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Gesundheit

Ellen ´t Hoen: Wie Patente den weltweiten Zugang zu Medikamenten behindern

Patente sollen Innovationen fördern doch erschweren in der Praxis oft den Zugang aller zu lebensrettenden Medikamenten. Warum ein Patent-Pool den Zugang verbessern kann, aber dies im Fall von Covid-19 nicht ausreicht, erklärt die internationale Expertin Ellen 't Hoen.

Ellen ‚t Hoen gilt als einer der einflussreichsten Menschen, wenn es um Patente geht. Dabei bekämpft sie sie vor allem. Die Juristin will nämlich, dass alle Menschen Zugang zu lebensrettenden Medikamenten und Impfungen haben – egal ob im Kampf gegen HIV oder Corona.

In der Theorie sollen Patente Innovationen fördern. Aber in der Praxis erschweren sie oft den Zugang aller zu lebensrettenden Medikamenten. Warum ein Patent-Pool den Zugang verbessern kann, aber dies im Fall von Covid-19 nicht ausreicht. 

Ellen ´t Hoen ist gelernte Juristin, weltweit angesehene Expertin für medizinische Patente und forscht an der Universität Amsterdam. Seit über 20 Jahren ist sie auch für Ärzte ohne Grenzen tätig. Im MOMENT-Interview erklärt sie uns warum es eine Reform des Patentrechts braucht und warum wir in der Corona-Krise die bereits vorhandenen Schwachstellen des Patent-Systems zu spüren bekommen. 

 

MOMENT: Fangen wir zunächst einmal ganz grundlegend an: Was ist ein Patent, wozu soll es dienen? 

‚t Hoen: Ein Patent ist ein staatlich erteiltes Recht, für jemanden der eine Erfindung macht. Es soll andere davon abhalten, diese Erfindung ohne dessen Zustimmung zu nutzen. Durch den alleinigen Anspruch wird ein Monopol geschaffen. Damit der Investor das Investment wieder reinholen kann. 

Die Idee dahinter ist, dass man durch solch ein System Innovationen anregt. Das Problem Nummer eins ist, dass wir nicht wissen, ob das überhaupt stimmt. Würde es wirklich weniger Innovationen geben, wenn wir kein Patent-System hätten? Es dient auch dazu, Innovationen zu verbreiten. Hersteller können auch das Nutzungsrecht für ein Patent beantragen. Patente sind zeitgebunden mit einem Minimum von 20 Jahren. Das ist durch internationales Recht geregelt, aber Patente selbst sind national. Es gibt keine internationalen Patente. Jedes Land entscheidet selbst, ob sie ein Patent ausstellen wollen oder nicht und was ihre Kriterien dafür sind. Das ist eine ziemliche wichtiger Spielraum im Patent-System. 

MOMENT: Was ist die Gegenleistung?

‚t Hoen: Im Gegenzug für ein Monopol musst du deine Idee offenlegen. Theoretisch sollte jeder, der das Patent liest, es nachmachen können. In dem Moment, in dem ein Patent abläuft, sollte jeder in der Lage sein, die Erfindung herzustellen. In der Praxis funktioniert das nicht immer so, aber das ist die Idee dahinter. 

MOMENT: Was ist das Problem in der Praxis?

‚t Hoen: Mit einem Monopol entsteht auch ein Preismonopol. In der Medizin ist das sehr problematisch, wenn die Preise für die Menschen, die die Medikamenten brauchen so hoch sind, dass sie oder ihre Gemeinden es sich nicht leisten können. Das ist vor allem bei neuen Medikamenten der Fall. Die Hersteller, die diese Patente übertragen bekommen, werden anderen nicht einfach so erlauben diese Patente zu nutzen. Also kommt der Wettbewerb zum Stillstand. Man hat ein starkes Monopol und hohe Preise, durch die man eine hohe Ungleichheit hat im weltweiten Zugang. Das konnten wir bei den HIV-Medikamenten beobachten. Aber es trifft auf alle Innovationen zu, die von Monopolen profitieren. 

„Derzeit profitieren 97% der Menschen aus dem globalen Süden von den Lizenzen im Patent-Pool. Trotzdem ist es keine Lösung für die grundlegenden Probleme, die das System hervorbringt. „

MOMENT: Wie löst man derartige Probleme? 

