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Ungleichheit

Sie ist tot, er war es: Die Morde an Frauen des Jahres 2021

Frau steht im Schatten und ist dadurch anonymisiert.
Wenn in Österreich Frauen gewaltsam sterben, sind Täter fast immer die Männer, die ihnen besonders nahestehen. Foto: Lorna Scubelek für Unsplash
Alleine im Jahr 2021 töteten Männer zumindest 29 Frauen. Frauenmorde sind oft nur das Ende einer langen Gewaltspirale. Wir haben die Geschichten der toten Frauen recherchiert und dokumentieren sie hier.

Warnung: In diesem Artikel geht es um tödliche Gewalt an Frauen. Ihre Geschichten werden teilweise explizit geschildert, auch sexualisierte Gewalt kommt vor.

Sie wurden erwürgt, erschlagen, erstochen und erschossen. Alleine in diesem Jahr sind zumindest 29 Frauen gewaltsam gestorben. Die mutmaßlichen Täter waren fast immer Menschen, die ihnen besonders nahestanden: der Ehemann, der Ex-Partner. Und sie waren in jedem dieser Fälle Männer.

Die Geschichten der toten Frauen zeugen von Besitzdenken und Hass. Manche Opfer haben sich getrennt. Manche haben den mutmaßlichen Täter vor ihrem Tod angezeigt. Manche ahnten vielleicht gar nichts. Zurück bleibt Trauer, ein Loch im Leben der Angehörigen, manchmal auch Wut. Auf die Behörden, die hätten einschreiten müssen. Auf die Täter.

In anderen Medienberichten ist von 31 Frauenmorden in diesem Jahr die Rede. Bei Nachfragen an die Landespolizeidirektionen und die zuständigen Staatsanwaltschaften stellte sich heraus, dass in zwei Fällen in Wien am Anfang zwar Mordverdacht bestand, dieser sich aber nicht erhärtete.

Mord ist oft das Ende einer langen Gewaltspirale, nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Eine EU-weite Studie aus dem Jahr 2014 ergab, dass jede 5. Frau, die schon mal eine Beziehung mit einem Mann hatte, körperlicher oder sexualisierter Gewalt ausgesetzt war.

Morde gehen zurück, aber nicht bei Frauen

„Die Mordkriminalität geht weltweit tendenziell zurück“, sagt Forscherin Isabel Haider von der Universität Wien. „Aber wer näher hinsieht, merkt, dass vor allem Mordkriminalität gegen Männer zurückgeht. Solche an Frauen, besonders in intimen Beziehungen, bleibt gleich oder steigt sogar.“ Gleichzeitig sei die Datenlage speziell in Österreich denkbar schlecht. In den behördlichen Statistiken wird Gewalt in Beziehungen nicht erhoben. „Ohne Statistiken sind tiefergehende Analysen in der Forschung über die Zusammenhänge und Hintergründe der Taten kaum möglich“, sagt Haider.

Wenn eine Frau gewaltsam stirbt, ist das Interesse in den Medien groß. Sie berichten ausführlich, Polizei und Staatsanwaltschaft geben Statements ab. Im Dezember richtete eine Tageszeitung sogar einen Liveticker zu einem Mordprozess ein. So kommen auch Details der Vorgeschichte teilweise an die Öffentlichkeit. Die Erhebung von MOMENT.at stützt sich unter anderem auf solche Medienberichte. Dazu kommen offizielle Statements der Polizei oder Staatsanwaltschaften, wie auch direkte Anfragen an die Behörden.

In Bezug auf Morde an Frauen wird das Wort „Femizid“ in Medien und Aktivismus immer häufiger verwendet. Eine eindeutige Definition gibt es davon aber noch nicht. In einer breiten Interpretation sind Femizide alle Morde, in denen das Geschlecht des Opfers eine Rolle gespielt hat. Grob betrachtet gehören demnach alle Morde in intimen Beziehungen, also etwa durch (Ex-)Partner, zu den Femiziden.

