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Ungleichheit

Wien tut es, Graz nicht: Warum eine Stadt Mieten erhöht – und die andere nicht

Wieder stiegen die Kategoriemieten und seit April zahlen Mieter:innen höhere Richtwertmieten. Doch ob Österreichs Gemeinden in ihren Wohnungen auf höhere Mieten verzichten dürfen, ist quer durchs Land ziemlich unklar. Graz erhöht Mieten nicht. Wien und Linz sagen: Wir müssen mehr Miete verlangen. Expert:innen widersprechen und im Gesetz steht auch nichts davon. Auch das Justizministerium sieht keinen Zwang, Mieten zu erhöhen. Was ist da los?

Im Juli wurden schon zum zweiten Mal in diesem Jahr die Kategoriemieten erhöht. Im April stiegen daneben auch die Richtwertmieten. Beides betrifft zu einem großen Teil Mieter:innen von Wohnungen, die im Besitz von Städten und Gemeinden sind. Verrückte Idee: Könnten gerade die nicht sagen, wir erhöhen die Mieten in unseren Häusern nicht?

Die Antworten, die Städte darauf geben, könnten unterschiedlicher nicht sein. Die Hauptstadt Wien sagt, sie müsse Wohnen teurer machen. Denn das Mietrechtsgesetz schreibe das es vor. Andere Gemeinden wie Graz setzten Mieterhöhungen einfach aus. Und wieder andere sind sich nicht so ganz sicher, erhöhen aber lieber trotzdem die Wohnpreise.

Höhere Mieten verhindern: Für Gemeinden Gebot der Stunde

Dabei geht es eigentlich um zu viel, um schwammig zu antworten. Mieten zumindest da niedrig zu halten, wo sie es können, sollte für Gemeinden Gebot der Stunde sein. Es würde Menschen entlasten, die jetzt darunter leiden, dass alles teurer wird: Strom, Heizen, Lebensmittel und eben: Wohnen.

Dass das geht, bewies die Bundesregierung im vergangenen Jahr, als sie die Erhöhung der Richtwertmieten aussetzte. Pferdefuß: Dafür wurden die höheren Mieten in diesem Jahr fällig. Für Christian Bartok, Bereichsleiter der Wiener Mieterhilfe, ist das ein Unding: „Sie hätten die höheren Mieten wirklich aussetzen müssen, anstatt sie in diesem Jahr komplett nachzuholen.“ Beinahe wortgleich kritisiert das auch Elke Hanel-Torsch, Vorsitzende der Wiener Mietervereinigung.

Aus der „Aussetzung“, die lediglich eine Verschiebung der Mieterhöhungen ist, folgt in diesem Jahr: Die Mietpreisschraube wird besonders fest angezogen. Und im nächsten April steht schon wieder die nächste, reguläre Erhöhung der Richtwertmieten an. Vom grünen Koalitionspartner ist zu hören, dass sich die ÖVP querlegte, dagegen etwas zu tun. Von erhöhten Richtwerten und Kategoriemieten sind rund 500.000 Haushalte mit mehr als einer Million darin lebender Menschen betroffen.

Drei Mal könnten Kategoriemieten heuer steigen

Und geht es mit der Teuerung so weiter, könnten die Kategoriemieten Ende des Jahres sogar noch ein drittes Mal nach oben gehen. Betroffen sind Wohnungen, die unter das Mietrechtsgesetz fallen. Das sind vor allem städtische und genossenschaftliche Wohnungen und auch Altbauten im Privatbesitz, die vor 1945 erbaut worden sind. Fast 200 Millionen Euro mehr müssten deren Bewohner:innen mehr Miete zahlen als zu Beginn des Jahres, berechnete die Arbeiterkammer. Dazu kommen noch einmal rund 200 Millionen Euro, die Haushalte am privaten Wohnungsmarkt zahlen müssen. Denn auch hier gibt es „Wertsicherungsklauseln“ in den Verträgen, die genauso funktionieren wie die gesetzlichen Mieterhöhungen.

Die SPÖ kritisierte im Nationalrat, dass die Bundesregierung die automatisch fälligen Mieterhöhungen nicht ausgesetzt hat. Bis 2025 solle darauf verzichtet werden, heißt es in einem Entschließungsantrag. Aber: Ausgerechnet die SPÖ-geführte Stadt Wien fordert die erhöhten Richtwert- und Kategoriemieten voll ein. Seit Juni verlangt die stadteigene kommunale Hausverwaltung Wiener Wohnen um 5,46 Prozent höhere Kategoriemieten. Die Anpassung wurde fällig, weil die Teuerung seit der letzten Erhöhung die Marke von 5 Prozent überschritten hatte. So sieht es das Mietrechtsgesetz vor.

Justizministerin Alma Zadić machte Anfang Juni kund, dass die Kategoriemieten steigen. Und Wiener Wohnen sagt: Wir haben keine Wahl! Das Unternehmen müsse „die gesetzlich vorgesehene Erhöhung der Mietzinse umsetzen“, sagt Sprecher Stefan Hayden zu MOMENT. Aber stimmt das wirklich?

