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Ungleichheit
Fortschritt

Pionierinnen in Graz: Wie Frauen sich in Österreichs zweitgrößter Stadt Gehör verschaffen

In Graz gab es Österreichs erste Frauenbeauftragte
In Graz gab es Österreichs erste Frauenbeauftragte
Die erste Frauenbeauftragte Österreichs stammt aus Graz, der erste Frauenrat ebenso – und die Liste seiner Ziele ist lang. Unter der seit 2021 im Amt befindlichen KPÖ/Grünen/SPÖ-Regierung wähnt der Grazer Frauenrat sich stärker denn je. Wie verschaffen sich Frauen in der zweitgrößten Stadt Österreichs Gehör?

Es ist November, der Bewusstseins-Monat gegen Gewalt an Frauen. Die traurige Femizid-Statistik zeigt bundesweit mittlerweile 25 derartige Morde an Frauen im Jahr 2023 an. Davon 9 in der Steiermark. Der Ruf “Land der Femizide“ eilt Österreich voraus. Gegen Geschlechterungerechtigkeit und ihre grausamen Folgen wird bereits seit langem aufgeschrien. Man fragt sich, wo die großen politischen Taten bleiben.

Graz hat eine Vorreiterrolle in Österreich, was organisierte Frauenpolitik anbelangt. In der zweitgrößten Stadt Österreichs gibt es einen eigenen Rat. Der nimmt sich unter vielen anderen Themen auch der Gewalt gegen FINTA Personen an. Aus den Bedürfnissen von Frauen in Graz formuliert er Empfehlungen an die Stadtregierung.
 

Fast 4 Jahrzehnte Frauenrat in Graz 

Der Frauenrat entstand 1986. Sein Motto lautet seit fast 40 Jahren: „Gründet Banden.” Als unabhängige Instanz versucht er, Anliegen von Frauen auf den politischen Tisch und in die Öffentlichkeit zu bringen. Die Bandbreite der Themen war seit jeher breit gefächert. Kämpfte man einst für das kostenlose Mitführen von Kinderwägen in Öffis, kamen bis heute aber auch viele dazu – etwa queerfeministische Themen. Er will so viele Frauenrechtsorganisationen wie möglich für eine gemeinsame Sache gewinnen. Gemeinsam sollen sich die Lebensumstände von Frauen verbessern – in Graz, der Steiermark und bundesweit. Um so irgendwann auch die Anzahl an Femiziden in Österreich senken zu können.

Ein harter Kampf, wie die Geschichte zeigt, der für den Rat täglich aktuell bleibt. Unter der aktuellen KPÖ/Grünen/SPÖ-Regierung erfährt er mittlerweile auch politischen Rückenwind – das war nicht immer so.
 

Grete Schurz – die erste Frauenbeauftragte Österreichs

Die Gründung war eine Reaktion auf ein allgegenwärtiges Unrecht. Frauen wurden im Alltag benachteiligt – und auch nicht ernst genommen, wenn sie das anprangerten. Bürgermeister Alfred Stingl (SPÖ) führte den damaligen “Frauenbeirat” deshalb ein und markierte damit einen Meilenstein für die Frauenbewegung in Österreich. Im Hinblick auf die frühere Repräsentation von Frauenthemen sei eine massive Weiterentwicklung zu beobachten. “Wenn früher eine Frau aus einer Einrichtung alleine ein Anliegen vorbrachte, war das extrem schwierig. Wenn heute 30, 40 Frauen aus unterschiedlichen Vertretungen dasselbe Anliegen unterzeichnen, schaut es schon anders aus. Heute werden wir gehört.”, sagt die heutige Geschäftsführerin Anna Majcan.

