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Haft in Österreich: “Die Justizanstalt Josefstadt wird als offene Menschenrechtsverletzung bezeichnet.”

Auf dem Foto zu sehen sind zwei Stockbetten, ein Tisch, auf dem Klorollen und Zigaretten liegen. Auf der Wand hängen pornografische Darstellungen von Frauen.
Klima, Beschäftigung und Freiheiten unterscheiden sich je nach Justizanstalt. Foto: Veronika Hofinger/IRKS

Gewalt in Haft ist in österreichischen Gefängnissen trauriger Alltag. Das zeigt die erste repräsentative Studie. Die gute Nachricht ist: Wer die Haftbedingungen verbessert, wirkt Gewalt entgegen. Veronika Hofinger und Andrea Fritsche im Interview.

Der Strafvollzug ist kein Paradies. So reagierte die damalige Justizministerin Beatrix Karl 2013 auf Medienberichte einer Vergewaltigung im Jugendstrafvollzug. Opfer war ein 14 Jahre alter Bub. Solche Taten sind nur die erschreckende Spitze der Gewalt in Gefängnissen.

Erstmals gibt es nun eine repräsentative Studie zum Ausmaß, das Gewalt in Haft hat. Veronika Hofinger und Andrea Fritsche vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie (IRKS) haben dafür über 380 InsassInnen befragt. Im Gespräch mit MOMENT erklären Hofinger und Fritsche die wichtigsten Ergebnisse und welche Lehren wir daraus ziehen sollten.

 

MOMENT: In Film und Fernsehen werden Gefängnisse oft als extrem brutal dargestellt. Sexualisierte Übergriffe und Schlägereien scheinen an der Tagesordnung. Wie viel Wahrheit steckt in diesen Darstellungen?

Veronika Hofinger: Das kommt ganz darauf an. Die Serie “Orange Is the New Black” hat es ganz gut getroffen, finde ich. Unsere Studie zeigt jedenfalls, dass Gewalt in Haft auch in Österreich fast alltäglich ist. Das hat zwei Gründe. Einerseits bringen die Leute ein Niveau an Gewaltbereitschaft in die Haft mit, sie „importieren“ sie also. Andererseits begünstigen schlechte Rahmenbedingungen in den Gefängnissen Gewalt.

Andrea Fritsche: Unter Inhaftierten sind überdurchschnittlich viele Menschen dabei, die als Kind schwere Gewalt erlebt haben. Gewalt wird unter anderem deswegen als Instrument zur Konfliktlösung betrachtet. Dazu kommt, dass in Haft oft der Rückzugsort fehlt, Ablenkung oder Möglichkeiten, Aggression abzubauen.

„Das monotone Leben, das immer wiederkehrende gleiche Essen, die psychische Gewalt und das Mobbing. All das drückt schon schwer auf die Psyche. Also man muss da selber schon sehr aktiv sein, dass man psychisch nicht untergeht. Dass du nicht rauskommst als psychisch geknickter Mann. Oder du kommst raus, so wie ich es bei anderen beobachte, aggressiver als vorher.“*

MOMENT: Gibt es bei der Gewalt Unterschiede zwischen den Anstalten?

Veronika Hofinger: Die Anstalten schaffen es unterschiedlich gut, die Menschen zu beschäftigen. Sei es mit Arbeit, Sport oder anderen Freizeitaktivitäten. Das ist auch eine Sache der Führungskultur. Die Frage ist: Wie viel wollen und können wir InsassInnen ermöglichen? Da gibt es auch durchaus AnstaltsleiterInnen, die es zumutbar finden, wenn Strafgefangene den Großteil des Tages untätig in ihren Hafträumen verbringen.

Ein Positivbeispiel ist Korneuburg. Dort ist die Stimmung insgesamt besser als in anderen Anstalten. Es gibt weniger Gewalt. Zwar gibt es ein hohes Maß an Kontrolle und Überwachung dort, aber die Regeln sind klar. Dann gibt es Anstalten, aus denen InsassInnen Belastendes berichten. Wenn man etwa den Notfallknopf drückt – und es kommt niemand. Oder man hat eine eitrige Mittelohrentzündung und kommt tagelang nicht zum Arzt.

MOMENT: Fällt das auch unter „Gewalt“?