Nach dieser Definition lassen sich ein Großteil der erhobenen Fälle als Femizide klassifizieren. Diese breite Interpretation hat aber auch Schwächen. Alleine in diesem Jahr töteten drei Männer ihre Ehefrauen laut Ermittlungen im Zuge eines gemeinsam geplanten Suizids. Diese Fälle haben nur wenig gemein mit solchen, in denen der Mann etwa eine Frau jahrelang schlug und nach der Trennung ermordete.

Unabhängig von der Vorgeschichte soll dieser Text die Geschichten der getöteten Frauen dokumentieren. Bei einem Großteil der Fälle gibt es noch kein rechtskräftiges Urteil. Wir sprechen daher von „mutmaßlichen“ Tätern, auch wenn der Mann die Tat zugegeben hat. In einigen Fällen ist noch vieles unklar, die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Wir können nicht ausschließen, dass die offizielle Statistik von unserer Erhebung abweicht.

  • #1 Aschach, Oberösterreich. Er hasst seine Frau. Wegen Kleinigkeiten rastet er aus. Sie lässt die Wutausbrüche über sich ergehen. Zu Silvester fasst er den Plan, sie umzubringen. Sie schläft tief, als er sie mit Hammer und Messer tötet. Er wird zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Sie wurde 71 Jahre alt.

  • #2 Anger, Steiermark. Sie kocht gerade, als ihr Mann eine Pistole zückt und ihr in den Kopf schießt. Dann erschießt er sich selbst. Sie wurde 61 Jahre alt.

  • #3 Wien. Sie habe geplant, ihn zu verlassen. Ein Scheidungsantrag wurde eingereicht und wieder zurückgezogen. Mit einem Küchenmesser ersticht er sie. Er sagt, sie hätten Frühstück gemacht, als es zum Streit kam. Sie kann nicht mehr erzählen, was vorgefallen ist. Er wird zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Sie wurde 45 Jahre alt.

  • #4 Wien. Sie sagt, ihr Freund hat sie gewürgt und geschlagen. 2019 erstattet sie deswegen Anzeige, zieht ihre Aussage vor Gericht aber zurück. Sie wird wegen falscher Zeugenaussage verurteilt. Die Polizei erstellt für ihn trotzdem eine Gefährdungsanalyse und stellt fest: Das Risiko ist hoch, dass er sie töten könnte. Er hat schon fünf Vorstrafen, vier davon wegen körperlicher Gewalt. Im Februar 2021 verletzt er sie laut Ermittlungen, sie muss ins Krankenhaus. In der Nacht fährt sie nach Hause. Laut Anklage tötet er sie in derselben Nacht. Er bestreitet das. Er wird zu lebenslanger Haft verurteilt und soll in den Maßnahmenvollzug eingewiesen werden. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Sie wurde 28 Jahre alt.

  • #5 Wien. Sie trennt sich von ihrem Freund. Weil sie Angst vor seiner Reaktion hat, engagiert sie einen Detektiv. Dieser rät ihr, einen Peilsender an seinem Auto anzubringen. Aber er, der Täter, hört das Gespräch mit. Er überwacht sie nämlich. Er fährt zu ihrem Arbeitsplatz, einer Trafik. Er zündet sie an, verlässt die Trafik und schließt das Geschäft hinter sich ab. Passanten sehen die Flammen, zertrümmern die Glastür. Sie kann den Rettungskräften noch den Namen des Täters sagen. Wochen später stirbt sie im Krankenhaus. Er wird zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Sie wurde 35 Jahre alt.

  • #6 Schallmoos, Salzburg. Erst einen Monat vor der Tat wurde er verurteilt, weil er sie schlug und ihr drohte, sie umzubringen. Sie wollte die Scheidung. Die Kinder schlafen im Nebenzimmer, als er ausrastet. Er schlägt seine Frau, tötet sie mit einem Messer. Er fährt zur Polizei und legt ein Geständnis ab. Er wird zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Sie wurde 22 Jahre alt.

  • #7 Graz, Steiermark. Er sucht die Polizeistation auf und sagt, er habe seine Ehefrau getötet. An die Details erinnert er sich nicht, sagt er laut Polizei. Vier Kinder bleiben zurück. Sie wurde 38 Jahre alt.

