Unerträgliche Regelschmerzen: "Endometriose ist eine Volkskrankheit"
Als Sinah Edhofer (29) die Pille absetzte, hatte sie plötzlich mit unerträglichen Schmerzen im Unterleib zu kämpfen. Die Schmerzen kamen jeden Monat mit Beginn ihrer Regelblutung und wurden so schlimm, dass sie trotz starker Schmerzmittel oft tagelang im Bett lag und Krankenstand nehmen musste. Über die Ursache der plötzlich aufgetretenen Schmerzen war sie lange im Unklaren. Auch ihre ÄrztInnen kamen nicht darauf. „Die meisten meiner GynäkologInnen haben meine Beschwerden als normale Regelschmerzen abgetan“, erzählt die Journalistin, Podcasterin und Bloggerin.
Sinah hatte sich bereits mit ihren monatlichen Beschwerden abgefunden: „Ich dachte, es gäbe keine andere Lösung für mich“. Durch Zufall fand sie dann aber selbst heraus, dass ihre Schmerzen alles andere als normal waren. Für einen Artikel recherchierte sie zu den Themen Kinderlosigkeit und In-Vitro-Fertilisation. Sie stieß auf die Krankheit Endometriose, eine der häufigsten Ursachen für unerfüllten Kinderwunsch. Von da an beschäftigte sie sich intensiver mit dem Thema, denn sie vermutete, dass sie selbst an dieser Krankheit leiden könnte. „Ich habe mir daraufhin eine Gynäkologin gesucht, die sich meine Geschichte anhört und meine Vermutung ernst nimmt“, sagt Sinah.
Was sind die Symptome von Endometriose?
Sinahs Verdacht bestätigte sich: Sie hat die Krankheit Endometriose. Über die Krankheit weiß man bisher, dass sich Schleimhaut der Gebärmutter an Stellen des Körpers ansiedelt, wo sie nicht hingehört. Das kann an der Außenseite der Gebärmutter, den Eileitern oder Eierstöcken, in selteneren Fällen auch am Darm, an der Lunge und gar im Gehirn der Fall sein. Dies führt zu Entzündungsreaktionen, die Schmerzen verursachen.
Die Diagnose der Krankheit ist schwierig, weil die Beschwerden von Frau zu Frau sehr unterschiedlich sein können. Endometriose kann Schmerzen bei der Regelblutung, Unterbauchschmerzen, Schmerzen beim Sex oder beim Stuhl- und Harnlassen verursachen. Zusätzlich kann Endometriose auch zu Problemen beim Schwangerwerden führen.
Wie erkennt man Endometriose?
Sinah erhielt ihre Diagnose erst viele Jahre nach den ersten Symptomen. Damit ist sie nicht allein: Vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnose vergehen im Schnitt drei bis elf Jahre. Durch die starken Schmerzen, an denen die meisten leiden, ist das mit einem hohen Leidensdruck für die Betroffenen verbunden.
Die schwierige Abgrenzung zu anderen Erkrankungen ist aber nur ein Grund, warum eine Diagnose erst so spät gestellt wird. Ein anderer ist, dass die Krankheit immer noch schlecht erforscht ist und ihre Ursachen unbekannt sind. Es gibt zwar ein paar Theorien, restlos geklärt ist keine davon.
Männer sind in der Medizin immer noch der Standard
Das wiederum liegt auch daran, dass es eine Krankheit ist, die nur Frauen betrifft. “Würde die Krankheit auch Männer betreffen, hätten wir schon längst eine Lösung”, sagt Sylvia Mechsner, die das Endometriose-Zentrum der Berliner Charité leitet in einem Interview.
In der medizinischen Forschung sind Frauen immer noch stark unterrepräsentiert. Forschungsergebnisse geben in erster Linie die männliche Perspektive wieder. Eine Auswertung der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA ergab, dass die Hälfte der 2018 und 2019 neu zugelassenen Arzneimittel an Versuchsgruppen getestet wurde, die zu weniger als 50 Prozent aus Frauen bestanden.