Andrea Fritsche: Auch strukturelle Gewalt spielt eine Rolle. Wir haben in der Studie nicht nur strafrechtlich relevante Gewaltformen erfasst. Dabei haben wir gesehen, dass von einigen die Bedingungen der Haft oder willkürliche Behandlung auch als Gewalt empfunden wird. Die Hälfte der Befragten hat den Eindruck, niemand interessiert sich für sie, ein Drittel fühlt sich nicht als Mensch behandelt. Da spielen Faktoren hinein wie Respekt und Transparenz, gerade in der Beziehung mit dem Personal. Für manche sind diese Aspekte so belastend, dass sie subjektiv als Gewalt empfunden werden

Auf dem Foto zu sehen sind zwei Stockbetten, ein Tisch, auf dem Klorollen und Zigaretten liegen. Auf der Wand hängen pornografische Darstellungen von Frauen.
 

MOMENT: Am häufigsten wird psychische Gewalt erlebt. Da geht es ums Anschreien, beschimpfen, bedrohen. Da werden sicher einige sagen: Das geschieht Kriminellen Recht, die sollen sich darüber nicht beschweren. Wie ernst müssen wir psychische Gewalt im Gefängnis nehmen?

Veronika Hofinger: Es stimmt, dass psychische Gewalt am öftesten gemeldet wurde. Bei sexualisierter Gewalt wurde uns nur von wenigen Fällen erzählt. Wir müssen aber insgesamt davon ausgehen, dass uns nicht alles erzählt wird. Manche haben ganz deutlich gesagt: Ich bin doch kein Opfer.

Andrea Fritsche: Jede Form von Gewalt ist belastend. Psychische Gewalt ist oft der Anfang einer Gewaltspirale, die dann in schlimmeren Formen mündet. Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass es in der Haft nicht nur darum geht, jemanden zu bestrafen. Ganz zentral muss der Resozialisierungsgedanke sein. Also die Person zu unterstützen, sich zu kontrollieren, um nach der Entlassung von der Gesellschaft als wertvolles Mitglied respektiert zu werden. Wenn jemand Jahre in einem gewaltvollen Umfeld lebt, müssen wir uns fragen, was das in weiterer Folge bedeutet. Besonders stark betroffen sind übrigens Jugendliche im Strafvollzug. Sie erleben beides häufiger: psychische und körperliche Gewalt.

MOMENT: Wieso ist das so?

Veronika Hofinger: Auch in der Bevölkerung außerhalb der Gefängnisse sind Jugendliche öfter gewalttätig als andere Altersgruppen. Das spiegelt sich in Haft wider. Dabei sind die Bedingungen oft sogar besser als in anderen Anstalten. Im Jugendstrafvollzug hat jeder einen Einzelhaftraum und damit einen Rückzugsort. Ideal sind die Bedingungen aber trotzdem nicht. Als wir für die Studie die einzige österreichische Jugendstrafanstalt besucht haben, waren die Sporträume geschlossen. Die Jugendlichen durften auch seit einiger Zeit nicht mehr rauchen. Das hat sie massiv belastet. Sie haben beklagt, dass das Aggressionspotenzial steigt. Es herrscht die Vorstellung, Haft müsse wehtun. So funktioniert das aber nicht.

„Die hauen sich die Köpfe ein wegen einer Zigaretten. Die Insassen sind viel unruhiger geworden, sie haben begonnen zu schmuggeln.“*

MOMENT: Das Mitgefühl mit GefängnisinsassInnen hält sich oft in Grenzen. Andere Länder haben es trotzdem geschafft, die Bedingungen zu verbessern. Was kann sich Österreich abschauen?

Andrea Fritsche: In Österreich sind gemessen an der Bevölkerung deutlich mehr Menschen in Haft als in vergleichbaren Ländern wie Deutschland und der Schweiz. Hierzulande gibt es weniger Personal für mehr InsassInnen, viele Stellen sind unbesetzt. Man müsste sich bemühen, die Haftzahlen zu verringern und damit auch das Personal zu entlasten.

Veronika Hofinger: Der Trend geht aber leider in die andere Richtung. In den vergangenen Jahren gab es vor allem Strafverschärfungen und damit mehr und längere Haftstrafen. Die Idee, dass strenge Strafen zu mehr Sicherheit führen, ist immer noch weit verbreitet.

MOMENT: Welche Unterschiede gibt es bei der Gewalt zwischen weiblichen und männlichen InsassInnen?