Aus dem Nichts entstand all das natürlich nicht. Irene Windisch, die viele Jahre lang als Obfrau des Frauenrats aktiv war, erinnert sich an die schwierigen Anfänge: „Es gab ja schon davor viele gute Aktionen, aber kein Kollektiv, keinen Schirm, der sich darüber spannte.”  Mit vereinten Kräften konnte 1981 das erste Frauenhaus gegründet werden. Federführend dabei war damals Grete Schurz – die später eben auch als  erste Frauenbeauftragte Österreichs eine Pionierin war. Sie schaffte es, die vielfältigen Organisationen unter einem Banner zusammen zu bringen – unabhängig von politischen Parteien und konfessionellen Grenzen.
 

Widerstand gegen Frauen-Anliegen

Es gab auch Widerstand, erzählt Windisch. Frauenthemen seien gesellschaftlich noch als eher nebensächlich betrachtet worden. Und die feministische Szene wurde politisch klar als links eingeordnet. “Das war natürlich vielen ein Dorn im Auge und machte alles komplizierter, ‘rechtfertigte’ quasi den Widerstand von anderen politischen Richtungen.” Darum sei es auch so wichtig gewesen, dass der Frauenrat sich vehement unabhängig positioniert, einfach sei das nicht gewesen. Aber: “Es macht nur Sinn, wenn wir alle gemeinsam an Lösungen arbeiten, trotz unterschiedlicher Perspektiven.” 

Die Ziele waren klar und breit: Frauen sollten es leichter haben, an Informationen und Angebote zu kommen. Sie sollten sich an eine vertrauenswürdige Stelle wenden können, wenn sie von Gewalt betroffen sind, Ideen einbringen oder selbst etwas gründen, sich engagieren wollen. Damals wie heute stieß es allerdings vielen sauer auf, dass die Frauen in Graz nun eine derart laute Stimme erhalten sollten. Die Finanzierung war von Beginn an eher dürftig. Zwischenzeitlich musste der Frauenrat als eigener Verein (2009) neu gegründet werden. 2014 wurde die Stelle der Frauenbeauftragten von der zuständigen Stadträtin Martina Schröck (SPÖ) in der Regierung unter Langzeit-Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) sogar kurzfristig eingestampft. Sie konnte nur in kleinerer Form durch viel ehrenamtliches und persönliches Engagement des Frauenrats über Jahre hinweg verteidigt werden.
 

Aufwind durch linke Stadtregierung

Seit Elke Kahr (KPÖ) Bürgermeistern im Amt ist (2021), gibt es wieder eine bezahlte Geschäftsführung und Frauensprecherin. Diese Funktion hält seit März 2023 Anna Majcan inne, inzwischen schart sie 36 Gruppen und Institutionen um sich. Majcan zeigt sich erfreut über die Vielfalt der bestehenden Angebote. Aber nur täglicher Einsatz und Ausbau würden wirklich Veränderungen bewirken. 

 

Anna Majcan ist seit 2023 die neue Grazer Frauenbeauftragte

Anna Majcan ist seit 2023 die neue Grazer Frauenbeauftragte
Foto: (C)Barbara Majcan

 

Zu den dringlichsten Themen, die Veränderung brauchen, dürften Femizide gehören. Jeder Frauenmord schmerze, sagt Majcan. Jeder mache wütend und müsse fieberhaftes Weiterarbeiten bewirken. “Femizide sind keine Angelegenheit, die einfach im Frauenrat versickert und für Betroffenheit sorgt. Wir versuchen, auf so vielen Kanälen und an so vielen Orten wie möglich aktiv und laut zu sein. Nicht nur die Organisationen, die Gewalt als Hauptthema behandeln, machen Projekte dazu, sondern alle werden mobilisiert und engagieren sich gegen Gewalt an Frauen* – in Schulen, auf der Straße, mit Galerien, Kundgebungen, Buch- und Filmpräsentationen.” Man möchte mit möglichst positivem Beispiel vorangehen – für alle Städte Österreichs, auch die kleineren. 
 

Was kann eine Stadt gegen Femizide tun?

