Eine kranke neue Ordnung
Dokument mit Zündstoff: Die Wirtschaft will erkrankte ArbeitnehmerInnen stärker kontrollieren und fordert massive Änderungen in der Krankenordnung. ArbeitgeberInnen sollen anordnen dürfen, deren Gesundheit zu überprüfen und mehr Auskünfte erhalten.
In einem neun Seiten starken Dokument mit vielen roten Textpassagen fordert die Wirtschaft eine ganze Batterie neuer Maßnahmen in der Krankenordnung. MOMENT liegt das Papier vor, das PatientInnen gegenüber ihren ArbeitgeberInnen in Zukunft weit schlechter stellen soll als jetzt. Sie sollen viel stärker kontrolliert werden und ArbeitgeberInnen mehr Informationen über deren Erkrankungen erhalten dürfen.
Unternehmen sollen die Krankenkassa von sich aus auffordern dürfen, dem Gesundheitszustand ihrer Angestellten hinterherzuprüfen. VertreterInnen der Beschäftigten laufen Sturm dagegen. Die Ärztekammer ist alarmiert: Das Vertrauensverhältnis zwischen ÄrztInnen und PatientInnen werde „nachhaltig unterminiert“, sagte deren Präsident Thomas Szekeres.
Von Misstrauen geprägtes Menschenbild
Schon am kommenden Dienstag soll der Überleitungsausschuss der neuen Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) über die Vorschläge befinden. Wie die Wirtschaft diese formuliert, zeigt auch, welches Menschenbild dort offensichtlich herrscht.
Ein Auszug: Die Regelungen der bisherigen Krankenordnung führten dazu, „dass Versicherte während der Arbeitsunfähigkeit bei vollem Bezug der Entgeltfortzahlung/Krankengeld beispielsweise auf Sommerurlaub in den Süden fliegen oder bei vollem Bezug des Rehabilitationsgeldes sich über längere Zeiträume außerhalb des Betreuungsgebietes der ÖGK (z.B. in ihrem Heimatland) aufhalten.“
Praktisch wird damit jeder Person in Österreich unterstellt, Krankenstand vorzutäuschen, um währenddessen Urlaub unter Palmen zu machen. Und ganz deutlich wird dabei (wenn auch in Klammern) der Finger auf MigrantInnen gerichtet. Die Wirtschaft nehme ArbeitnehmerInnen unter „Generalverdacht“, kritisierte auch Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft der Privatangestellten (GPA-djp).
Neue Pflichten bei Ortswechseln
Dabei ist es schon heute nicht ganz so einfach, im Krankenstand irgendwohin zu fahren: Ortswechsel müssen gemeldet und von der behandelnden Stelle befürwortet werden. Woanders hinzufahren darf sich nicht negativ auf die Heilung auswirken und die weitere medizinische Betreuung und Behandlung muss möglich sein. Wer erwischt wird, muss mit empfindlichen Sanktionen rechnen, bis hin zum Jobverlust.
In Zukunft soll ein Ortswechsel nur dann erfolgen dürfen, wenn er sich „nachweislich positiv“ auf die Heilung auswirkt oder „ein triftiger Grund“ vorliegt. Daneben soll viel enger gefasst werden, von wann bis wann PatientInnen woanders sein dürfen. Und: Bisher musste die Kasse einem Ortswechsel zustimmen, wenn alle Kriterien dafür erfüllt waren. In Zukunft dürfte sie auch dann Nein sagen, wenn die deutlich härteren Kriterien dafür erfüllt sein sollten. Aus der Muss-Bestimmung würde also eine Kann-Bestimmung.
Unternehmen können Prüfung anordnen
Bisher gilt: Verdächtigt ein Unternehmen seine ArbeitnehmerInnen, Krankenstand zu missbrauchen, kann es bei der Krankenkasse anregen, einmal zu prüfen, wie schwer erkrankt diese Person denn tatsächlich ist. Die Kasse entscheidet dann selbst, ob sie dem nachgeht oder nicht. In Zukunft soll es nicht bei der Anregung bleiben, sondern habe „die Kasse auf Antrag des Dienstgebers/der Dienstgeberin eine Prüfung des Gesundheitszustandes durchzuführen“, heißt es im Forderungskatalog der Wirtschaft.
Dazu gibt es schon jetzt einen Entwurf für die neue Krankenordnung. Er wird derzeit begutachtet wird. Wer potenziell Aufsehen erregendes sucht, findet es schnell: So heißt es darin, dass PatientInnen verpflichtet werden sollen, PrüferInnen der Kassen, die an ihrer Haustür klingeln, „einzulassen und die erforderlichen Auskünfte zu erteilen“. Nicht einmal KriminalpolizistInnen könnten so einfach in die Wohnung der PatientInnen gelangen. Denn die brauchen dafür einen Gerichtsbeschluss.
