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Warum die Geburtenraten so niedrig sind – ein Rätsel

In regelmäßigen Abständen beklagen Konservative, Rechte und Rechtsextreme die sinkenden Geburtenraten. Sie tun so, als sei es ein großes Rätsel, warum es so sei. Pardauz! Woran es nur liegen könnte? Natascha Strobl kommentiert.

Die Geburtenrate sinkt. Und die Medien sind auf der Suche nach Gründen. „Die Presse“ ist überrascht, aber sie weiß auch gleich, “mit Geld”  könne man nichts lösen. Die eigenen Leser:innen sind da um einiges realistischer. Das Feminismus-Bashing darf auch hier nicht fehlen, aber sie benennen zumindest klar die materiellen Ursachen. Auch die NZZ stellt die Kosten in den Vordergrund. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung orakelt in der Überschrift noch über die Grund, lässt sich aber von Expert:innen die materiellen Grundlagen von Kinderkriegen und -erziehung erklären. Der Spiegel ortet gar eine “Unlust” an der Mutterschaft.

Woran könnte es also nun liegen, dass Menschen weniger Kinder bekommen? Liegt es daran, dass die modernen Menschen und insbesondere die Frauen vom Feminismus so verzogen wurden, dass sie aus Trotz keine Kinder bekommen? Das ist die gängige Antwort rechtsextremer Verschwörungsgläubiger, die ein obsessives Verhältnis zu Geburtenraten entwickelt haben.


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Zu ihnen zählt auch Elon Musk, der in regelmäßigen Abständen vom Aussterben des Westens fantasiert. Die tollen Männer würden ja eh gerne, aber die Frauen verweigern sich ihnen schlicht. Dieses Incel-Denken ist einer der wichtigsten Motoren des globalisierten Faschismus. Schuld sind die Frauen, soviel ist klar. Auf den Feminismus als Sündenbock kann man sich weit bis in den Konservatismus hinein einigen.

Dabei liegen die Gründe für sinkende Geburtenraten auf der Hand.

Zu kleine und teure Wohnungen

Für viele Menschen ist es aktuell nicht einmal möglich, adäquaten und finanzierbaren Wohnraum in den Städten zu finden – sogar wenn sie keine Kinder haben. Ein, zwei oder drei Räume mehr wirken wie eine Utopie.

Aber spätestens ab dem Schulalter brauchen Kinder Räume, in die sie sich zurückziehen können. In der Pubertät wird Privatsphäre noch einmal wichtiger. Familien ab zwei Kindern finden kaum passenden Wohnraum in den Städten. Drei-, Vier- oder Fünf-Zimmer Wohnungen fallen unter das Luxussegment.

Oft konkurriert man als Familie mit vermögenden kinderlosen Paaren um den gleichen Wohnraum – und bekommt nicht den Vorzug. Kinderlose, vermögende Paare sind das Ideal, nach dem sich die Bauweisen von Neubauten ausrichten, wenn die öffentliche Hand nicht regulierend eingreift. Von ihnen erhofft man die höchste Rendite mit den wenigsten Problemen. Die Schnitte moderner Wohnungen zeigen das sehr deutlich. Oft haben große Wohnungen einen loftartigen Charakter: viel Platz, aber nur zwei Zimmer. Das wird absichtlich so gemacht, weil man eben nicht an Familien vermieten möchte.

Bleibt für Familien der Umzug aufs Land und das Schaffen von Eigentum, wie konservative Politiker:innen so gerne betonen. Die Immobilienpreise sind in den vergangenen Jahren auch dort explodiert – für einen Kredit braucht man 20 % Eigenmittel, die man sich vorher erst einmal ansparen muss. Wer nicht erbt, einen Grund von der Familie bekommt oder aus einer vermögenden Familie kommt, tut sich sehr schwer damit, diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Als Strategie für die breite Mehrheit junger Familien ist das unbrauchbar. 

