“Gudi bleibt”: Protest gegen Ende für Obdachlosen-Notquartier in Wien
Wien lässt die Notschlafstellen für Menschen ohne Wohnung für die Pandemie geöffnet. ”So wollen wir auch in den bevorstehenden Monaten entsprechende Kapazitäten zur Verfügung haben, um die von Obdachlosigkeit betroffenen Menschen in der Pandemie weiterhin gut unterstützen zu können“, sagt Anita Bauer, Geschäftsführerin des Fonds Soziales Wien (FSW). Eigentlich hätten diese, ausschließlich für die kalte Jahreszeit gedachten Unterbringungsmöglichkeiten von Ende April bis zum Oktober geschlossen werden sollen.
So weit, so gut. Doch nur einen Tag nach dieser Ankündigung kam es zu einem Protest im Wiener Bezirk Favoriten. Die Beschäftigten eines Notquartiers in der Gudrunstraße führten einen dreistündigen Warnstreik und eine öffentliche Betriebsversammlung mit rund 200 Menschen durch, die sich solidarisch erklärten.
Der Grund: ausgerechnet die “Gudi”, das einzige Notquartier für Männer in Wiens einwohnerstärkstem Bezirk, ist von der Verlängerung des Winterquartiers ausgenommen. Ende April wird die Einrichtung in der Gudrunstraße eingemottet. Ob sie wieder im kommenden Winter wieder eröffnet wird, konnte der FSW auf Nachfrage „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht beantworten. Die ohnehin prekär angestellten Beschäftigten stehen vor einer unsicheren Zukunft. Rund 70 reguläre und fünf Notbetten verschwinden. Was ist da los, bei den Wiener Notquartieren?
Corona-Cluster im Notquartier
Ähnlich wie im Pflegebereich ist auch unter Sozialarbeiter*innen zunehmend Druck im Kessel. Geklagt wird über niedrige Löhne, mangelnde Perspektiven, unsichere Arbeitsverhältnisse und einen Job, der oft nicht über eine Elendsverwaltung hinausgeht. Die Pandemie hat viele dieser Probleme verschlimmert. Die Beschäftigten des Notquartiers Gudrunstraße haben sich deshalb in den vergangenen Monaten immer wieder an die Öffentlichkeit gewandt, unterstützt von Gruppen wie der „Initiative Sommerpaket“ oder „Sozial aber nicht blöd“.
Ende Jänner berichteten die Beschäftigten des Notquartiers Gudrunstraße über einen Corona-Cluster in ihren Räumlichkeiten. 25 von 70 Nächtigern und 5 Mitarbeiter*innen seien betroffen. Hier zeige sich, dass Massenquartiere in Corona-Zeiten eine „massive Gesundheitsgefährdung“ darstellen würden. „Manche Nächtiger ziehen es deshalb vor, auf der Straße zu schlafen“, so die Belegschaft des Notquartiers Gudrunstraße in einem Artikel.
Der Fonds Soziales Wien verweist auf Nachfrage in diesem Zusammenhang auf „eigene Quarantänequartiere für Menschen ohne fixen Wohnsitz“ um eine „notwendige Quarantäne positiv getesteter Personen oder Kontaktpersonen“ gewährleisten zu können. Die Beschäftigten der Gudrunstraße können dem nur wenig abgewinnen. Die Quarantänequartiere seien oft überbelegt, eine Absonderung infizierter Personen kaum möglich gewesen.
Schließung wegen Protest? “Kein Zusammenhang”
Im Notquartier Gudrunstraße habe es nur eine Essensausgabestelle gegeben, bei der sich lange Schlangen gebildet hätten. Auch sanitäre Anlagen waren knapp. Abstand halten im Notquartier? Unmöglich. Die ohnehin nur knapp besetzte Belegschaft wurde aufgrund von Burnout und Corona-Krankenständen immer mehr ausgedünnt.
Schon Ende Jänner lautete deshalb das Fazit der Belegschaft: „Wir sehen einmal mehr, dass wir unsere Gesundheit für einen Hungerlohn aufs Spiel setzen, für eine Arbeit, die kaum mehr ist als Elendsverwaltung. Wir haben oft genug auf die Gefahr von Massenquartieren hingewiesen. Wir wurden ignoriert. Deswegen werden wir neue Wege des Protests gehen.“
Die Belegschaft glaubt, dass sie mit der Schließung ab April für diese Aufbegehren abgestraft wird. Sowohl der FSW als auch der Arbeitersamariterbund bestreiten das. “Wir schätzen diese Kolleg*innen sehr”, sagt Stefanie Kurzweil für den Arbeitersamariterbund. Schwarze Listen gebe es nicht, der Belegschaft habe man das auch gesagt.
Auch der FSW beteuert, es gebe keinen Zusammenhang zwischen den Forderungen der Belegschaft im Jänner und der Schließung jetzt. Die Gesamtkapazitäten aus dem Winter würden schlicht nicht gebraucht und würden deshalb leicht reduziert. Die Räumlichkeiten in der Gudrunstraße seien nicht so gut für den Zweck geeignet wie an anderen Standorten.
