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Arbeitswelt
Kapitalismus

Foodora kündigt Fahrer:innen, die an Protest für bessere Bezahlung teilnahmen

Der Protest in Innsbruck
Der Protest in Innsbruck Foto: Vida
Gut zwei Dutzend Essenszusteller:innen demonstrierten am vergangenen Dienstag in Innsbruck für bessere Bezahlung. Die vier beteiligten Foodora-Fahrer:innen erhielten kurz darauf die Kündigung.

Mit den Abschlüssen zu den Kollektivverträgen im Handel und der Metallindustrie hat die Öffentlichkeit ihren Fokus wieder auf andere Themen gerichtet. Nicht überall sind die KV-Verhandlungen aber bereits abgeschlossen. Am 12. Jänner wurde die zweite Runde bei den Fahrradbot:innen ergebnislos abgebrochen. 5,2 Prozent Lohnanpassung boten die Arbeitgeber:innen den Beschäftigten in der Branche, gleichzeitig sollte aber das Kilometergeld gekürzt und der Sonntagszuschlag gestrichen werden. Zur Erinnerung: Die rollierende Inflation, also die Teuerung der vergangenen zwölf Monate, betrug 8,7 Prozent. Aus Sicht der Arbeitnehmer:innen ist das Angebot der Arbeitgeber:innen eine Frechheit – weshalb die Gewerkschaft vida vergangenen Dienstag zum Arbeitskampf blies. 

An der Protestaktion am Innsbrucker Marktplatz beteiligten sich gut zwei Dutzend “Rider” der beiden Branchenriesen Lieferando und Foodora. “Bei Kälte, bei Regen, bei Hitze … Für einen Hungerlohn”, war unter anderem auf ihren Schildern zu lesen. Die Fahrradbot:innen fordern eine Lohnerhöhung in der Höhe von mindestens 8,7 Prozent plus einen “fairen Anteil am Produktivitätszuwachs”. Von deren Aufmüpfigkeit naturgemäß wenig begeistert ging Foodora im Vorfeld der Demo einen Schritt auf seine Fahrer:innen zu und lud sie zum Gratis-Pizzaessen ein – mit fadem Beigeschmack, denn kostenlos verköstigt werden sollten die Rider zeitgleich zum angekündigten Protest. 

Kündigungen rechtlich wohl gedeckt

Vier Foodora-Rider erhielten Freitagnachmittag, drei Tage nach dem Protest, ein zweizeiliges, nüchtern gehaltenes Schreiben: “Hiermit kündigen wir das derzeitige freie Dienstverhältnis mit Ihnen unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist von 6 Wochen”. Das Schreiben liegt MOMENT vor. Laut Aussagen der Betroffenen erhielten ausschließlich jene Fahrer:innen eine Kündigung, die auf die Pizza verzichteten und sich am Protest am Innsbrucker Marktplatz beteiligten. Ausfindig gemacht werden konnten die Beteiligten wohl über eine Chatgruppe, in der sich Rider über die Protestaktion austauschten und in der auch ein Foodora-Mitarbeiter aktiv ist, vermutet jedenfalls einer der Gekündigten im Gespräch mit MOMENT.

Rechtlich ist so ein Vorgehen legal. Im Gegensatz zu Lieferando beschäftigt Foodora die wenigsten seiner Fahrer:innen tatsächlich selbst, sondern arbeitet zu über 90 Prozent mit sogenannten Freien Dienstnehmer:innen. Ihr rechtlicher Status ist teilweise vergleichbar mit denen von Selbständigen. Für Freie Dienstnehmer:innen gilt kein Kollektivvertrag. Sie bekommen kein 13. und 14. Gehalt, werden während Krankheit oder Urlaub nicht bezahlt – und haben keinen Kündigungsschutz. Das bedeutet: für Freie Dienstnehmer:innen ist es besonders riskant, sich gegen ihren Arbeitgeber zu stellen – was ihnen in diesem Fall mutmaßlich zum Verhängnis wurde. (Arbeiter:innen kämpfen seit Jahren für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen.)

Foodora bereits mehrfach in der Kritik 

Foodora ist Teil des Berliner Unternehmens Delivery Hero SE, das in über 70 Ländern Portale für Online-Essensbestellungen und Lebensmittellieferungen betreibt. In Österreich scheint sich das Unternehmen schwer zu tun und schrieb – trotz vermeintlichen “Corona-Boom” – im Jahr 2022 rund 17 Millionen Euro Verlust. Die Arbeitsbedingungen des Lieferdienstes wurden in der jüngeren Vergangenheit mehrfach kritisiert, unter anderem weil das Unternehmen Fahrer:innen über dubiose Sub-Sub-Unternehmen beschäftigt haben soll, die teils nur wenige Euro pro Stunde verdient haben sollen – wovon sich Foodora (damals noch unter dem Namen Mjam) ausdrücklich distanzierte. 