  • #8 Neulengbach, Niederösterreich. Sie legt sich ins Bett, er wird wach. Als sie eingeschlafen ist, beschließt er, sie auch aus dem Schlaf zu reißen. Mit einem schweren Hammer und einem Messer tötet er sie. Er wird zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Sie wurde 64 Jahre alt.

  • #9 Wien. Ein Schuss trifft sie in den Oberschenkel, der nächste in den Kopf. Wenige Tage zuvor hat sie die Beziehung mit ihm beendet. Jetzt ist sie tot. Laut Anklage setzt er sich nach dem Mord in den Hof und trinkt fast zwei Flaschen Alkohol. Er wird zu lebenslanger Haft verurteilt und in den Maßnahmenvollzug eingewiesen. Sie wurde 35 Jahre alt.

  • #10 Wien. Er erschießt sie und dann sich selbst. Das sagen die Ermittlungen. Ein Abschiedsbrief legt einen gemeinsamen Entschluss des Ehepaars zum Suizid nahe. Sie wurde 72 Jahre alt.

  • #11 Wals-Siezenheim, Salzburg. Der Ex-Freund ihrer Tochter steht vor der Tür, ein Streit entfacht. Er zückt mutmaßlich seine Schusswaffe und tötet sie mit drei Schüssen. Sie wurde 76 Jahre alt.

  • #12 Wals-Siezenheim, Salzburg. Sie will keine Beziehung mehr mit ihm. Er sagt, er werde sich von ihr fernhalten. Trotzdem taucht er vor ihrem Haus auf. Laut Ermittlungen tötet er zuerst ihre Mutter und dann sie mit sieben Schüssen. Er flüchtet, ruft die Polizei an und schildert seine Tat. Sie wurde 50 Jahre alt.

  • #13 Vöcklabruck, Oberösterreich. Er erschießt sie, dann sich selbst. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass das Ehepaar sich abgesprochen hat. Beide waren schwer krank. Sie wurde 78 Jahre alt.

  • #14 Wien. Was genau passiert ist, kann sie nicht mehr erzählen. Wahrscheinlich wurde sie unter Drogen gesetzt, vergewaltigt und getötet. Tatverdächtige sind vier junge Männer. Drei davon sind amtsbekannt. Einer behauptet, ihr Freund gewesen zu sein. Sie wurde 13 Jahre alt.

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  • #15 Geidorf, Steiermark. Sie ist schwanger, er ist der Vater. Er würgt und ersticht sie mutmaßlich. Sie stirbt. Er wollte das nicht, sagt er. Sie wurde 17 Jahre alt.

  • #16 Fürstenbrunn, Salzburg. Angehörige sagen, er ist ein gewalttätiger Mann, hat seine Ex-Frau immer wieder geschlagen. Sie wird tot im Wald gefunden, gestorben ist sie an Stichverletzungen. Er wird wenige Tage später tot aufgefunden, er starb offenbar an Suizid. Sie wurde 44 Jahre alt.

  • #17 Maishofen, Salzburg. Er schießt seiner ehemaligen Ehefrau in den Kopf. Dann versucht er, den gemeinsamen Sohn durch einen Schuss ins Gesicht zu töten. Der Sohn kann ihm im Kampf die Waffe abnehmen und ruft die Polizei. Nur der Sohn überlebt. Sie wurde 71 Jahre alt.

  • #18 Wien. Sie sind seit zwei Jahren getrennt, mutmaßlich, weil er gewalttätig war. Die gemeinsame Tochter ist vier Jahre alt. Er taucht bei ihr auf zu Hause auf. Es gibt Streit. Er tötet sie mutmaßlich mit Nudelholz und Messer. Sie wurde 37 Jahre alt.

  • #19 Wien. Sie ist eine Freundin der Ex-Frau. Er wartet in der Wohnung seiner toten Ex-Frau auf sie. Nach einem kurzen Streit ersticht er sie mutmaßlich. Das sagt er der Polizei. Sie wurde 35 Jahre alt.

  • #20 Deutsch-Brodersdorf, Niederösterreich. Er ist Polizist, sie seine Verlobte. Laut Ermittlungen schlägt er sie und würgt sie, bis sie stirbt. Er taucht unter. Später findet die Polizei seinen toten Körper. Er starb offenbar an Suizid. Sie wurde 43 Jahre alt.