Die Idee hinter dem Fonds Soziales Wien
Um den Konflikt zu verstehen, muss man auch wissen, warum es den Fonds Soziales Wien (FSW) überhaupt gibt – und in welchem Verhältnis er zur Stadt steht. Im Jahr 2000 wurde der FSW vom Wiener Gemeinderat eingerichtet. Alle Aktivitäten der Suchtprävention und Suchtkrankenhilfe sollten von nun an durch diese neu zu gründende „privatwirtschaftliche Organisationsform geplant, koordiniert und gefördert werden“, so der FSW in einer Selbstdarstellung. 2001 nahm der FSW seine Tätigkeit unter der Leitung von Geschäftsführer Peter Hacker auf – dem heutigen Wiener Gesundheitsstadtrat. In der Folge wurden immer größere Teile der Wiener Sozialarbeit von Magistraten in den FSW verschoben.
Hacker erklärte das 2003 in der Wiener Zeitung: „Mein Ziel ist es, um dasselbe Geld wie bisher mehr Leistungen anbieten zu können“. Und: „Arbeitszeit kostet Geld und das müssen die Mitarbeiter im Sozialbereich langsam lernen.“ Der Wiener Sozialbereich sollte wettbewerbstauglich werden. Die Wiener Zeitung schrieb über die Reformen: ”Für Finanzstadtrat Sepp Rieder ist die Schaffung einer modernen Managementstruktur in diesem Bereich ein Entwicklungssprung. ‘Das ist eine Revolution.’ Er glaubt obendrein, dass ein solcher Schritt längst notwendig wurde, um den Wettbewerbsvorgaben der EU zu entsprechen.”
Gegen den Unterbietungswettbewerb
Das Notquartier in der Gurdunstraße wird in dieser Struktur derzeit weder von der Stadt Wien, noch vom Fonds Soziales Wien direkt betrieben. Die Beschäftigten sind stattdessen beim Arbeitersamariterbund angestellt. Ihre Dienstverhältnisse sind befristet, da das Notquartier, wie alle Notquartiere im Winterpaket, immer nur einige Monate pro Jahr geöffnet ist.
Der Arbeitersamariterbund betreibt die Notschlafstelle im Auftrag des FSW. „Wir hätten das Notquartier auch gerne weitergeführt, wenn der FSW es gewollt hätte“, so Stefanie Kurzweil, Sprecherin des Arbeitersamariterbundes Wien gegenüber MOMENT. „Wir sind darauf angewiesen, dass die Stadt Wien wieder ein Winterpaket macht, und uns auffordert, ein Angebot für den Betrieb des Notquartiers zu legen.“
Foto: Sascha Büchi/Links
Kritik am Markt der Sozialarbeit
Tatsächlich existiert im Wiener Sozialbereich ein interner Markt – also ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Sozialträgern wie dem Samariterbund oder der Caritas um die Vergabe von Aufträgen und Förderungen durch den FSW.
Daran gibt es grundsätzliche Kritik. „Das wird immer als besonders innovativ verkauft, dass die Stadt Wien die verschiedenen Sozialträger in Konkurrenz zueinander schickt“, sagt Stefan Sabler. Er engagiert sich in der Partei „Links“. Die stellt gemeinsam mit der KPÖ in Favoriten einen Bezirksrat und setzt sich für den Weiterbetrieb der „Gudi“ ein. „Wir haben im Bezirk bereits den Weiterbetrieb der Notschlafstelle gefordert, und werden das weiter tun.“ Ihre AktivistInnen unterstützen auch den Protest aktiv.
Sabler ist selbst Sozialarbeiter, hat früher auch für den Samariterbund gearbeitet, kennt die Leute von der Gudrunstraße und die Situation, mit der sie konfrontiert sind: „Die Träger unterbieten sich gegenseitig derart, dass der Betrieb der Einrichtungen nur funktionieren kann, wenn es keinen Ausfall gibt.“
FSW: Gibt kein Bieterverfahren
Beim FSW sieht man die Situation anders. Es gebe kein Bieterverfahren. Man fördere Projekte anhand von Kriterien wie Qualität, Wirtschaftlichkeit und Effizienz: „Der FSW verwaltet Steuergelder und stellt einen effizienten Einsatz von Geldmitteln im Gesundheits- und Sozialbereich sicher“, so ein Sprecher.
Sabler meint, dass gerade die Qualität aufgrund der Konkurrenzsituation zwischen den verschiedenen Trägern auf der Strecke bleibt: „Die sozialen Träger müssten sich deshalb zusammensetzen und sich nicht gegeneinander ausspielen lassen.“ Letztendlich sind es Beschäftigte wie jene aus dem Notquartier Gudrunstraße, die beim Unterbietungswettbewerb unter die Räder kommen. Es sei gut, dass sich Gruppen nun „von unten“ vernetzen: „Oft kennen sich noch nicht einmal die Betriebsratsmitglieder der verschiedenen Sozialträger.“
„Es wird wieder Aktionen im öffentlichen Raum geben“, sagt eine/r der Beschäftigten gegenüber MOMENT. Aufgeben werden sie nicht.