Der Ex-Freund meiner Mutter wollte sie umbringen. So ging es mir als Tochter.
Meine Mutter hat ihren Ex-Freund kennengelernt, als ich 16 Jahre alt war. Anfangs habe ich ihn gern gehabt. Er war lieb zu ihr, hat sie vom Trinken abgehalten. Aber der Frieden hielt nicht lang.
Er hatte ein Drogenproblem. Mit der Zeit wurde er aggressiver und eifersüchtiger. Lange hat er sie psychisch fertig gemacht. Das ging fast immer so: Er hat etwas verlegt, meistens ein Feuerzeug. Wenn er es nicht sofort gefunden hat, ist er an die Decke gegangen und hat meine Mutter beschuldigt. Wenn er seine Drogen verlegt hatte, wurde es wirklich schlimm. Dann ist er komplett ausgerastet.
Nach einem Jahr Beziehung hat er sie zum ersten Mal geschlagen. Sie ist ins Frauenhaus gegangen, ich bin ausgezogen. Nach wenigen Monaten sind sie wieder zusammengekommen. Meine Mutter war danach noch zwei Mal in einer Schutzeinrichtung.
Manchmal bin ich wütend
Ich bin in Angst aufgewachsen. Jeder Partner meiner Mutter war ihr gegenüber auf die eine oder andere Art und Weise gewalttätig. Mir haben sie nie ein Haar gekrümmt. Aber die Situation zu Hause hat etwas mit mir gemacht.
Manchmal bin ich wütend auf meine Mutter. Weil sie diese Männer zu uns nach Hause geholt hat. Weil sie immer wieder zu ihrem Ex-Freund zurückgegangen ist. Ich war lange so hilflos und habe einfach zusehen müssen. Dazu kommt, dass meine Mutter, vor allem alkoholisiert, auch gewalttätig mir gegenüber war. Darüber können wir immer noch nicht sprechen.
Wir haben eine gute Beziehung. Ich kann immer auf sie zählen, ihr von meinen Problemen erzählen, sie hört mir zu. Aber sobald es darum geht, was sie falsch gemacht hat, macht sie zu. Die Erinnerungen, die mich plagen, sind bei ihr einfach nicht da.
Ich weiß, dass meine Mutter Opfer von Gewalt war. Ihr ganzes Leben lang und damit auch seit ich geboren bin. Das alles mitzubekommen, macht es schwierig, Platz für die eigenen Gefühle, die Wut, zu schaffen.
Ich habe sie immer wieder gefragt: Wieso bist du mit ihm zusammen?
Nach dem dritten Mal im Frauenhaus ist sie ins Ausland gezogen, weil sie dort einen Job gefunden hat. Ich war erleichtert. Ich habe Abstand davon gebraucht, ihre einzige emotionale Stütze zu sein. Meine Mutter hat keine Freundinnen, wir haben keine Familie, nur einander. Als ich aber erfahren habe, dass er auch dort ist, habe ich mir unheimliche Sorgen gemacht. Sie hat versucht, es vor mir zu verheimlichen, aber einmal habe ich beim Telefonieren seine Stimme gehört. Wenn er nicht da war, hat sie schlecht über ihn geredet.
Zu Weihnachten habe ich die beiden besucht, da war alles in Ordnung. Er hat sich zusammengerissen. Aber das hielt nicht lang. Meine Mutter verlor ihren Job, sie landeten auf der Straße. Auch das hat sie vor mir verheimlicht. Manchmal habe ich wochenlang nichts von ihr gehört. Einmal standen die beiden plötzlich vor meiner Tür. Zu der Zeit hatte ich große Angst, dass auch sie mit Drogen anfangen könnte. Oder dass sie sich das Leben nimmt – diese Angst habe ich immer noch.
Er hat uns nicht gern allein gelassen, aber wenn wir unter uns waren, habe ich sie gefragt: Wieso bist du noch mit ihm zusammen? Wieso gehst du nicht? Sie wurde dann jedes Mal aggressiv. Sie hat zu mir gesagt: „Wo soll ich denn hin? Mir hilft doch niemand.“
Das hat nicht gestimmt. Sie hätte jederzeit zu mir kommen können. Aber er hat es geschafft, ihr das Gefühl zu geben, dass sie komplett allein ist, dass sie nur ihn hat und ihr niemand helfen wird. Er hat es geschafft, ihr einzureden, dass sie keine andere Wahl hat als bei ihm zu bleiben und sich den Schädel einschlagen zu lassen.
Am Anfang der Pandemie ist die Situation dann völlig eskaliert. Er hat sie mit einem Messer attackiert. Die Polizei kam gerade noch rechtzeitig. Er wurde nicht in Untersuchungshaft genommen und als sie sich später auf der Straße begegnet sind, schlug er ihr ins Gesicht. Einmal tauchte auch ein fremder Mann mit Baseballschläger vor ihrer Haustür auf. Ihr Ex-Freund hatte ihn damit beauftragt, sie zusammenzuschlagen. Mittlerweile ist er verurteilt und im Gefängnis, aber er hat Berufung eingelegt. Ich habe keine Ahnung, wie es weitergeht.
Scham und fehlende Hilfe
Ich glaube, dass meine Mutter mehr Hilfsangebote gebraucht hätte, um früher aus der Beziehung herauszukommen. Das Frauenhaus war für sie ein sicherer Ort, aber eine Perspektive für ein besseres Leben hat sie dort nicht gefunden. Sie hätte ein soziales Umfeld gebraucht, tiefgehende Therapie und einen Job. All das hat sie sich alleine nicht organisieren können. Ich glaube, den Frauenhäusern fehlt Geld, um Frauen wie meine Mutter besser betreuen zu können. Dazu kam die Scham, „schon wieder“ im Frauenhaus aufzutauchen. Gesellschaftlich wird von Frauen erwartet, sich nach dem ersten Gewaltvorfall von dem Täter zu trennen. Das hat sie nicht geschafft. Dafür gibt es wahrscheinlich viele Gründe, die ich noch nicht verstehe.
Jetzt ist sie erstmal in Sicherheit. Ich hoffe, dass ihr Ex-Freund lange Zeit im Gefängnis bleibt. Aber das Grundproblem ist damit nicht gelöst. Ich mache mir Sorgen, wie der nächste Partner meiner Mutter wird.
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*Name geändert