Gegengelesen: Das Märchen von der Hängematte
"Nicht mal die Hälfte der Wiener geht arbeiten" – so titelt die Kronen Zeitung einen Bericht. Der Titel soll wohl nach einem Skandal klingen und die wenig überraschenden Zahlen im Artikel selbst als sensationell verkaufen. Was steckt dahinter?
„Nicht mal die Hälfte der Wiener geht arbeiten“ – so titelt die Kronen Zeitung einen Bericht. Der Titel soll wohl nach einem Skandal klingen und die wenig überraschenden Zahlen im Artikel selbst als sensationell verkaufen. Was steckt dahinter?
Fast schon lustig ist die Anmerkung, dass viele Wiener:innen nicht von der Lohnarbeit leben, sondern von Eltern und Verwandten. Das Bild, das im Kopf dazu auftaucht? Vielleicht der Mann mittleren Alters, der im Keller der Mutter lebt und den ganzen Tag zockt. Die Wahrheit könnte nicht banaler sein: Es geht um Kinder.
Auch staatliche Leistungen kommen gleich im Teaser vor. Um wen es hierbei geht? Etwa um die Großfamilie, die sich mit Sozialleistungen ein entspanntes Leben macht? Nein. Es geht um die Menschen, die ihr Erwerbsleben bereits hinter sich haben: Pensionist:innen.
Der Artikel soll offenbar aufregen. Deswegen deutet der Text immer wieder an, dass es sich viel zu viele Wiener:innen in der „sozialen Hängematte“ gemütlich machen. Die Daten, die im Artikel zitiert werden, geben diese Interpretation aber schlicht nicht her.
Die größte Gruppe der Nicht-Erwerbstätigen sind Kinder und Studierende, dann folgen Menschen in Pension, Andere und arbeitssuchende Personen. Wer in die Kategorie „Andere“ fällt, wird nicht aufgeschlüsselt. Die Vermutung liegt nahe, dass hier etwa Frauen hineinfallen, die Kinder betreuen oder auch Angehörige pflegen. Oder chronisch kranke Menschen, die nicht arbeiten können. Dazu kommen Asylsuchende, die in den allermeisten Branchen nicht arbeiten dürfen.
Der Artikel verbreitet das Märchen, dass in Wien besonders viele Menschen einfach faul wären und kein Interesse daran haben, arbeiten zu gehen. Man erinnere sich an den Sager von Ex-Kanzler Kurz, es sei keine gute Entwicklung, wenn „in immer mehr Familien nur mehr die Kinder in der Früh aufstehen, um in die Schule zu gehen.“
Verglichen mit anderen Städten in Österreich ist die Beschäftigungsquote aber sehr ähnlich. In Wien liegt sie bei 46,5%, in Graz bei 49,7%, in Linz und Salzburg bei 49,1% und in Innsbruck bei 49,3%.