print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Arbeitswelt

Lehrling trotz Krise gut betreuen? Dieser Friseur zeigt, dass es geht

Während viele Lehrlinge derzeit aufs betriebliche Abstellgleis gestellt und viele Lehrplätze überhaupt gestrichen werden, zeigt ein Wiener Friseur besonderen Einsatz für seinen afghanischen Auszubildenden.
Sogar ein Posting für die sozialen Medien wurde entworfen. Mit einem schönen Layout, mit einem Foto des sympathischen jungen Mannes: “Weil Maisam noch wenig Freunde kennt, suchen wir für ihn Models fürs Färben, später auch fürs Schneiden.” Dieser Aufforderungen folgten sofort vier Personen. Nun hat Maisam also Haarmodelle, an denen er üben kann. 

Der 21-jährige, afghanische Asylwerber ist im zweiten Jahr seiner Friseur-Lehre und muss sich momentan mit Chemie herumschlagen: Wie wird Farbe angemischt? Wie aufgetragen? Und das Gelernte sollte eben auch gleich an einem echten Scheitel getestet werden. Das Schneiden hat er bislang nur an Puppen geübt, doch vergangene Woche durfte er es erstmals an einem echten Haarschopf ausprobieren. Geduldig und hoch konzentriert geht Maisam vor.

 

Ausbildung geht trotz Pandemie weiter

Vor allem am Beginn ist es wichtig, langsam und dafür gründlich ans Werk zu gehen. Das Haarmodell muss sich auch zeitlich in Geduld üben. Der Lehrling darf einen von vier Plätzen mit seinem Testimonial besetzen, obwohl aufgrund der Corona-Sicherheitsregelungen zwei Plätze weniger im Salon zur Verfügung stehen. Nach der langen Zwangsschließung besetzen andere Friseure selbstverständlich jeden verfügbaren Platz mit einer zahlenden Kundschaft. Den Modellen der Lehrlinge wird oft nur ein Selbstkostenbetrag verrechnet. Nicht überall geht man mit Lehrlingen deshalb so großzügig um wie im Laden hier, wo Modelle gesucht und Platz zur Verfügung gestellt wird.

 

Große Bemühungen um Lehrling

Friseurmeister Michael Danler steht seinem Lehrling stets mit kritischem Blick zur Seite, hilft und motiviert den jungen Zögling. Auch die restlichen MitarbeiterInnen sind bemüht, Maisam das Handwerk nahezubringen. Andere Friseurgeschäfte setzen Lehrlinge oft nur für niedrige Reinigungsdienste wie das Wegkehren der Haare ein, das Erlernen des Handwerks kommt oft zu kurz. Da muss auch Friseurmeister Danler seine eigene Branche rügen: “Wer einen Lehrling aufnimmt, ist eine Verpflichtung eingegangen. Das Handwerk muss so gut gelehrt werden, dass er oder sie nach der Ausbildung auch davon leben kann.” Eine Untersuchung aus dem Vorjahr unter Lehrlingen im letzten Lehrjahr belegt, dass vor allem in der Sparte Friseur und Perückenmacher junge Auszubildende mit am unzufriedensten sind.

 

Friseur war immer schon Maisams Traumjob

Unzufrieden ist der Lehrling von Michael Danler absolut nicht. Im Gegenteil: “Ich freue mich jeden Tag, wenn ich zur Arbeit kommen kann!” Maisam wollte schon immer Friseur werden. Im Jahr 2016 kam er nach Österreich, Freunde von Danler haben ihn als Lehrling vermittelt.  Zuvor hat Maisam gelegentlich im Iran als Fliesenleger gearbeitet. Doch Afghanen werden in dem Nachbarland nicht sehr freundlich aufgenommen. Die Eltern sind nicht mehr am Leben. Maisams Vater war Schauspieler und hat in einem Film mitgewirkt, der sich kritisch mit dem Taliban-Regime auseinandersetzt. Das war letztendlich sein Todesurteil. Maisam hat noch einen Bruder, der in Afghanistan lebt und um den er sich oft große Sorgen macht

Im Flüchtlingsheim hat Maisam schließlich einen anderen Afghanen kennengelernt, mit dem er heute dick befreundet und in eine Wohngemeinschaft gezogen ist. Zusammen haben sie den Hauptschulabschluss gemeistert und während Maisam seiner Lehre nachgeht, besucht sein Freund sogar ein Gymnasium. Beide sehen trotz der aktuellen Krise optimistisch in die Zukunft.

 

Gutes Arbeitsklima zahlt sich aus

Michael Danler Salon erlebt seit der Öffnung nach der Zwangspause einen regelrechten Ansturm. Die Kunden wissen nicht nur die Betreuung, sondern auch das familiäre Klima zu schätzen. Ganz selbstverständlich hat der Friseurmeister alle MitarbeiterInnen in Kurzarbeit geschickt und nicht wie viele andere in der Branche das Team zu Beginn der Krise gekündigt.

Das Beispiel aus dem Friseursalon zeigt, dass es auch in wirtschaftlich schweren Zeiten möglich ist, menschlich und solidarisch zu handeln. 

 

Viele Lehrlinge suchen verzweifelt Lehrplatz

Maisam hat mit seinem Arbeitgeber Glück gehabt, andere Lehrlinge leider nicht. Und viele Jugendliche haben derzeit nicht einmal einen Ausbildungsplatz. Laut Zahlen des Arbeitsmarktservice suchen derzeit rund 23.000 Jugendliche verzweifelt einen Lehrplatz. In Zeiten von Krisen zögern Betriebe und nehmen lieber gar keine Lehrlinge auf, das hat sich bereits zu Beginn der Krise abgezeichnet. Betriebe streichen nämlich derzeit teilweise jede zweite Lehrstelle. Die Gewerkschaft hofft auf ein Bonus-System, damit die Motivation zur Lehrlingsausbildung wieder ansteigt. Denn sonst fehlen nicht nur in Zukunft Fachkräfte. Junge Menschen, die keinen Job oder keine Ausbildung haben, leiden wesentlich öfter unter psychischen Erkrankungen wie Depressionen. Ein Drittel der Selbstmorde in Griechenland während der Wirtschaftskrise 2008 war auf die Perspektivenlosigkeit von Jugendlichen zurückzuführen.

Deshalb sollten sich mehr Betriebe am Friseursalon Michael Danler ein Vorbild nehmen – die Krise ist keine Ausrede, um keine Lehrlinge auszubilden – oder sie nicht gut zu betreuen.

 

 

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!