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Fortschritt
Klimakrise

Energiecharta: Warum Konzerne auch nach der Reform gegen den Klimaschutz klagen können

Wer im Kampf gegen die Klimakrise ambitionierte Gesetze beschließt, muss dafür absurderweise immer öfter teuer bezahlen. Denn wenn Öl- und Gaskonzernen dadurch ein Nachteil entsteht, können sie Länder mit Milliardenklagen vor ein Schiedsgericht bringen. Möglich macht das die Energiecharta. Nach jahrelanger Verhandlung wurde der Vertrag jetzt überarbeitet. Die alten Probleme wurden dadurch aber nicht gelöst.

Du würdest als Land gerne aus Kohle oder Atomkraft aussteigen oder möchtest gerne ambitionierte Gesetze auf den Weg bringen, um die Klimakrise zu bekämpfen? Dann solltest du damit rechnen, dass dich das sehr viel Geld kostet, wenn Energiekonzerne damit ein Problem haben.

Klingt absurd, ist aber Realität. Einige Beispiele: Die Niederlande wollte das Verbrennen von Kohle ab 2030 beenden. Das Unternehmen RWE verklagt das Land deswegen auf 1,4 Milliarden Euro. Deutschland hat nach der Atomkatastrophe von Fukushima den Atomausstieg beschleunigt. Vattenfall hatte etwas dagegen und klagte vor einem internationalen Schiedsgericht. Man einigte sich auf eine Zahlung von 1,4 Milliarden Euro. Beim Kohleausstieg ließ es Deutschland gar nicht mehr so weit kommen. Um Klagen zu vermeiden, zahlte man weit über 4 Milliarden Euro an Unternehmen.

Möglich macht das die kaum bekannte Energiecharta. Diese wurde 1994 unterzeichnet, 54 Staaten und Organisationen sind mittlerweile daran beteiligt. Dazu gehören die EU und alle Mitgliedsstaaten (außer Italien), die Länder der ehemaligen Sowjetunion, Japan sowie Australien.

Ursprünglich hatte der Energiecharta-Vertrag den Zweck, die Interessen westlicher Investoren in den ehemaligen Sowjetstaaten zu schützen. Für Konzerne waren die öl- und gasreichen Länder eine Goldgrube. Was fehlte, war die rechtliche Absicherung – die sollte der Vertrag liefern. Dessen zentraler Punkt: Wenn sich ausländische Energieunternehmen von einem Land ungerecht behandelt fühlen, können sie es vor einem privaten Schiedsgericht verklagen. 

Die Energiecharta ist nicht der einzige Vertrag, der solche Verfahren erlaubt. Die Investorschiedsgerichtsbarkeit hat historische Wurzeln: “Das System ist in den 1960er und 70er-Jahren entstanden, als sich viele Länder im globalen Süden entkolonialisiert haben. Es war ein Instrument, um weiterhin sicherzustellen, dass die Unternehmen der ehemaligen Kolonialmächte dort weiterhin Zugriff haben”, so Iris Frey von Attac. Mittlerweile habe sich daraus ein eigener Rechtskörper entwickelt. Im Energiebereich bildet der Energiecharta-Vertrag die Grundlage für die meisten dieser Verfahren.

Mehr Klagen und höhere Strafen wegen Energiecharta

Die Energiecharta trat 1998 in Kraft, Verfahren gab es deswegen lange Zeit kaum. Doch die Klimakrise zwingt die Länder zum Handeln. Will die EU ihre geplanten Klimaziele erreichen, müssen die Mitgliedsstaaten die Förderung von fossilen Brennstoffen nach und nach einstellen und ambitionierte Gesetze auf den Weg bringen. Das ist für Gas- und Ölkonzerne allerdings ein großes Problem. Ihnen entgeht dadurch viel Geld.

Deswegen verklagen sie Länder immer häufiger vor internationalen Schiedsgerichten auf entgangene Gewinne. Im Vergleich zu den zehn Jahren davor wuchs die Zahl der Klagen auf Basis des Energiecharta-Vertrages zwischen 2011 und 2020 um 269%. Laut einer Studie des “International Institute for Sustainable Development”(PDF) gewinnen Investor:innen dabei fast drei Viertel der Fälle. Durchschnittlich wurde ihnen mehr als 600 Millionen Dollar zugesprochen. Die tatsächlichen Zahlen sind wohl höher. Doch mehr als die Hälfte aller abgeschlossenen Verfahren bleibt unter Verschluss.

