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Ungleichheit
Arbeitswelt
Gesundheit

In einem Raum voller Frauen ist immer eine dabei, die Gewalt erfahren hat

Eigentlich wollte ich bloß eine Präsentation über einen Verein halten, der die Vernetzung von Frauen am Arbeitsmarkt fördert. Dann meldeten sich plötzlich Frauen im Publikum, die Opfer von Gewalt geworden sind.

„Was macht ihr, wenn sich eine Frau an euch wendet, weil sie Gewalt erfährt?“, fragt mich eine Frau. Wir kennen uns nicht. Ich habe gerade eine Präsentation gehalten über den Frauenverein, bei dem ich mich engagiere. Schwerpunkt: Arbeitsmarkt. Die Frauen im Publikum sind auf Arbeitssuche, machen eine Weiterbildung.

„Mir ist das passiert. Ich wurde geschlagen“, sagt eine andere Frau.

„Ich war sogar im Krankenhaus, trotzdem ist mein Kind bei ihm. Ich muss vor Gericht wegen der Obsorge“, erzählt die nächste. Sie sieht nicht älter aus als 20 Jahre.

Eigentlich wollten wir über Vernetzung sprechen, Lebensläufe, Aufstiegschancen. Auch dazu kamen ein paar zögerliche Fragen. Bis das Wort Gewalt den gesamten Raum einnimmt. Ich erkläre, dass wir selbst nichts tun können, bloß Kontakte zu Beratungsstellen weitergeben. Ich sage, dass Gewalt unglaublich verbreitet ist, wie frustrierend es ist, dass so wenig getan wird.

„Was kann die Politik überhaupt dagegen machen?“, fragen die Frauen. Eine berechtigte Frage.

In einer Gewaltbeziehung sammeln sich oft alle sozialpolitischen Probleme zu einer grauen Pfütze: Armut, finanzielle Abhängigkeit vom Partner, kein soziales Sicherheitsnetz, die Angst um die Kinder, keine beruflichen Perspektiven. Wenn ich ganz ehrlich sein soll, habe ich selbst keine Ahnung, wo wir anfangen sollen.

Ich bin dankbar, dass fremde Frauen sich in den Moment getraut haben, zu sagen: Ich auch. Das ist vielleicht ein erster Schritt. Ich wünschte nur, es müsste nicht so sein.

Alte Floskeln, keine Hilfe

Aber jedes Mal, wenn es Männergewalt auf die Titelseiten der Tageszeitungen schafft, erklären uns ExpertInnen: Wir müssen in der Kindheit ansetzen. Ja, das müssten wir. Und wenn wir jetzt anfangen, dann könnten wir das Problem in ein paar Generationen entschärfen. Aber wir tun es nicht.

Jedes Mal, wenn eine Frau stirbt, weil ein Mann glaubt, über Leben und Tod entscheiden zu dürfen, kramen wir die alten Floskeln wieder aus. Wir müssen Frauen schützen, härter durchgreifen bei Tätern, höhere Strafen. Und so weiter. Nach einem Jahr mit auffällig vielen Morden an Frauen bekommen wir ein „Gewaltschutzpaket“, das nicht einmal die Leiterinnen von Frauenhäusern besonders prickelnd finden.

Wenn sich nichts ändert, wird in jedem Raum voller Frauen zumindest eine sitzen, die sich aus der Gewalt befreit hat oder gerade darum kämpft.

 

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