Dazu sollen Sanktionen kommen: Schon wer bei einer Kontrolluntersuchung nicht erscheint, soll sofort bestraft werden. Ginge es nach der Wirtschaft, würde dann das Unternehmen informiert und die Arbeitsunfähigkeit mit „sofortiger Wirkung“ beendet werden.
Sag uns, warum Du krank bist!
ArbeitnehmerInnen sollen mehr Details zu ihrer Arbeitsunfähigkeit offenlegen. Beginn und voraussichtliches Ende des Krankenstands müssen genannt werden. Das steht auch heute schon in dem Gesetz, das die Lohnfortzahlung Im Krankheitsfall regelt. Laut Wirtschaft fehlten bei den Bescheinigungen aber oft Angaben darüber, wie lange der Krankenstand andauere. Das würde „den Dienstgeber mangels Planbarkeit unnötig belasten“, heißt es im Papier der Wirtschaft für die neue Krankenordnung.
Auch die Ursache für den Krankenstand und ärztlich angeordnete Ausgehzeiten und Bettruhe sollen „verbindlich und der Diagnose entsprechend“ angegeben werden. Unter „Ursache“ soll zwischen „Arbeitsunfall“, „Berufskrankheit“ oder einer „sonstigen Arbeitsunfähigkeit“ unterschieden werden. Die genaue Diagnose – darauf verweisen auch die AutorInnen des Forderungspapiers – muss nicht angegeben werden.
Strenger soll es allerdings zugehen: Wer in Zukunft zur Ursache des Krankenstandes nichts angibt, für den „entfällt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung“, heißt es weiter hinten im Dokument.
Für Ärztekammer-Chef Szekeres ist das ein Einfallstor für mehr. „Von einer ersten Lockerung des Arztgeheimnisses bis zu einer exakten Diagnosestellung ist der Weg nicht mehr weit“, kritisert er. Er fürchtet, dass ArbeitnehmerInnen ihre Beschwerden aus Angst vor negativen Folgen im Job zukünftig verheimlichen und nicht oder zu spät behandeln lassen.
Krank am Wochenende: Pech gehabt!
Was sich nicht ändern soll: Auch in Zukunft sollen ÄrztInnen Meldungen über die Arbeitsunfähigkeit ihrer PatientInnen um einen Werktag rückdatieren können. Das ging bisher auch von Montag rückwirkend auf Freitag. In Zukunft soll „in Branchen in denen Samstag/Sonntag ein normaler Arbeitstag ist, keine pauschale Rückdatierung um 3 Tage von Montag auf Freitag akzeptiert werden“, heißt es im Papier.
Im Klartext: Wer im Handel oder in der Gastronomie arbeitet und am Wochenende erkrankt, hat Pech. „Auch das AKH kann dem Kellner dann keine Krankschreibung ausstellen, wenn sie keine Vereinbarung mit der ÖGK darüber hat“, erläutert Burger. Einen Arzt, der einen am Sonntag krankschreibt, muss man erst einmal finden. „Das zeigt, wie lebensfremd das ist“, so der Experte.
Die Wirtschaft ist erstaunt über die „Aufregung“ um das Papier. Dass um die Forderungen der Wirtschaft so gestritten wird, ist für Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger „in keinster Weise nachvollziehbar“.
Anstatt aber die ArbeitnehmerInen damit zu beruhigen, dass sich für sie nichts verschlechtern werde, begründet er das so: Der am Dienstag tagende Überleitungsausschuss in der ÖGK könne rechtlich die Krankenordnung nicht ändern, so Egger. Das könne nämlich nur die neue Hauptversammlung der ÖGK tun, die im Jänner erstmals zusammentrifft.
Mindestens die Weichen, auf denen die zusammengelegte ÖGK in die Zukunft abbiegt, werden am Dienstag aber wohl schon gestellt. Seit der schwarz-blauen Kassenreform haben die Unternehmen in der Selbstverwaltung der Krankenkassa erstmals dieselbe Anzahl an Stimmen wie die ArbeitnehmerInnen. Das gab es selbst in Kaiserzeit nicht!
KritikerInnen monieren, die ArbeitgeberInnen hätten sogar die Stimmmehrheit. Denn mit Martin Schaffenrath vom ÖAAB sitzt aufseiten der ArbeitnehmerInnen ein Vertreter der ÖVP im Ausschuss. Auf wessen Seite er sich wohl am Ende stellen wird? Zur Tiroler Tageszeitung sagte er: „Ich werde keiner Verschlechterung zu Lasten der Arbeitnehmer zustimmen.“ Man sollte ihn beim Wort nehmen.