Was ein Fleischer wirklich denkt: "Du willst Wurst am Teller - ich sorge dafür. Aber wie lange noch?"
Die Menschen wollen doch eigentlich gar nicht wissen, wie die Wurst und das Fleisch nach Hause kommt. Aber essen wollen sie sie. Irgendjemand muss sie machen.
Und auch wenn es viele nicht hören wollen und wir in den Medien schlecht wegkommen, essen über 90 Prozent der Österreicher:innen Fleisch. Also: Wer eine Wurst will, muss damit leben, dass Tiere geschlachtet werden. Und dann soll alles verwendet werden, finde ich.
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Heute essen die Menschen gerne nur die besten Stücke oder greifen zum billigsten Produkt. Es tut mir auch weh, wenn ich sehe, wie Supermärkte Fleisch bekommen und es dann wegwerfen. Oder wie sie die Ware in die Müllverbrennung schicken.
Lange gewohnt
Wie es ist, den Job zu machen, fragen sich jetzt vielleicht manche? Ich komme aus einer Fleischerfamilie. So wie meine beiden Großväter und mein Vater habe ich das gelernt. Das Verwerten hat bei uns zuhause immer dazu gehört.
Schon als ich fünf Jahre alt war, hat mich mein Opa zum ersten Mal zum Sauabstechen mitgenommen. Dann hast du sie in einen Trog gelegt und die Borsten entfernt. Es wurde darauf geachtet, möglichst alles zu verarbeiten. So war das auch bei Truthähnen, Ziegen und Hasen.
Ich liebe meinen Beruf und bilde auch mit viel Einsatz Lehrlinge aus. Aber wir sind vom Aussterben bedroht: Die Öffentlichkeit stellt uns als Tiermörder dar und doch essen alle das, was wir herstellen. Vielleicht muss ich ein paar Einblicke geben.
Fleischgewerbe kurz erklärt
Zunächst: Als ich den Beruf erlernt habe, war Fleisch insgesamt noch besonderer. Vor 40 Jahren sind wir noch zu den Bauern gegangen, haben geschlachtet und dann wurde das Schlachtvieh in kleinen Fleischereien verarbeitet. Die gibt es heutzutage nicht mehr.
Bis ihr eure Wurst am Tisch habt, dauert es länger und es sind viele Schritte notwendig. Zuerst werden die Nutztiere groß gezogen und - im Idealfall so schonend es geht - geschlachtet. Das macht ein Spezialbetrieb. Heutzutage übernimmt auch die Zerteilung oftmals eine andere Firma.
In meinem Betrieb kommen dann maximal das vordere Viertel einer Kuh, ohne Knochen, an. Wir erhalten auch Speck und verschiedene Fleischsorten angeliefert. Eben alles, was wir brauchen.
Eine Wurst besteht aus einem "Brät". Diese Füllung unterscheidet sich von Sorte zu Sorte. Die Extrawurst wird etwa fein zu einer Masse geschnitten. Eine gröbere Wurst besteht hingegen auch aus sichtbaren Fleisch- und Speckstücken.
Der Arbeitsalltag
Die Wursterei beginnt schon um Mitternacht. Die Arbeiterinnen mischen das Brät, damit es dann ab fünf Uhr in der Früh von den Füllern in die Därme gegeben wird. Die Einsalzer fangen auch so früh an.
Die Selcher haben drei Schichten. Deren Arbeit läuft 24 Stunden am Tag durch, fünf Tage die Woche. Zum Teil gibt es bei diesen Aufgaben auch Rufbereitschaften.
Ist die Wurst im Darm, werden die Würste getrocknet und kommen ins Kühlhaus. Dort beginnen die Menschen auch schon um vier Uhr in der Früh. Und dann wird verpackt und ausgeliefert.
Das sind nicht gerade nine-to-five-Jobs. Aber es braucht den Schichtbetrieb. Die Produktionsabläufe müssen ineinander greifen, damit alles schön verpackt werden kann und es im Supermarkt landet. Neben dem normalen Betrieb will der Lebensmitteleinzelhandel auch noch Aktionsware haben. Das muss alles zeitgerecht erledigt werden.