  • #21 Bürs, Vorarlberg. Er würgt sie mutmaßlich so lange, bis sie kein Lebenszeichen mehr von sich gibt. Das sagt er zur Polizei. Tage später stirbt sie im Krankenhaus. Sie wurde 47 Jahre alt.

  • #22 Schwaz, Tirol. Er erschießt seine Frau und dann sich selbst. Die Behörden gehen von einem gemeinsam geplanten Suizid aus, die Staatsanwaltschaft klassifiziert die Tat nicht als Mord. Sie wurde 83 Jahre alt.

  • #23 Wien. Bei einem Streit in einer Einrichtung für wohnungslose Menschen ersticht er sie mutmaßlich. Sie stirbt im Krankenhaus. Laut Ermittlungen ging es um Drogen. Woher und wie gut sie sich kannten, ist unklar. Sie wurde 37 Jahre alt.

  • #24 Villach, Kärnten. Er sagt, es habe einen Streit gegeben. Er sagt, er habe sie mit einem Baseballschläger erschlagen. Ihre Leiche legt er vor der Bezirkshauptmannschaft in Villach ab. Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich beim mutmaßlichen Täter um ihren Lebensgefährten. Sie wurde 29 Jahre alt.

  • #25 Innsbruck, Tirol. Er hat sie, seine Ehefrau, mit einem Messer getötet, gesteht er der Polizei. Sie wurde 50 Jahre alt.

  • #26 Eibesbrunn, Niederösterreich. Er steht im dringenden Verdacht, seine Partnerin mit dem Auto überrollt und bei einer Tankstelle liegengelassen zu haben. Die Ermittler:innen gehen derzeit davon aus, dass es sich nicht um eine vorsätzliche Tat handelt. Sie ermitteln wegen fahrlässiger Tötung. Sie wurde 49 Jahre alt.

  • #27 Innsbruck, Tirol. Sie wird mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht, an denen sie schließlich stirbt. Er sagt, seine Partnerin sei gestürzt. Die Polizei ermittelt wegen Mordverdachts. Sie wurde 28 Jahre alt.

  • #28 Wien. Sie ist plötzlich nicht mehr erreichbar. Ihre erwachsenen Kinder melden das der Polizei, stellen eine Vermisstenanzeige. Freundinnen von ihr sagen, ihr Ehemann hätte sie kontrolliert. Erst zehn Tage später findet die Polizei sie im Kellerabteil. Sie ist tot. Der mutmaßliche Täter längst untergetaucht. Seine Spuren führen in den Iran. Die Behörden fahnden nach ihm. Die Kinder sagen, sie wurden wegen ihrer migrantisch klingenden Namen nicht ernst genommen. Ihre Mutter wurde 60 Jahre alt.

  • #29 Hohenems, Vorarlberg. Sie wird schwer verletzt von Passanten auf der Straße gefunden, er von der Polizei in der Wohnung. Beide werden notoperiert und sterben noch im Krankenhaus. Die Ermittler:innen gehen derzeit davon aus, dass er seine Partnerin mit einem Messer angegriffen und sich dann selbst verletzt hat. Vieles ist noch unklar. Sie wurde 35 Jahre alt.


Es ist möglich, dass sich manche Fälle weiterentwickeln. Wir bemühen uns, den Artikel nachträglich zu aktualisieren. Aktueller Stand: 23. Dezember, 9:00 Uhr.

In anderen Medienberichten ist von 31 Frauenmorden in diesem Jahr die Rede. Bei Nachfragen an die Landespolizeidirektionen und die zuständigen Staatsanwaltschaften stellte sich heraus, dass in zwei Fällen in Wien am Anfang zwar Mordverdacht bestand, dieser sich aber nicht erhärtete. Morde an kleinen Kindern haben wir nicht berücksichtigt. In unserer Dokumentation fehlt etwa die Frau in Mistelbach, die erst ihre vier Jahre alte Tochter und dann sich selbst tötete.

Die Idee für diesen Text stammt von der ZEIT.

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