Femizide sind in Österreich ein Thema, das in Politik und Öffentlichkeit noch nicht lange als systemisches Problem behandelt wird. Sie entstehen aber nicht in einem lokalen Luftloch. Was kann dann nun konkret in Graz dagegen unternommen werden? Einerseits gehe es um eine bessere Finanzierung wichtiger Institutionen wie Frauenhäuser, sagt Barbara Kasper. Die aktuelle Obfrau des Grazer Frauenrats sieht die größte Chance aber auch darin, immer mehr Aufmerksamkeit zu erzeugen. 

Das feministische Kollektiv F*Streik macht das jeden letzten Donnerstag im Monat. Bei Kundgebungen am Grazer Griesplatz wird auf die dramatische Statistik, die mangelhafte Finanzierung von Hilfsinstitutionen und die oft unzureichende Reaktion der Polizei hingewiesen. Der Leitsatz: “Man(n) tötet nicht aus Liebe!” Zudem organisiert der F*Streik eine große Demonstration, die auch am 25. November durch die Grazer Stadt ziehen wird und an der sich auch der Grazer Frauenrat beteiligt.
 

Tag gegen Gewalt an Frauen

Die Vorbereitung auf diesen Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen und die 16 Aktionstage danach, sind für den Grazer Frauenrat eine Zeit des verstärkten Engagements. Demonstrationen und Aktivitäten werden von Mitgliedern in der ganzen Stadt organisiert, um auf die Dringlichkeit des Problems aufmerksam zu machen und politische Maßnahmen zu fordern. 

In den vergangenen Jahren hat der Grazer Frauenrat mit großen Vernetzungsaktionen versucht, sich proaktiv mit Aktivist:innen aus der Stadt zusammen zu schließen. Im “Bündnis 8. März” arbeitet man mit aktivistischen Kollektiven, mit Vereinen für Frauen und auch mit Männerberatungsstellen zusammen, die gegen Gewalt vorgehen.
 

Kleine Aktionen, wichtige Wirkung

Das beginnt im Alltag. Seit 2019 gibt es die Initiative “Luisa ist da”, die vom Referat für Frauen und Gleichstellung der Stadt Graz umgesetzt wurde. Betroffene von Belästigung können in Lokalen und an anderen Orten diskret um Hilfe bitten, wenn sie die Frage stellen “Ist Luisa da?”. Die Aktion existiert auch anderswo und zeige in Graz erfolgreich Wirkung. Ebenso wie die weltweit aktiven “Catcalls”, die sexualisierte Belästigung im öffentlichen Raum mittels Straßenkreiden sichtbar machen. 

 

Eine Aktion von Catcalls of Graz

Eine Aktion von Catcalls of Graz
Foto: (C)Bernhard Schindler

 

Weitere Schwerpunkte sind Frauengesundheit (z.B. Forderungen für Selbstbestimmung und zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen), sexuelle Belästigung auf der Straße und Clubszene, die finanzielle Unabhängigkeit von Frauen und die Repräsentation und Sichtbarkeit von Frauen überall, LGBTQIA+ Themen sowie die allgemeine Bewusstseinsbildung. 

Man arbeite zudem mit allen Frauensprecherinnen aller Fraktionen der Stadtpolitik zusammen, sagt Majcan – “und ja, das geht, wenn die gemeinsame Sache im Vordergrund steht.” Natürlich gebe es dadurch auch immer wieder Reibungspunkte bzw. Interessenskonflikte – der Rat appelliere aber an den gemeinsamen feministischen Willen. “Jede Stimme wird angehört, jedes Anliegen darf argumentiert werden. Die Entscheidung wird dann demokratisch getroffen. Ziele werden ausformuliert und an die Politik weitergeleitet.”
 

