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Ungleichheit

Was Energiearmut heißt: “Ich muss mich entscheiden: Essen oder Heizen?”

Was Energiearmut heißt: “Ich muss mich entscheiden: Essen oder Heizen?”
Die Preise für Strom und Heizen explodieren. Energiearme Haushalte leiden besonders darunter. Geringe Einkommen, hohe Kosten, marode Häuser. Soziale Organisationen schlagen Alarm: Der einmalige Energiekostenausgleich der Regierung reicht nicht, um Energiearmut zu bekämpfen. Was jetzt getan werden muss.

Steigende Preise, explodierende Heizrechnung, aber nicht mehr Geld im Börserl. Menschen mit sehr kleinem Einkommen müssen überdurchschnittlich viel dafür ausgeben, ihre Wohnungen warm und den Kühlschrank am Laufen zu halten. Für sie wird es jetzt richtig eng. „Eine hohe Stromnachzahlung hat mich gezwungen, zwischen Essen für die Kinder oder einem warmen Zuhause zu entscheiden“, erzählt eine zweifache Mutter aus der Steiermark. Sie entschied sich für das Essen und suchte dann Hilfe bei der Caritas.

Eine vierfache Mutter aus dem Burgenland klopfte bei der Volkshilfe an. Früher sei sie mit monatlich 100 Euro für Strom ausgekommen: „Jetzt schaue ich auf den Stromzähler und sehe, das geht sich nicht mehr bis zum Ende des Monats aus“, sagt sie. Ihre Stromkosten seien um 50 Prozent gestiegen. Statt mit der Jahresabrechnung eine Gutschrift zu bekommen, „hatte ich zum ersten Mal eine Nachzahlung“, schilderte die Frau der Volkshilfe.

Energiearmut: Wenig verdienen, mehr zahlen für Strom und Wärme

Es sind keine Einzelfälle. Rund 140.000 Haushalte in Österreich sind laut Momentum Institut „energiearm“. Ihr Einkommen liegt unter der Armutsgefährdungsschwelle von 60 Prozent des mittleren Einkommens. Gleichzeitig müssen sie 40 Prozent mehr für Energie zahlen als der mittlere Haushalt. Woran das liegt? Wer wenig verdient, lebt häufiger in schlecht gedämmten Wohnungen mit ineffizienten Gas- oder sogar Ölheizungen und ohne Anschluss an zentrale Fernwärme.

Laut Statistik Austria lagen im Jahr 2018 – aktuellere Zahlen gibt es nicht – die Energiekosten pro Haushalt bei etwas mehr als 1.200 Euro im Jahr. Energiearme Haushalte mussten schon damals rund 500 Euro mehr zahlen. Wegen der aktuell rasant gestiegenen Energiepreise müssen laut Berechnungen des Momentum Instituts energiearme Haushalte im laufenden Jahr noch einmal mit rund 490 Euro Mehrkosten rechnen.

Uralter Ölofen und stromfressende Billiggeräte in der Wohnung

Manche trifft es besonders hart: „Es kommen Menschen zu uns, die haben Teilbeträge von 300 bis zu 500 Euro für Strom und Heizung – und das bei Einkommen von gerade einmal 1.300 Euro“, sagt Klaus Kroboth, vom Netzwerk Sozialberatung der Volkshilfe Wien zu MOMENT.

Laut Carmen Bayer von der Salzburger Armutskonferenz haben in der Stadt 1.000 Haushalte keinen Anschluss an eine Zentralheizung. „Viele haben einen uralten Ölofen in der Wohnung stehen. Der heizt dann nur einen Raum“, sagt sie zu MOMENT. Er verpeste die Raumluft und sei natürlich auch fürs Klima schädlich.

„Die Kanister mit Heizöl können nur an zwei Tankstellen nachgefüllt werden“, sagt Bayer. Und in öffentliche Verkehrsmittel oder Taxis einsteigen darf man mit dem Gefahrgut nicht. „Da entstehen auch wieder Kosten.“ Gerade ältere Menschen müssten in Salzburg auf diese Art heizen. Dazu kommt: „Wer wenig Geld hat, verwendet oft alte oder sehr billige Geräte, die zu den großen Stromfressern gehören“, sagt Anna-Maria Riemer von der Caritas Steiermark zu MOMENT.

 

Energiearmut bekommen Frauen besonders zu spüren

Energiearmut trifft nicht alle gleich. „Frauen sind von Energiearmut besonders betroffen“, sagt Maja Markanovic-Riedl aus der Fachbereichsleitung für mobile soziale Arbeit der Volkshilfe. Frauen verdienen weniger. 20 Prozent der Haushalte, in denen Frauen Hauptverdienerin sind, gelten als armutsgefährdet, bei Männern sind es elf Prozent.

Frauen lebten auch häufiger in schlecht isolierten Wohnungen und Häusern mit mangelhafter Bausubstanz, so Markanovic-Riedl. „Und wenn der Kühlschrank oder die Waschmaschine ausfällt und sie sich keine neue leisten können, dann sind es noch immer vor allem Frauen, die das zu spüren bekommen.“ Mühselig mit der Hand abwaschen, weil der Geschirrspüler den Geist aufgegeben hat, das bleibt oft an den Frauen hängen.