Dass Schmerzen bei Frauen nicht immer ernst genommen werden, ergab auch eine Studie aus den USA: Demnach erhalten Frauen in der Notaufnahme, die von akuten Schmerzen berichten, seltener Schmerzmittel als Männer. Bekommen sie welche, warten sie länger auf diese.
Sind starke Regelschmerzen normal?
René Wenzl, Gynäkologe und Leiter des Endometriosezentrums Wien, sagt dazu: „Es wird leider immer wieder gesagt, dass Schmerzen bei der Regelblutung etwas Normales sind.” Er appelliert daran, Endometriose besser zu erforschen. „Sowohl Betroffene als auch einige meiner ärztlichen KollegInnen anderer Fachgebiete wissen zu wenig über die Krankheit und denken gar nicht an diese Problematik.” Eine gründliche Untersuchung bleibt bei vielen Patientinnen daher aus.
Dabei ist Endometriose eine der häufigsten gutartigen Krankheiten der Frau. Fünf bis zehn Prozent aller Frauen im reproduktiven Alter – das ist die Zeit von der ersten bis zur letzten Regelblutung – erkranken daran. Allein in Österreich sind das 100.000 bis 200.000 Frauen. Weltweit gibt es rund 200 Millionen Betroffene. „Endometriose ist eine richtige Volkskrankheit“, sagt Wenzl.
Diagnose und Behandlung von Endometriose durch Operation
Bestimmte Formen von Endometriose kann man bisher nur mit einer Bauchspiegelung, einem operativen Verfahren, endgültig feststellen. Auch bei Sinah war das der Fall. Im Zuge der OP wurde Sinah gleich ein Endometrioseherd entfernt. „Das hat meine Lebensqualität massiv gesteigert“, sagt sie. Völlig geheilt ist sie aber nicht. „Wir können uns bei dieser Erkrankung nur um die Symptome kümmern“, sagt Wenzl. Eine Heilung der Krankheit gibt es zwar nicht, eine richtige Behandlung kann die Symptome und Schmerzen aber wesentlich reduzieren.
Durch eine Ernährungsumstellung und zusätzliche Maßnahmen konnten Sinahs monatliche Beschwerden weiter gelindert werden. Bis sie zur für sie richtigen Therapieform kam, verging viel Zeit. Ihr Körper hatte über diese Jahre ein Schmerzgedächtnis entwickelt. „Ich hatte jeden Monat Angst vor der Periode. Solche Beschwerden beeinträchtigen den Alltag und die eigene Psyche massiv“, sagt sie. Diagnose und Behandlung können viel Geld kosten. „Ohne private Krankenversicherung hätte ich mir die PrivatärztInnen und den Aufenthalt im Spital vermutlich nicht leisten können“, sagt Sinah.
“Nehmt eure Symptome ernst!”
René Wenzl hofft, dass die Krankheit in Zukunft mehr Aufmerksamkeit findet und ernster genommen wird. „Es ist wichtig Sensibilität für das Thema zu schaffen und es nicht mehr zu verschweigen. Es sollte auch nicht mehr als normal anerkannt werden, wenn eine junge Frau bei der Regelblutung massive Beschwerden hat und arbeitsunfähig wird oder sie gar kollabiert und das Spital aufsuchen muss“, sagt er.
Auch Sinah rät Betroffenen ihre Beschwerden nicht kleinzureden: „Nehmt eure Symptome zuallererst selbst ernst und sucht euch ÄrztInnen, die dies ebenso tun und sich Zeit für euch nehmen. Sensibilisiert euer Umfeld und seid ehrlich, wenn ihr Schmerzen oder andere Symptome habt.“
Sinah weiß, wie es ist, mit der Krankheit alleine gelassen zu werden. Dass das Thema eine breitere Öffentlichkeit erfährt und sich Betroffene miteinander austauschen, findet sie enorm wichtig. „Die Menstruation und der weibliche Körper sind leider immer noch wahnsinnig stigmatisiert. Diese Tabus führen dazu, dass sich viele Frauen mit ihrem Zustand arrangieren. Solche Tabus machen uns krank.“