Der Protest in Innsbruck

Der Protest in Innsbruck
Foto: Vida

Die Frage, ob ein Zusammenhang zwischen der Teilnahme an der Protestaktion und den ausgesprochenen Kündigungen besteht, wurde von Foodora auf Nachfrage nicht klar beantwortet. Allgemein hieß es von einem Sprecher: “Im Fall von Compliance Verstößen (das betrifft bspw. regelmäßiges Zuspätkommen, mehrfaches unentschuldigtes Fernbleiben, Diebstahl von Transportgütern oder sonstiges signifikantes unternehmensschädliches Verhalten) behalten wir uns vor, entsprechend Verträge aufzulösen”. Auf die Aktion in Innsbruck ging das Unternehmen nicht ein. 

Update 1 (MI, 24.1.): Nach Veröffentlichung unseres Artikels meldete das Unternehmen sich zur Klarstellung über eine PR-Agentur noch einmal. Man akzeptiere die Teilnahme an Kundgebungen. Und: „Die Teilnahme an einer Kundgebung stellt definitiv keinen Compliance-Verstoß dar.“ Man nehme aber „die Anliegen der Flotte sehr ernst“. „Das im Beitrag angesprochene Pizza-Essen war eine weitere Möglichkeit des Zusammenkommens und Austauschs innerhalb der Flotte. Hieran nahmen rund 10 Rider teil, die Flotte in Innsbruck umfasst mehr als 100 Fahrer:innen. Einen Zusammenhang zwischen der Nicht-Teilnahme am Essen und allfälligen Kündigungen, wie er im Artikel impliziert wird, weisen wir daher klar zurück.“

Update 2 (DO, 25.1.): Nachdem wir unseren Artikel mit dieser Stellungnahme aktualisiert – und um den Verweis ergänzt haben, dass dieser Zusammenhang nie behauptet wurde, sondern die Frage nach einem Zusammenhang mit dem Protest im Raum stehe – meldete sich noch einmal ein Foodora-Sprecher. In der dritten Stellungnahme sagt man schließlich, es „stellt eine Teilnahme an der Protestaktion definitiv keinen Compliance-Verstoß dar und war damit auch kein Kündigungsgrund.“ Ein anderer Grund für die Kündigungen ausgerechnet der am Protest beteiligten Fahrer:innen wurde nicht angegeben. 

Update 3 (DO, 25.1.): Also meldete sich nach dieser Ergänzung die PR-Agentur im Auftrag von Foodora noch ein weiteres mal und beantwortete schließlich die ursprüngliche Frage: „Nach Rücksprache mit foodora können wir aber definitiv auch Folgendes schriftlich kommunizieren: Es besteht kein Zusammenhang zwischen der Protest Teilnahme der Rider in Innsbruck und den Kündigungen.“
 

Gewerkschaft kündigt harten Kurs an

Die Gewerkschaft vida kritisiert das Vorgehen Foodoras jedenfalls scharf. Es sei “massiv zu verurteilen, dass Beschäftigte dafür berufliche Konsequenzen erfahren müssen, weil sie ihr in der europäischen Menschenrechtskonvention festgeschriebenes Recht wahrnehmen und sich zum Schutz ihrer Interessen versammeln”, heißt es von Emanuel Straka, Landessekretariat vida Tirol, auf Nachfrage. Derzeit prüfe man rechtliche Möglichkeiten, um gegen die Kündigungen vorgehen zu können – trotz eines freien Dienstverhältnisses. 

Der Stimmung in den ohnehin angespannten Kollektivvertragsverhandlungen dürften die Kündigungen wenig zuträglich sein. Eine für Anfang der Woche angekündigte dritte Verhandlungsrunde wurde laut Gewerkschaft seitens der Arbeitgeber:innen abgesagt. Zur Stunde plane man weitere Aktionen, um den Druck auf die Arbeitgeber:innenseite zu erhöhen. “Auch Streikmaßnahmen sind nicht mehr ausgeschlossen”, so Straka. 

Konkurrent Lieferando nutzte indes die Gunst der Stunde und bot den gekündigten Foodora-Fahrer:innen noch am Montag einen Job an. 

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