Als der Grazer Frauenrat den Ballhausplatz besetzte

Kaum eine Errungenschaft der Frauenbewegung wurde mit gutem Zureden erreicht. Man musste in der Regel Widerstand leisten und laut sein.Eine der prägendsten Aktionen des Grazer Frauenrats war zweifellos die Besetzung des Ballhausplatzes in Wien 1997. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür, wie entschlossen und laut wir sein können“, so Irene Windisch.

Die Besetzung dauerte drei Tage, Aktivistinnen übernachteten in Zelten. Trotz der Herausforderungen und der anfänglichen Ignoranz seitens der Presse gelang es, Forderungen für die langfristige Subventionierung von Frauenprojekten in Österreich zu stellen, erinnert sich Irene Windisch. „Es war anstrengend, aber notwendig. Und ist es heute auch noch – wir müssen uns alles erkämpfen. Niemand hat gesagt, es wäre einfach.”
 

Rechter Backlash

Nicht immer war man damit erfolgreich. Als die erste Schwarz-Blaue Bundesregierung 1999 seine Koalition verhandelte und das eigenständige Frauenministerium abschaffen wollte, besetzten 11 Aktivistinnen für zwei Tage die Büros im Ministerium. Draußen vor den Türen harrten zahlreiche Unterstützerinnen und Unterstützer stundenlang bei grimmigen Wintertemperaturen aus. Die “Aktion Vanillekipferl” kurz vor Weihnachten konnte die Pläne von ÖVP und FPÖ aber nicht verhindern. 

“Ich bin total dafür, dass solche Aktionen wiederkommen!”, sagt Irene Windisch trotzdem. Manchmal denke ich mir, die Jungen heutzutage sind noch zu nett in ihren Protesten. Ihr könnt noch viel lauter werden.”
 

Unabhängigkeit und Generationenaustausch

Die Zusammenarbeit zwischen den Generationen ist auch Teil der Vision für die Zukunft des Frauenrats. Anna Majcan findet, bei Kooperationen solle die junge Generation ständig von den Erfahrungen der älteren profitieren – und umgekehrt. Das befürworten auch Kasper und Windisch. “Die Frauenbewegung hat sich weiterentwickelt und verändert und wir müssen mit ihr Schritt halten. Feminist*innen jeden Alters und unterschiedlicher Herkunft müssen zusammenarbeiten, um eine inklusive und starke Bewegung zu schaffen.” 

Barbara Kasper betont noch einmal, wie wichtig es sei, dahingehend auf eine breite Wahrnehmung zu pochen. Man wolle nicht nur in Graz etwas bewirken, sondern über Stadtgrenzen hinweg in Verbindung bleiben, “damit feministische Stimmen überall im Land Gehör finden. In verschiedensten Bereichen und Organisationen. Viele inhaltliche Differenzen können überwunden werden, wenn wir uns ein wenig aus der eigenen Blase bewegen.“ 
 

Lob für linke Stadtregierung unter Elke Kahr

Die KPÖ/Grüne/SPÖ-Regierung in Graz sei hinsichtlich dessen eine Erleichterung. “Es ist wirklich schön zu wissen, dass uns von der aktuellen Regierung mit zwei engagierten Frauen an der Spitze keine Steine in den Weg gelegt werden.”, sagt Anna Majcan. Das gibt Sicherheit, Stärke und Selbstvertrauen.” 

Der Grazer Frauenrat mag eine lokale Organisation sein – seine Bedeutung und die Zusammenarbeit, die er hervorbringt, sind jedoch weitreichend. Seit 2022 gibt es nun auch den Salzburger Frauenrat. Auch er folgt dem Stichwort “Gründet Banden.” Die Frauen von Graz haben ihre Bande bereits vor fast 40 Jahren gegründet und so eine Stimme gefunden, die nicht wieder verhallen soll. 

“Ich denke da oft an die gute Johanna Dohnal”, sagt Barbara Kasper. “Ich glaube, das, was sie sagt, stimmt heute genauso wie damals: Aus taktischen Gründen leise zu treten, hat sich noch immer als Fehler erwiesen.”

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