Viele Vorschriften
Dabei müssen wir alle sehr stark auf Hygiene achten. Du musst eine eigene Kleidung anziehen, die Spezialschuhe werden desinfiziert, bevor du in den kühlen Produktionsbereich gehen kannst. In den Räumen, in denen die aufgeschnittene Wurst verpackt wird, kommst du überhaupt nur im Ganzkörperanzug rein. Nachdem alles desinfiziert worden ist.
Dort sind weniger Bakterien als in einem Operationssaal im Krankenhaus. Das ist verständlicherweise sehr heikel. Es muss ganz sicher sein. Es gibt eine Reihe an Vorschriften, die eingehalten werden müssen, inklusive Protokollierung. Das ist alles gut und sinnvoll, so schützen wir die Gesundheit der Konsument:innen.
Aber es ist ganz schön anstrengend. Klar, es ist nicht mehr so, wie als ich Lehrbub war. Da habe ich ganze Teile herumgetragen. Aber so eine Schinkenform hat auch heute noch 40 Kilogramm und die musst du auch erst auf das Wagerl legen. Das ist ungefähr so schwer wie früher.
Noch ein Beispiel: Die Wurst, die ihr im Supermarkt verpackt kauft, ist über einen Meter lang. Ihr könnt euch vorstellen, wie schwer die ist. An einem Wagerl sind 50 solche Würste. Wenn du so viele Würste 20 Mal aufhängst ...
Das will doch keiner machen
Lokale Arbeitskräfte sind rar geworden. Viele meiner Kollegen kommen aus dem Ausland. Meine Vermutung ist, dass dort vielleicht der Bezug zur Herkunft von Lebensmitteln noch selbstverständlicher ist. Vielleicht hat die Oma in der Slowakei oder Bosnien noch Hendln, die eben aufwachsen und dann geschlachtet werden? Bei uns gibt es das immer weniger.
Es gibt sicher noch mehr Bezug als bei uns, wo wir den Bauernhof vielleicht nur aus dem Urlaub kennen. Früher hast du dir beim Fleischer ein gutes Schnitzelfleisch ausgesucht, während daneben auch noch die Lunge und das Hirn in der Vitrine lagen.
Heute haben wir halt alle so wenig Berührungspunkte mit Kuh, Schwein und Co. Das liegt auch an der Technologie. Sogar Landwirte haben wenig mit den Schlachttieren zu tun. Die Bauern spezialisieren sich zusehends. Dann baut er sich eine Halle mit tausenden Hühnern, die automatisiert gefüttert werden und Wasser bekommen. Die Leute kaufen die Schnitzel dann fertig paniert und abgepackt.
So lange ihr es kauft
Wir lassen auch die Kinder eben behütet aufwachsen und halten diesen Teil unseres Lebens einfach von ihnen fern. Ich denke schon, dass wir es ihnen zumuten können, dass sie wissen, wo das Essen wirklich herkommt. Bei uns zuhause kocht mein Sohn genauso wie meine Frau und ich – und verarbeitet alles, was das Tier hergibt.
Übrigens finde ich die Bezahlung von Fleischer:innen von der Lehre weg eigentlich wirklich gut. Dazu ist es faszinierend, was heutzutage in dem Bereich kreiert werden kann. Wir sind wirklich kreativ.
Ich weiß nicht, wie lange es meinen Beruf noch geben wird. Aber solange neun von zehn Menschen Fleisch essen, wird es jemanden brauchen, der die Arbeit macht, von der niemand wissen will.
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Über diesen Text: Für unsere Reihe "Was ich wirklich denke" arbeiten unsere Journalist:innen mit Menschen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen zusammen. Sie erzählen uns, auf welche Rahmenbedingungen sie dabei stoßen, wie sie die Situation erleben und wie es ihnen dabei geht. Aus diesen Gesprächen und nach Faktenchecks entstehen dann die Texte. Die Perspektive bleibt die der Befragten. Auf Wunsch können sie dabei anonym bleiben.
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