print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Ungleichheit
Demokratie

EU-Migrationspakt angenommen: Was ist das? Und was ist die Kritik?

EU-Migrationspakt als Weltkarte von Europa mit Stacheldrahtzaun
Das EU-Parlament stimmt am 10. April über eine einheitlichen Asyl- und Migrationsreform ab. Für Befürworter:innen sollen Asylanträge damit “unkomplizierter und schneller” in den betroffenen EU-Ländern bearbeitet werden können und Mitglieder an den EU-Außengrenzen “entlastet” werden.

Eine Annahme des Antrages gilt als wahrscheinlich. Die strittigen Punkte wurden davor von großen Fraktionen mit Unterhändlern ausverhandelt. Doch der EU-Migrationspakt stößt auf viel Kritik. Hier sind fünf Dinge, die du zum Migrationspakt wissen solltest.

Brauchen wir eine Reform des Asyl- und Migrationssystems?

Seit Mitte der 1990er-Jahre gibt es Bestrebungen einer gemeinsamen Flucht- und Asylpolitik in Europa. Zehn Jahre später hat man sich auf das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) geeinigt. Das gilt in seinen Grundzügen bis heute. 

2015 mussten rund eine Million Menschen nach Europa flüchten. Der Ruf nach Änderungen in der Asylpolitik wurde laut. Ein erster Entwurf zu einem Reform-Paket wurde von der Kommission vor vier Jahren eingebracht. EU-Rat und eine Mehrheit des EU-Parlaments einigten sich im Dezember vergangenen Jahres.

“Der Hauptgrund, warum es den Pakt jetzt braucht, sind die EU-Wahlen”, sagt die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger. “Das Narrativ, dass Europa nichts tue, kristallisiert sich vor allem in der Asylpolitik heraus. Hier möchte man vor dem Ende der Legislaturperiode Ergebnisse liefern.” Die einzelnen Bausteine des Paktes existieren bereits, sagt die Forscherin. Sie meint schnelle Rückführungsverfahren und die Möglichkeit, eines anderen Mitgliedslandes Menschen aufzunehmen (genannt “Relocation”). Dies wurde in so-genannten Blaupausen in Griechenland in den vergangenen Jahren erprobt.

Was beinhaltet der EU-Migrationspakt?

Insgesamt gibt es neun Rechtsakte, aus denen sich das Asyl- und Migrationspaket zusammensetzt. Zu den wichtigsten Neuerungen zählt das Schnellverfahren für Geflüchtete und ein verbindliches „Solidaritätssystem“.

Wer ohne Visum in ein EU-Land einreisen möchte und kaum Aussicht auf ein Bleiberecht hat, soll von den EU-Außengrenzen direkt abgeschoben werden – das nennt sich Schnellverfahren. Diese verpflichtenden Grenzverfahren sollen nach drei Monaten abgeschlossen sein.

“Menschen werden in einem ‘Closed Control Access Center” nahe der Grenze untergebracht. Das ist ein juristischer Graubereich, der zu haftähnlichen Zuständen führt”, sagt Kohlenberger. Die Abschiebung soll dann in weiteren drei Monaten möglich sein. Von dem Verfahren ausgeschlossen sind Minderjährige. 

Abschiebungen dürfen in einen “sicheren Drittstaat” erfolgen. Die Kriterien, was als solcher gilt, werden mit dem Pakt deutlich ausgeweitet. Kooperationsprojekte mit Ländern wie Tunesien und Albanien gibt es bereits, in Zukunft sollen es noch mehr werden. Einzige Bedingung für eine Abschiebung in einen solchen Drittstaat soll sein, dass die Menschen eine Verbindung zu dem Land haben – wie das ausgelegt wird, bestimmen die Mitgliedsstaaten, die für das Asylverfahren zuständig sind. Diese “Verbindung” kann schon sein, durch ein Land gereist zu sein.