Das Leben ist zu teuer

Die Frage des Wohnraums ist nur eine von vielen. Dazu kommen die allgemeinen Lebenshaltungskosten hinzu. Österreich leistet sich seit Jahren mit die höchste Inflationsrate in Europa. Das führt zu extrem hohen Preisen in Supermärkten, aber auch in anderen Bereichen des Alltags. Drogeriewaren sind durch die Bank viel teurer als in Deutschland. Vor allem gesunde Lebensmittel wie Gemüse haben sich um fast 30 % verteuert. Das Leben ist schlicht zu teuer geworden.

Das Bildungssystem selektiert nach Herkunft

Außerdem kriselt es schon lange im Bildungssystem. Alle Eltern wollen die beste Bildung für ihre Kinder, ohne sich erst in ein Privat-Schulsystem einkaufen zu müssen. Das können sich die wenigsten leisten. Das öffentliche Bildungssystem ab dem Kindergarten knackt und knirscht an allen Ecken und Enden.

Es fängt damit an, dass zu wenige Menschen in diesen Systemen arbeiten und alle verbleibenden den Laden am Laufen halten müssen. Händeringend werden Pädagog:innen und Lehrer:innen gesucht, um Kindern die beste Bildung zu garantieren. Dabei arbeitet das System selbst gegen dieses Anliegen. Das österreichische Schulsystem belohnt vor allem die Herkunft.

Es ist völlig unbestritten, dass die gemeinsame Schule und ein Ganztagsschulsystem ohne Hausübung daheim das beste System für die Mehrzahl der Kinder wäre und Eltern entlasten würde. Aber es wird einfach nicht umgesetzt, steht nicht einmal zur Debatte. 

Eltern arbeiten zu viel und es reicht trotzdem nicht

Wer kann schon Kinder nach dem Mittagessen daheim betreuen? Eltern, die entweder gar nicht bezahlt arbeiten – oder es nur wenige Stunden am Vormittag tun können. Mit Eltern sind hier vor allem Mütter gemeint. Die meisten von ihnen arbeiten ohnehin schon Teilzeit. Das äußert sich in größerer Abhängigkeit und geringerer Pension.

Doch die Idee, dass Eltern einfach Vollzeit arbeiten sollen, ist genauso naiv. Denn die 40-Stunden-Woche ist darauf ausgelegt, dass eine Person (der Vater) Vollzeit arbeitet und eine andere Person (die Mutter) den Rest besorgt. Das ist ein problematisches, patriarchales Ideal, aber selbst das ist nicht mehr erreichbar. Oft reichen zwei 40-Stunden-Jobs gerade aus, um einen halbwegs normalen Standard zu erreichen.

Der Preis für das Elterndasein ist ein permanentes Abstrudeln. Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich käme vor allem Eltern zugute – und anderen, die Sorgearbeit leisten, etwa pflegenden Angehörigen.

Die Welt brennt

Neben all den monetären und materiellen Überlegungen bleibt das große Weltgeschehen. Wer bekommt schon freudig und gerne Kinder, wenn die Welt um einen brennt. Wer sich Sorgen um eine lebenswerte Zukunft für Kinder macht, wird zurückhaltender mit dem Kinderkriegen sein.

Zumal der Wunsch nach Kindern nicht gleichmäßig verteilt zu sein scheint. Denn sonst würde man als Staat nicht Kinder abschieben und bestimmte Kinder als störend und zu viel sehen. Wie passt der Wunsch nach mehr Kindern zusammen, wenn man gleichzeitig den Familiennachzug beschränkt oder ganz verhindert. Welche Kinder sind erwünscht und welche nicht?

Es ist nicht der böse Feminismus, der Menschen davon abhält Kinder zu bekommen. Es sind die ganz realen Gegebenheiten, um uns herum. Diese sind von den Politiker:innen der letzten Jahrzehnte zu verantworten. Wer mehr gewünschte und glückliche Kinder möchte, der schafft eine Welt in der sie sicher und behütet aufwachsen können.


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