‚t Hoen: Es gibt mehrere Lösungen für unmittelbare Zugangsprobleme. Fast alle nationalen Patentrechte erlauben dem Staat unmittelbar einzugreifen. Die Regierung kann sagen: OK, das Patent existiert, aber die Preise sind zu hoch oder ihr stellt es nicht zur Verfügung. Deswegen werden wir das Patent aussetzen und anderen erlauben, das Produkt aus dem Ausland zu bestellen oder selber herzustellen. Das ist dann verpflichtend. 

MOMENT: Was ist ein Patent-Pool? 

t‘ Hoen: Es gibt auch die freiwillige Lizenzierung. Hier wird das Patent von der InhaberIn für eine bestimmte Dauer anderen Herstellern zur Verfügung gestellt. Und das kann auch durch einen Patent-Pool passieren. Das haben wir nach einiger Zeit für HIV geschaffen. 2010 haben wir mit Unterstützung der Vereinten Nationen eine Patentpool-Initiative für HIV-Medikamente gegründet. Dafür haben wir alle Patente zusammengebracht, um die von Weltgesundheitsorganisation empfohlenen HIV-Medikamente herzustellen. Das funktioniert ziemlich gut. Derzeit profitieren 97% der Menschen aus dem globalen Süden von den Lizenzen im Patent-Pool. Trotzdem ist es keine Lösung für die grundlegenden Probleme, die das System hervorbringt. 

MOMENT: Wie haben sich diese grundlegenden Probleme des Patent-Systems bei der Covid-19-Krise gezeigt?

‚t Hoen: Das ist die wichtige Lehre aus dem was gerade passiert mit Covid-19. Als klar wurde, wie ernst die Sache ist, hat sich niemand zurückgelehnt und gesagt: Wir haben hier dieses tolle Patentsystem, also schauen wir was die Pharmaindustrie sich einfallen lässt. Stattdessen haben die Regierungen eine tragende Rolle dabei gespielt, die nötigen Innovation im Voraus zu finanzieren. Und meiner Meinung nach ist das ein viel besserer Weg um Innovationen zu schaffen als das Patentsystem. 

Doch was die Regierungen wahrscheinlich mit Absicht vergessen haben, war den Firmen Schranken zu setzen im Umgang mit dem geistigen Eigentum. Es gibt heute zwar einen Pool für Corona-Technologie, aber dieser Pool ist leer. Es wurden keine Forderungen an Unternehmen gestellt, ihr Wissen im Gegenzug für die öffentlichen Forschungsgelder dort freizugeben. 

MOMENT: Aber in der Theorie würde ein Patent-Pool dazu führen, dass Medikamente automatisch günstiger werden?

‚t Hoen: Ja, das passiert durch Wettbewerb. Die Kosten für die Herstellung von Medikamenten sind normalerweise sehr niedrig. Die Kosten sind nur ein Bruchteil von dem was der Anbieter dafür verlangt. Durch den Wettbewerb auf dem Markt gehen die Preise nach unten. 

„Die Regierungen haben die Chance verpasst, Forderungen zu stellen, an diejenigen die Finanzierung erhalten, um die Produkte zu entwickeln.“

MOMENT: Wie Sie auch bereits in ihrem Ted-Talk aus dem Jahr 2012 erklärt haben, hat sich der Zugang zu HIV-Medikamenten verbessert, nachdem 2010 ein Patentpool eingerichtet wurde. Innerhalb weniger Jahre sind die Preise für HIV-Medikamente drastisch gesunken. Können wir daraus etwas lernen für den Umgang mit der Covid-19-Krise? 

‚t Hoen: Auf jeden Fall, auch wenn der Preis hier weniger das Problem ist, sondern die hergestellte Menge. Hier geht es nicht nur um das Teilen von Patenten, sondern auch von Wissen und Technologie. Denn man braucht mehr als Patente um eine Impfung herzustellen. Doch es wird in Zukunft auch Covid-Medikamente geben. Dann sind wir wieder näher am Beispiel der HIV-Medikamente dran, weil hier unter Umständen das Teilen von Patenten ausreichen wird. 

MOMENT: Der Patent-Pool ist freiwillig. Gibt es auch Fälle, in denen der Staat Firmen dazu zwingt, Medikamente freizugeben?

‚t Hoen: Dafür gibt es viele Beispiele und wir dokumentieren diese auf der Website von Medicines Law & Policy. Ursprünglich haben Regierungen Ausnahmen im großen Rahmen gemacht für HIV-Medikamente. In letzter Zeit war es öfter für Krebsmedikamente. Aber wir haben auch verpflichtende Lizenzierungen von Covid-19-Kandidaten gesehen. Dieser Mechanismus spielt wieder eine ziemlich wichtige Rolle in dieser Krise. 

