eine Million Menschen – knapp ein Viertel der österreichischen Erwerbsbevölkerung – ist aktuell also gar nicht oder nur zum Teil im Job.

Trauriger Rekord und Schock

Wer bereits seit über einem Jahr keinen Job findet, also zu den Langzeitarbeitslosen zählt, wird derzeit keinen finden. Viele von ihnen sind gering qualifiziert, haben gesundheitliche Probleme und sind häufig auch schon über 50. Das sehen Arbeitgeber nicht so gern. Bereits die Finanzkrise 2008/2009 bescherte uns einen Sockel von ca. 150.000 Langzeitarbeitslosen. Mit dem Corona-Schock dürfte er neue Höhen erklimmen, darin sind sich die meisten Ökonomen einig.

Nicht nur menschlich, sondern auch wirtschaftlich ist das ein Problem. Die Finanzierung von Arbeitslosigkeit erfordert beträchtliche Summen, die produktiver in Bereiche wie Pflege oder Bildung investiert werden sollten. Kranken- und Sozialversicherung entgehen Beitragseinnahmen. Mehr Arbeitslose mit geringen Einkommen zu haben schwächt vor allem die Nachfrage und damit die Konjunktur. 

„Koste es, was es wolle“ ernst nehmen

Was also tun? Nur der Privatsektor – man sagt gerne „die Wirtschaft“ – wird es nicht richten können. Auf eine offene Stelle kommen derzeit sechs Arbeitssuchende. Wenn die Unternehmen massiv Jobs abbauen, muss der Staat einspringen und antizyklisch Beschäftigungsprogramme lancieren – gerade für Langzeitarbeitslose. Leider findet sich dazu im 50-Milliarden-Corona-Paket der Bundesregierung nichts, trotz der großspurigen Ankündigung „koste es, was es wolle“. Lediglich Arbeitsstiftungen werden diskutiert. Dabei wären die Kosten für ein Beschäftigungsprogramm überschaubar.  

Würden die Mittel, die bisher für die Finanzierung von Langzeitarbeitslosigkeit ausgegeben werden, um eine einzige Milliarde Euro aufgestockt, könnten damit 100.000 produktive Jobs im öffentlichen Bereich entstehen. Mit diesen zusätzlichen Ausgaben – drei Tausendstel der jährlichen Wirtschaftsleistung – ließe sich ein enormer volkswirtschaftlicher Effekt erzielen: Jeder zusätzlich ausgegebene Euro könnte bis zu 67 Cent an zusätzlicher Wertschöpfung generieren. Eine staatliche Jobgarantie für Langzeitarbeitslose hätte zudem eine Reihe weiterer Vorzüge.

Eine Chance für dringend gebrauchte Bereiche

Erstens bekämen Menschen, die länger keinen Job mehr hatten, wieder eine sinnstiftende Tätigkeit, die ihr Potenzial nützt und ihnen ihre Würde zurückgibt. Mittelfristig stiegen dadurch auch ihre Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt, in den sie längerfristig wieder zurückkehren sollen.

Zweitens ließen sich gezielt jene öffentlichen Dienstleistungen forcieren, die wir in Zukunft dringend brauchen. Vor allem in der Pflege besteht ein riesiger Bedarf. Administrative Kräfte in den Schulsekretariaten könnten Lehrkräfte entlasten, Langzeitarbeitslose mit einer Zusatzausbildung könnten als „Klima-BeraterInnen“ in jeder Gemeinde Haushalten und Firmen beim Energiesparen helfen. Klar ist: In diesen Bereichen sollten nur Jobs geschaffen werden, die nicht ohnehin entstanden wären. 

Eine Frage der Vernunft

Eine derartige Jobgarantie würde bei kluger Ausgestaltung auch dem Klima nützen und den nötigen Strukturwandel hin zu einer emissionsfreien Ökonomie befördern. Ein grünes Beschäftigungsprogramm hätte unter allen denkbaren Varianten den geringsten CO2-Fußabdruck. Warum es die Bundesregierung nicht längst gestartet hat, entbehrt jeder wirtschaftlichen Vernunft. Ein Heer an Perspektivlosen können wir uns als Gesellschaft nicht leisten. Zu hoch wäre der Preis – menschlich wie wirtschaftlich.

 

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