Die Unternehmen, die am meisten zur Klimakrise beigetragen haben, können also klimafreundliche Gesetze bekämpfen, weil sie Angst um ihre Profite haben. Gegen den “gefährlichsten Investorenschutzvertrag der Welt” protestieren nicht nur Klimawissenschafter:innen und Aktivist:innen. Auch die EU-Kommission und die Mitgliedsländer kritisieren die Energiecharta schon lange als veraltet. Seit 2017 liefen deswegen Verhandlungen für eine Reform des Vertrages. Am 24. Juni wurden diese abgeschlossen und ein Ergebnis präsentiert.

Reform der Energiecharta: Schluss mit den Schiedsgerichten?

Die EU feiert die Reform der Energiecharta als Durchbruch. Vor allem deswegen, weil die Länder nun selbst entscheiden können, für welche Energieformen der Investitionsschutz gelten soll. Gehören damit Klagen vor privaten Schiedsgerichten der Vergangenheit an?

Ganz und gar nicht. “Die grundlegenden Kritikpunkte wurden kaum behoben. Die Investitionsgerichtbarkeit bleibt weiter erhalten”, sagt Frey. Denn der Haken an der neuen Regelung ist, dass sie für bestehende Investitionen erst in zehn Jahren nach Inkrafttreten des überarbeiteten Vertrages gilt. Bis dahin werden fossile Energieträger weiterhin geschützt. 

Genau diese zehn Jahre sind aber entscheidend im Kampf gegen die Klimakrise. Bis 2030 will die EU die CO2-Emissionen stark reduzieren. Um die Pariser Klimaziele zu erreichen, müssen zwischen 2030 und 2040 zudem die Verbrennung von Öl, Kohle und Gas beendet werden. Dazu müssen in den nächsten Jahren Maßnahmen gesetzt werden. Gegen die können Unternehmen jetzt weiterhin klagen.

Ein Schritt vor, zwei zurück

Doch auch danach gebe es laut Frey mehrere Ausnahmen. Denn die EU würde zwar den Investitionsschutz auf Öl und Kohle aussetzen. In vielen Fällen werde aber Gas weiterhin geschützt bleiben. “Der Anwendungsbereich wird außerdem auf weitere Energieträger, wie Biogase, synthetische Treibstoffe und Wasserstoff ausgeweitet”, sagt Frey. Letzterer werde derzeit zu fast 100 Prozent aus fossilen Energien hergestellt. Investitionen in klimaschädliche Energieformen würden so weiterhin geschützt.

Und auch wenn die EU den Schutz auf manche Energieträger aufheben wird, werden die anderen Mitgliedsländer nicht nachziehen. Sie haben viel Öl und Kohle und fürchten Investor:innen und deren Profite zu verschrecken. An diesem Punkt scheiterte die Reform des Energiecharta-Vertrags bisher. Unternehmen werden in diesen Ländern also weiterhin klagen und die Förderung von fossilen Brennstoffen schützen können.

Klauseln gegen den Ausstieg aus der Energiecharta

Warum ist die EU diesen Kompromiss eingegangen und nicht einfach aus dem Energiecharta-Vertrag ausgestiegen? Offiziell wird das vor allem mit der “Sunset Clause” begründet. Diese Klausel besagt, dass der Investitionsschutz noch 20 Jahre nach einem Rücktritt besteht. Investor:innen könnten also weiterhin klagen. Die Reform gilt vielen daher als das geringere Übel.

Dabei hätte man diese Klausel durchaus umgehen können, sagt Frey: “Alle Länder, die gemeinsam aussteigen, könnten die Sunset Clause untereinander neutralisieren.” Vor allem Spanien war ein Befürworter dieses Ausstiegs. Gemeinsam mit Deutschland, den Niederlanden und Polen hatten sie die EU-Kommission aufgefordert, diesen Ausstieg zu prüfen. Doch darauf konnte man sich nicht einigen. So wurde es ein Kompromiss, der die grundlegenden Probleme nicht beseitigen konnte.

Österreich als Profiteur der Energiecharta

Und Österreich? Österreich ist bisher  – soweit bekannt – von Investorschutzklagen auf Basis der Energiecharta nicht betroffen. Dafür sind österreichische Unternehmen immer wieder in solche Klagen involviert. Derzeit klagt etwas die KELAG gegen Rumänien vor einem Schiedsgericht in Washington, weil das Land Förderungen für erneuerbare Energie gesenkt hatte. Mehrheitseigentümer der KELAG: das Land Kärnten.

Die österreichische Politik ignoriert das Thema weitgehend. Weder das für Investorenschutz verantwortliche Wirtschaftsministerium noch das bei Reformen betroffene Klimaministerium haben sich zur Reform des Energiecharta-Vertrags geäußert. Auch auf Nachfragen von MOMENT haben beide bis Redaktionsschluss nicht reagiert.
 

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