Andrea Fritsche: Tatsächlich sind die Zahlen bei den Frauen im oberen Bereich, was mich persönlich überrascht hat. Wir haben keine signifikanten Unterschiede bei Häufigkeit oder Schwere der Gewalt gefunden. Tendenziell ziehen sich Insassinnen nach einem Konflikt eher zurück. Und weibliche Inhaftierte richten die Gewalt eher weniger gegen das Personal.

MOMENT: Welche Rolle spielt das Personal denn überhaupt bei gewalttätigen Konflikten?

Veronika Hofinger: Jede zweite Person sagt, dass sie Übergriffe durch das Personal erlebt hat, ein Sechstel berichtet von körperlicher Gewalt. Das geht also vom grundlosen Anschreien, groben Amtshandlungen bis hin zu körperlicher Gewalt. Dazu muss ich sagen, dass es nicht das Ziel unserer Studie war, Fälle nachzurecherchieren. Wir kennen die Geschichten nur aus der Perspektive der InsassInnen. Ein Mann ist mit blauem Auge zum Interview gekommen und hat gemeint, das war ein Beamter. In solchen Fällen muss die Anstalt schnell und konsequent reagieren. Body-Cams für die Einsatzgruppe wären auch eine Möglichkeit, um solche Vorwürfe aufzuklären.

„Dann musst du halt wirklich ruhig bleiben, wenn der wirklich schreit so penetrant und wirklich fünf Zentimeter Nase an Nase –  da musst du halt wirklich zurückstecken.“*

MOMENT: Was sind die wichtigsten Punkte, was muss sich ändern, um Gewalt in der Haft einzudämmen?

Veronika Hofinger: Auf jeden Fall müssen die Haftzahlen reduziert werden. Man braucht Platz, um Leute zu trennen, zwischen denen ein Konflikt aufkommt. Wenn sich ein Insasse bedroht fühlt, muss er schnell und unkompliziert verlegt werden können. Ist eine Anstalt überbelegt, ist das kaum möglich. Gegen sexualisierte Gewalt wirken Änderungen in der Architektur, zum Beispiel Duschen direkt im eigenen Haftraum statt große unbewachte Gemeinschaftsduschen.
Psychische Probleme spielen auch eine Rolle. Im Maßnahmenvollzug ist das Gewaltrisiko tendenziell noch größer, aber auch im regulären Strafvollzug gibt es viele Inhaftierte mit psychischen Problemen und zu wenig Hilfe. In manchen Justizanstalten hat eine Psychologin bis zu 200 Insassen zu betreuen.

Andrea Fritsche: Ein wichtiger Punkt ist das unkomplizierte Melden von Gewaltvorfällen, egal, wie schwerwiegend sie sind. Die Vorfälle müssen ernsthaft und nachhaltig verfolgt werden. Das könnte einer Haftkultur entgegenwirken, in der es als großer Verrat gilt, Probleme zu melden. Dazu transparente und nachvollziehbare Regeln, die vom Personal konsequent vollstreckt werden. Um die Haftbedingungen zu verbessern, ist es außerdem auch wichtig, sich die Situation des Personals anzusehen. Arbeitet es unter Druck, unter Personalmangel, in baufälligen Anstalten? Das wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Umgang mit den InsassInnen auswirken.

MOMENT: Bessere Arbeitsbedingungen führen zu besseren Haftbedingungen?

Veronika Hofinger: Die Justizanstalt Josefstadt in Wien wird von manchen als offene Menschenrechtsverletzung bezeichnet. Dort leben InsassInnen zu zehnt in einem Haftraum, der Boden ist verdreckt, es gab sogar Kakerlaken-Befall. Das sind unzumutbare Zustände für die Menschen, die dort leben und arbeiten. Dass zu ändern, kostet aber Geld. Es ist schwierig, dafür politisch einzustehen. Wir sehen die Reaktionen auf unsere Studie in den Sozialen Medien. Manche sind der Meinung, man kann Menschen in Haft gar nicht schlecht genug behandeln. Wir hoffen aber trotzdem, dass die Studie dazu beitragen kann, die Bedingungen zu verbessern.

*Die Zitate der InsassInnen stammen aus der Studie „Gewalt in Haft“ und wurden von der Redaktion leicht gekürzt.

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