Was Organisationen wie Volkshilfe und Caritas tun können, ist: die schlimmsten Härten abfedern. „Wir können betroffene Haushalte derzeit mit maximal 350 Euro unterstützen“, sagt Klaus Kroboth. Mit einem Jahresbetrag von 30.000 bis 35.000 Euro leistet die Volkshilfe schnelle unbürokratische Hilfe. Es sind ausschließlich Spendengelder, die dafür hergenommen werden. Die Caritas Steiermark griff im vergangenen Jahr 500 Haushalten mit insgesamt 110.000 Euro unter die Arme, damit ihnen nicht Strom und Gas abgedreht werden.

Das alles reicht vielleicht, um den Energieversorger vorerst zu besänftigen. Für Personen mit wenig Einkommen, denen die Energiekosten über den Kopf wachsen, ist das oft zu wenig. Auch Stundungen würden mit den Versorgern ausgehandelt, im besten Fall Ratenzahlungen vereinbart, berichtet Kroboth. Aber: „Das Problem der viel zu hohen Energiekosten, geht für die Personen ja weiter“, sagt er. Mit vereinbarten Ratenzahlungen plus steigenden Energiekosten „haben sie in drei Monaten das gleiche Problem wieder“.

Energiekostenausgleich der Regierung erst im Sommer?

Eine einmalige Geldspritze. Das ist, was die Bundesregierung beschlossen hat, um Teuerung und steigende Energiekosten für die Haushalte abzufedern. Bis zu 450 Euro gibt es für Haushalte mit niedrigen Einkommen. Wann und wie der Bonus ausgezahlt wird, ist allerdings noch immer nicht klar. Ein Bonus im Sommer könnte für viele zu spät kommen. Inzwischen schlägt das Finanzministerium vor, an jeden Haushalt eine Art Gutschein zu verteilen. Ob sie aber Anspruch darauf haben, ihn überhaupt einlösen zu können, müsse dann jede:r selbst herausfinden.

Doch das ist nicht das einzige Problem. Das Momentum Institut analysierte: Für mehr als die Hälfte der energiearmen Haushalte – 52 Prozent – reicht die Einmalzahlung nicht aus, die steigenden Energiekosten auszugleichen. Dagegen reicht der Bonus für immerhin  63 Prozent der übrigen Haushalte aus, um die Mehrkosten zu decken. Heißt aber: Gerade dort, wo Hilfe besonders benötigt wird, kommt zu wenig an.

 
Das Balkendiagramm zeigt den Anteil der energiearmen und nicht energiearmen Haushalte, die vom Teuerungspaket ausreichend für die steigenden Energiekosten kompensiert werden. Bei den energiearmen Haushalten werden 52 % nicht ausreichend kompensiert. Bei den nicht-energiearmen Haushalten werden 37 % nicht ausreichend kompensiert.

Was müsste passieren, um Energiearmut nachhaltig zu bekämpfen? Die Energiekosten für gering verdienende Haushalte müssen runter: Indem Häuser renoviert und besser isoliert werden und alte ineffiziente Gas- und Ölheizungen ersetzt werden. Für energiearme Haushalte wird die billige Wohnung mit der teuren Energierechnung oft zur Falle.

„Armutsbetroffene Menschen können sich einen Umzug schon schwer leisten, auch wenn die neue Wohnung günstiger wäre“, sagt Carmen Bayer. „Wo renoviert wird, sind dann die Wohnungen für sie nicht mehr leistbar. Das ist die Crux.“

Was tun, wenn Vermietung nicht modernisieren will?

Förderungen zum Tausch der Heizung gibt es zwar. Aber energiearme Haushalte, die ja ganz überwiegend zur Miete wohnen, haben darauf gar keinen Einfluss. Denn die Vermieter:innen entscheiden, ob getauscht wird oder nicht. Wenn die sich querlegen, passiert auch nichts. „Gerade gering verdienende Menschen trauen sich gar nicht, etwas von den Vermieter:innen einzufordern“, sagt Maja Markanovic-Riedl von der Volkshilfe.

Dabei muss es nicht gleich die ganze Heizungsanlage sein, sondern auch schlicht Fenster, die dichthalten. „Dann sagt die Vermietung irgendwann vielleicht: „Ich suche mir mal jemanden, der umgänglicher ist, um es positiv zu formulieren“, so Markanovic-Riedl. Damit Mieter:innen nicht immer am kürzeren Hebel sitzen, schlägt das Momentum Institut Anreize vor, um Vermieter:innen zum Tausch von fossilen Heizungen zu motivieren. Eine Möglichkeit wäre gesetzliche Mietabschläge, wenn etwa die Wohnung noch mit einer Gastherme beheizt wird.

 
Das Liniendiagramm zeigt die Entwicklung der Inflationsrate für energiearme und nicht Energiearme Haushalte. Die Inflationsrate für energiearme Haushalte lag zuletzt höher als die der nicht energiearmen Haushalte.

Um gar nicht erst in die Energiearmut zu rutschen, sollten Sozialleistungen armutsfest gemacht werden und an die Inflation angepasst werden. Das Institut errechnete: Energiearme Haushalte litten besonders unter der steigenden Inflation. Während wir alle im Dezember 2021 um 4,3 Prozent mehr für Produkte, Dienstleistungen, Miete und Energie zahlen mussten, wurde es für energiearme Haushalte noch teurer. Sie müssen inzwischen 5,5 Prozent mehr für den Lebensunterhalt zahlen. Großer Preistreiber war: die Energie.

„Das ist eben nicht ein punktuelles Thema, wo man jetzt mal 300 bis 400 Euro zahlt und gut ist es“, sagt Markanovic-Riedl von der Volkshilfe. „Das ist ein Problem im System.“

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