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Ungleichheit

False Balance: Warum Medien nicht immer über alle Seiten berichten müssen

Medien haben den Anspruch, objektiv zu berichten. Das heißt aber nicht, dass sie allen Meinungen Raum geben sollten. Die "False Balance" kann gefährlich sein.

Ausgewogenheit ist ein journalistisches Grundprinzip. Betroffene oder Beschuldigte sollten immer zu Wort kommen können. Doch das kann auch zu sogenannter False Balance, also falscher Ausgewogenheit, führen: Der oder die Journalist:in informiert sich zu einem Thema bei Personen, die zu einer Sache unterschiedlicher Meinung sind und lässt alle Seiten gleichermaßen zu Wort kommen.

Das ist in einigen Fällen falsch und kann auch gefährlich sein. Wir haben drei Argumente für dich, warum nicht immer beide Seiten zu Wort kommen sollten.

#1 Nicht alle Meinungen sind gleich viel wert

Ein Fußballspiel endet 1:0, aber in den Nachrichten erklärt der Sprecher: “Einige Menschen sind der Meinung, dass es 1:1 ausgegangen ist”. Es hat gestern geregnet, aber in einem Kommentar schreibt jemand, dass es eigentlich sonnig war. 

Das klingt absurd, wird aber gerade bei wissenschaftlichen Erkenntnissen immer wieder so gemacht. Dass die Menschheit selbst für die Erderhitzung verantwortlich ist, wird längst nicht mehr angezweifelt, sondern ist eine Tatsache. Bis heute bekommen Klimawandel-Leugner:innen aber immer wieder eine Plattform.

Auch abseits von wissenschaftlichen Tatsachen gibt es Meinungen, denen wir keinen Platz einräumen sollten. Wenn jemand etwa meint, dass Sklaverei eigentlich etwas Positives ist, bietet man dieser Person aus gutem Grund keine Bühne. Fragen wie die Menschenwürde stehen einfach außer Frage. Kein Medium würde heute auf die Idee kommen, einen “Pro vs. Contra: Sklaverei”-Artikel zu drucken.

Oft werden Menschen mit menschenverachtenden Positionen dennoch eingeladen. Medien behaupten dann, so könne man deren Position inhaltlich “entzaubern”. Manchmal stimmt das. Oft haben solche Leute aber auch ein zu gutes Medientraining und lassen sich auf eine Sachdiskussion gar nicht erst ein – weil es ihnen eben nicht um eine inhaltliche Diskussion geht. 

Für Zuseher:innen ist das nicht immer erkennbar. In all diesen Fällen bekommen menschenfeindliche Positionen oft überhaupt erst den Anschein von Legitimität.
 

#2 Immer über alle Seiten zu berichten, verzerrt die Wirklichkeit

Gerade in Diskussionssendungen werden oft zwei Personen mit unterschiedlicher Meinung eingeladen. Die Konfrontation führt zu Konflikten, das ist wiederum gut für die Quote. Das Argument dafür: Man will ausgewogen über ein Thema berichten. Das erweckt aber den Anschein, dass die Positionen der Gäste den gleichen Wert haben. In manchen Bereichen mag das der Fall sein – aber eben nicht in allen.

Wenn von 100 Expert:innen 99 dieselbe Erkenntnis vertreten und nur einer oder eine davon abweicht, ohne bessere Argumente oder Daten zu haben, gibt es einen klaren wissenschaftlichen Konsens. Doch wenn in eine Sendung nur zwei Personen eingeladen werden, wird den Zuseher:innen das Gefühl gegeben, dass beide Seiten gleich bedeutsam sind. Ganz so, als ginge es darum, beide Seiten abzuwägen, statt nach wahren und richtigen Informationen zu suchen. Das nennt man “false balance”, also falsche Ausgewogenheit.

Dadurch wird wissenschaftliches Wissen völlig verzerrt dargestellt. Eine US-amerikanische Studie über die Berichterstattung zu Klimakrise in Qualitätsmedien hat etwa gezeigt, dass über einen sehr langen Zeitraum nur sechs Prozent der Artikel die wissenschaftliche Meinung korrekt wiedergegeben haben. Hauptsächlich deswegen, weil man “ausgewogen” darüber berichten wollte.

#3 Falsche Ausgewogenheit hat gefährliche Folgen

Eine der zentralen Aufgaben von Medien ist es, die Bevölkerung zu informieren. In allen Fällen jede Seite zu beleuchten, kann jedoch dazu führen, dass Medien dabei versagen. 

Gerade bei so großen Herausforderungen wie der Klimakatastrophe kann das schwerwiegende Folgen haben. Für Menschen ohne Expertise in einem Fachgebiet ist häufig nicht erkennbar, wer nun eine belegbare Position und wer die schwer fragwürdige Position vertritt. Wenn Leugner:innen der Klimakatastrophe in einer Diskussionssendung viel häufiger auftreten können, als es sie im wissenschaftlichen Fach-Diskurs eigentlich gibt (nämlich fast gar nicht mehr), bekommen sie einen Anschein von Legitimität – auch wenn ihre Erkenntnisse widerlegt sind. 

Wenn eine vermeintliche Expertin oder ein vermeintlicher Experte behauptet, dass die Klimakatastrophe nicht so schlimm wird oder gar nicht existiert, bleibt das bei Teilen des Publikums hängen. Warum sollten sie dann etwas unterstützen, was ihnen nicht unmittelbar etwas bringt oder sogar etwas kosten könnte? Der Zuspruch zu wichtigen politischen Maßnahmen, die auf lange Sicht das Überleben der Menschheit sichern können, sinkt dadurch also.

Das heißt nicht, dass man unbequeme Meinungen oder Ansichten, die von der Mehrheitsmeinung abweichen, ignorieren sollte. Es gibt auch nicht immer die eine korrekte Meinung. Aber Journalist:innen muss klar sein, dass nicht jede Position einen gleichwertigen Platz im öffentlichen Diskurs haben darf.
 

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