Doch es geht hier um verpasste Chancen. Die Regierungen haben die Chance verpasst, Forderungen zu stellen, an diejenigen die Finanzierung erhalten, um die Produkte zu entwickeln. Zwar können sie auch jetzt noch Druck auf die Unternehmen ausüben, aber es wäre einfacher gewesen, wenn das früher passiert wäre.

MOMENT: Braucht es Patente nicht trotzdem um weiterhin Innovationsanreize für Firmen zu bieten? 

‚t Hoen: Zuerst einmal haben Regierungen im Fall von Covid-19 viele Milliarden Euro (Anmerkung der Redaktion: Derzeit liegen die weltweiten staatlichen Investitionen bei 93 Milliarden Euro) ausgegeben für die Innovationsförderung. Den Anreiz bilden also nicht Patente, sondern die direkte Finanzierung. Tatsächlich brauchen die Firmen die Patente gar nicht. Sie haben das Geld um das zu tun, was wir von ihnen wollen. Die Patente spielen also keine Rolle. Dennoch wollen Pharmakonzerne an den Patenten festhalten, weil Patente  einen gewissen Wert haben und es eine Möglichkeit ist, den Markt zu kontrollieren. Patente sind somit kein Anreiz, sondern eher Werkzeug zur Manipulation des Marktes. 

Wenn man sich die HIV-Medikamente ansieht, verkauft der Patent-Pool vor allem an Länder, in denen die großen Pharmakonzerne gar nicht tätig sind. Der Patent-Pool würde ihnen also nicht schaden. Es könnte sogar ihr Image aufbessern. Außerdem erhalten die Inhaber der Patente Lizenzgebühren, egal ob sie die Lizenzen freiwillig oder unfreiwillig ausstellen. Diese sind zwar niedriger, aber dennoch profitieren die Unternehmen davon. Denn manche Käufe würden sonst tatsächlich nicht passieren. 

„Es wäre viel besser all dieses Wissen zu teilen und mehr Zusammenarbeit zu haben, anstatt Wettbewerb.“

MOMENT: Kann man sagen, dass das derzeitige Patentrecht das Ende der Covid-19-Krise weiter hinauszögert? 

‚t Hoen: Viele Experten sagen, dass wir, um weiterzukommen, Patente vergessen und stattdessen alles Wissen zusammenbringen sollten. Wir sehen zwar ganz viel Zusammenarbeit in der wissenschaftlichen Welt, aber es wird da schwieriger, wo das Wissen weitergegeben wird zu den Herstellern. Wenn ein Produkt auf den Markt geht, wird nicht mehr geteilt. Aber es wäre viel besser all dieses Wissen zu teilen und mehr Zusammenarbeit zu haben, anstatt Wettbewerb in der Innovation. Das passiert bisher nicht, weil es dafür einen starken Kurswechsel im aktuellen System bräuchte. 

MOMENT: Warum stellen wir nicht einfach überall auf der Welt Produktionsstätten auf, um mehr vom Corona-Impfstoff zu produzieren?

‚t Hoen: Viele Dinge müssten dafür passieren. Wissen und Technologie muss geteilt werden. Und was uns fehlt, ist ein internationaler Unterstützungsmechanismus für die Produktion größerer Mengen. Gleichzeitig gibt es auch derzeit ungenutzte Produktions-Möglichkeiten für Covid-19-Impfstoffe in Entwicklungsländern. Wenn die Technologie weitergeben wird, könnte man diese Möglichkeiten ausschöpfen. Es geht also auch darum, die bereits bestehenden Möglichkeiten für die Herstellung von Impfstoffen zu nutzen. Und es braucht hier einen Plan für die weltweite Produktion von Impfstoffen in zukünftigen Pandemien, um Situationen wie die jetzige zu verhindern. 

MOMENT: Moderna hat angekündigt, seine Covid-19-Patente außer Kraft zu setzen. Bringt uns das weiter? 

‚t Hoen: Das ist ein sehr guter erster Schritt, aber ohne den Transfer der Technologie ist das nicht bedeutsam genug. Das wäre im Fall der Medikamente gegen das HIV-Virus ganz anders gewesen – aber nicht im Fall von Impfungen, weil man da den Transfer von Patenten, Wissen und manchmal auch Technologie braucht.

 

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