Die Politik der Fratelli d’Italia: Faschistisch, postfaschistisch oder rechtsextrem? Was heißt das?
Giorgia Meloni ist ohne jeden Zweifel die Wahlsiegerin der Parlamentswahlen in Italien. Ihre Partei, die Fratelli d’Italia, hat etwa ein Viertel der Stimmen auf sich vereinen können. Das ist bemerkenswert in einem Land, das traditionell von Bündnissen, und nicht von einzelnen Parteien, regiert wird.
Meloni und Fratelli d’Italia sind in diesem nun an die Macht kommenden Rechtsbündnis die radikalste Kraft. Wer hätte gedacht, dass just der konservative Rechtspopulist Silvio Berlusconi und seine “Forza Italia” einmal die „Mitte“ in einem angeblichen „Mitte-Rechts“-Bündnis mit Fratelli d’Italia und der rechtsradikalen Lega darstellt? Das zeigt schon, dass wir es bei den Wahlsieger:innen Italiens in Wahrheit mit einem Rechts-Rechts-Rechts-Bündnis zu tun haben.
Immer wieder werden die Fratelli dabei als „postfaschistisch“ bezeichnet. Aber was heißt das denn nun? Sind das gar keine „echten“ Faschist:innen?
Kein Bruch mit der faschistischen Tradition
Doch. Sie sind Faschist:innen mit einem „aber“. Die Fratelli und Meloni stehen klar in einer faschistischen Tradition, mit der nicht gebrochen wird. Hier ist Faschismus in seiner engsten Definition gemeint: in der Tradition des italienischen Faschismus von Benito Mussolini. Das Verhältnis dazu wird allenfalls verwaschen oder darüber hinweggetäuscht. Eine klare Abgrenzung gibt es aber nicht.
Das wird von bürgerlicher Seite gerne als „mangelnde Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“ gedeutet. Das ist ein fatales Missverständnis der Bedeutung von Vergangenheit für die Politik von Politikerinnnen wie Meloni. Sie hat ein sehr klares Verhältnis zu dieser Vergangenheit und sich ausführlich mit ihr auseinandergesetzt. Es ist nur kein kritisches Verhältnis.
Der Wunsch zur Verharmlosung
Das als mangelnde Auseinandersetzung zu deuten, ist eher ein naiver Wunsch von Bürgerlichen. Und er sagt mehr über sie aus als über Meloni. Die Fratelli scheuen keineswegs Bekenntnisse zum italienischen Faschismus, schon gar nicht auf einer symbolpolitischen Ebene.
Da gibt es Auftritte mit der Enkelin Benito Mussolinis, die Teilnahme an Abendessen in Gedenken an den Marsch auf Rom und römische Grüße, die so zahlreich im Publikum bei Veranstaltungen zu sehen sind. Hier wird kein Umweg gegangen und kein Konkurrenzfaschismus bemüht, wie es Teile der Neuen Rechten in anderen Ländern in (prekärer) Abgrenzung zum Nationalsozialismus machen. Es ist eine klare und enge Linie direkt zum historischen, italienischen Faschismus.
Die gewohnten Feindbilder und Symbole der extremen Rechten
Dies geschieht aber nicht nur auf der Symbolebene, sondern auch in Inhalt und Sprache. Meloni bemüht zum Beispiel oft das Bild der „Wucherer“, das so wichtig für den italienischen Faschismus ist – historisch (etwa Ezra Pound) wie zeitgenössisch (etwa Casa Pound).
Im gewohnten Sprachgebrauch der extremen Rechten aus aller Welt bemühen die Fratelli Feindbilder von „Globalisten“ und allen voran George Soros, denen sie sich angeblich achso mutig entgegenstellen, um die nationale Souveränität und Identität zu verteidigen. Die Fratelli kennzeichnet also das übliche Gemisch, mit einigen nationalen Besonderheiten und eben dem direkten Bezug auf den italienischen Faschismus.
Warum dann „Postfaschismus“?
Warum also sprechen viele von Postfaschismus? Das „Post“ kommt vom lateinischen Wort für “Nach” oder “Hinter”. Es soll eine Abgrenzung zum historischen Faschismus zeigen. Es soll darauf hindeuten, dass die Fratelli keinen ausdrücklichen Plan haben, Demokratie und Rechtsstaat mit einem Streich auszuschalten. Etwas, was der historische Faschismus sehr wohl tat und nie verheimlichte. Postfaschismus heißt also nichts anderes, dass es sich um Faschist:innen handelt, die sich vorerst an ein paar formale Regeln der Demokratie halten, während sie ihre Werte und ihren Inhalt (Pluralität, Meinungsfreiheit, Gleichheit etc.) ablehnen.
Es bleibt die Frage, ob Semantik-Diskussionen, die eigentlich der Präzision dienen sollen, nicht falsche Sicherheit erzeugen. Die Fratelli sind eben keine Gerade-Noch-Nicht-Faschist:innen, sie sind keine „anständigen“ Rechten innerhalb der demokratischen Vielfalt. Es ist eine Partei in der ungebrochenen Tradition des italienischen Faschismus. Dass dieser Faschismus 1922 ein bisschen anders ausgesehen hat, als er das 2022 tut, ist klar.
Aber Faschismus ist zu jeder Zeit der Gegner von Demokratie, Rechtsstaat, Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit und Solidarität.