Das „Solidaritätssystem“ soll vor allem Länder mit EU-Außengrenzen wie Malta, Zypern oder Griechenland entlasten. Dabei sollen bis zu 30.000 Menschen pro Jahr innerhalb der EU umverteilt werden. Staaten, die sich nicht daran halten, sollen pro nicht-aufgenommener Person 20.000 Euro an das Erstaufnahmeland bezahlen. 

Was wird an dem EU-Migrationspakt kritisiert?

“Im Grunde unterwandert man mit dem Schnellverfahren das Asylverfahren schleichend, weil man eine weitere Barriere einbaut, bevor es zu einem Verfahren kommt. Das kann auch zu Rückstaus führen. Das bedeutet, dass Menschen an diesen Orten einfach fest sitzen. Wie wir in Moria gesehen haben, ist das auch für die lokale Bevölkerung eine extreme Belastung”, so Kohlenberger. Die Kritik ist nicht neu. NGOs in Malta forderten maltesische EU-Abgeordnete dazu auf, gegen das Paket zu stimmen und begründen das ähnlich. Außerdem kritisieren die NGOs, dass bereits Ausnahmeregelungen für beispielsweise Schwangere gelten, die mit der Änderung wieder nichtig gemacht werden.

Kritik gibt es auch von den Grünen. Der deutsche EU-Abgeordnete Erik Maquardt befürchtet, dass die Reform den Staaten an den Außengrenzen erlauben würde, Menschen noch schlechter zu behandeln. Der Pakt würde mehr Leid schaffen, Verschärfungen aber immer zu mehr Problemen führen und Migration nicht begrenzen, sondern im Grunde verstärken.

Die Formulierung der “sicheren Drittstaaten” hält die Expertin Kohlenberger nicht für zielführend. “Grundsätzlich hat das Verfahren mit dieser Möglichkeit eine bestimmte Willkür, weil Länder damit wieder selbst festlegen können, welchen Menschen Asyl gewährt wird. Vereinheitlichend ist es nicht”, sagt Kohlenberger. Die Expertin schätzt zudem, dass Verpflichtungen für Mitgliedsstaaten, Geflüchtete aufzunehmen, nicht einfach umsetzbar sein wird. Länder wie Ungarn weigern sich seit Jahren, EU-Standards einzuhalten. Das hat auch die Klage des Europäischen Gerichtshofes nicht geändert. Mit Blick auf die Ratspräsidentschaft Ungarns in der zweiten Jahreshälfte ist das auch für das EU-Parlament besorgniserregend. 

 Wer will, dass der Antrag im Parlament angenommen wird?

Nicht alle, aber viele Vertreter:innen der Europäischen Volkspartei sowie Sozialisten und Demokraten (S&D) werden wahrscheinlich für das Abkommen stimmen. Der liberale, französische Präsident Emmanuel Macron gilt als starker Befürworter des Abkommens. Er hofft, dadurch im für ihn schwierigen Wahlkampf zu punkten. In den Umfragen führen in Frankreich Rechtsextreme. Sie lehnen den Pakt ab, weil er nicht radikal genug ist. 

Wie könnte ein EU-Migrationspakt auch aussehen?

Expertin Kohlenberger sagt, dass bei diesem Migrationspakt das Thema Asyl und Migration wieder nur auf die nationale Sicherheit beschränkt wird. Dabei müssten auch Sozial,- Arbeit,- und Familienminister:innen eingebunden werden. 

Was im Pakt auch völlig fehle, seien Themen wie reguläre Fluchtwege, die Seenotrettung oder dass NGOs zunehmend kriminalisiert werden.

Ein umfassender Migrationspakt müsste nicht nur den Schutz der Grenzen, sondern auch eine klare Ordnung und den Schutz der Menschen vorsehen. Die Expertin verweist auf eine stärkere Rückbesinnung auf die Genfer Schutzkonvention. Denn, “Selbst wenn jetzt alles genauso umgesetzt wird, wie es in dem Pakt vorgesehen ist, dann wird die Situation für Europa und die Geflüchteten nur schlechter als dass sie jetzt ist.”, sagt Kohlenberger. 

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!