Müssen Gemeinden Mieten erhöhen? Graz sagt nein

Graz sieht das anders. Die von KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr geführte steirische Landeshauptstadt verzichtet in diesem Jahr darauf, höhere Mieten einzufordern. „Kein Vermieter ist verpflichtet, den Mietzins anzuheben“, sagt Kahrs Sprecher Georg Fuchs zu MOMENT. Denn: „Die Erhöhungen sind nicht gesetzlich vorgeschrieben, sie geben nur einen Rahmen vor.“

Wobei: Die Richtwertmieten gehörten in Graz schon vorher zu den höchsten im Land. Knapp über 8 Euro pro Quadratmeter sind deutlich mehr als die in Wien jetzt fälligen 6,15 Euro. Wer in Grazer Gemeindewohnungen lebt, hat nun also keine Erhöhung, wohnt aber weiterhin teurer als in Wiener Gemeindebauten. Als größte kommunale Hausverwaltung Europas bewirtschaftet Wiener Wohnen zudem 220.000 Gemeindewohnungen. Auf Mieteinnahmen zu verzichten, reißt schnell ein großes Loch ins Budget.

Auch Traiskirchen in Niederösterreich verzichtet auf die höheren Mietzinse: SPÖ-Bürgermeister Andreas Babler schlug das im April im Gemeinderat vor. Der beschloss, die Mieten in diesem Jahr nicht zu erhöhen und das Thema war vom Tisch. Babler spricht von 350 bis 500 Euro höheren Mietkosten, die sich Haushalte damit in diesem Jahr ersparen würden. Die Gemeinde verzichte auf 192.000 Euro.

MOMENT fragte in anderen Landeshauptstädten nach, wie sie es mit den Mieterhöhungen halten. Aus Linz heißt es: Die Mieten zu erhöhen sei „gesetzliche Bestimmung“, so Nikolaus Stadler, Geschäftsführer der stadteigenen Wohnungsgesellschaft GWG. „Nur wenn mit Beschluss des Nationalrates eine Erhöhung ausgesetzt wird, wird diese auch nicht umgesetzt“, sagt er.

Auch in Innsbruck wurden die höheren Richtwert- und Katerogiemieten umgesetzt, heißt es von der Innsbrucker Immobiliengesellschaft. Aber: Bei den Richtwertmieten gewähre die IIG „einen freiwilligen Abschlag von 15,5 Prozent“, sagt Geschäftsführer Franz Danler zu MOMENT. Pro Monat entgingen der stadteigenen Immobiliengesellschaft dadurch 120.000 Euro Mehreinnahmen.

Sind höhere Mieten Gesetz? Manche sind unsicher

Die Antwort aus Niederösterreichs Landeshauptstadt St. Pölten lässt vermuten, dass mindestens eine Gemeinde unsicher darüber ist, ob sie erhöhen muss oder nicht: „Soweit ich weiß, ist das so vorgeschrieben“, sagt Magistratssprecher Steinbrecher zu MOMENT. Die von der SPÖ regierte Stadt hebe die höheren gesetzlichen Mietzinse „natürlich“ ein, sagt er. Noch ein Grund dafür: „Es ist zwingend, da die laufenden Kosten für Sanierungen und laufende Instandhaltungen mehr steigen als die Mieten“, sagt er zu MOMENT.

Kaufmännisch betrachtet, mag das stimmen. Zu fragen ist aber, ob eine Stadt aus den gemeindeeigenen Wohnungen das größtmögliche Geschäft machen muss. Oder besser darauf schaut, ob die Mieter:innen sich Wohnen noch leisten können. Die Wohnkosten gehören zu den wichtigsten Preistreibern. Das Momentum Institut zeigte jüngst anhand von Zahlen der Statistik Austria: In den vergangenen zehn Jahren zogen auch in Gemeindewohnungen die Mieten stark an. Um 38,5 Prozent mehr müssen Mieter:innen dort heute zahlen.

 
die Grafik zeigt Preise nach Mietart und <span class=VPI" width="480" height="270" />Die Kosten dafür, Häuser instand zu halten, seien außerdem weit geringer als der verlangte Mietzins, sagt Thomas Ritt, Leiter der Abteilung Kommunalpolitik und Wohnen bei der Arbeiterkammer. Pro Quadratmeter Wohnfläche seien dafür zwei Euro zu veranschlagen. Die Gebühren für die Verwaltung und Instandhaltung von Wohnungen sind jetzt außerdem ebenso gestiegen. „Und das ist ja, was ins Haus gesteckt wird“, sagt Ritt zu MOMENT.

Expertin: Mieten rauf oder nicht ist „politische Entscheidung“

Für Elke Hanel-Torsch von der Mietervereinigung ist klar: Ob Gemeinden die Mieterhöhungen weitergeben oder nicht, „ist letztlich eine politische Entscheidung“, sagt sie zu MOMENT. Auch aus zuständigen Ministerien heißt es gegenüber MOMENT: Keine Gemeinde müsse das umsetzen, wenn sie politisch anders entscheide. Hanel-Torsch gibt zu bedenken: „Wenn ich das nicht einhebe, fehlt das Geld natürlich an anderen Stellen.“ Graz und Traiskirchen betonen beide, sie zapften Rücklagen an. Nur weil die Mieten nicht steigen, müsse nicht an anderer Stelle gespart werden.

Doch für die Gemeinden, die auf eigene Faust höhere Mieten aussetzen, lauert noch eine andere Klippe, die umschifft werden muss: der Rechnungshof. Hätte Wien auf die Mieterhöhungen verzichtet, „würde der an die Tür klopfen und mahnen, dass die Stadt da auf hohe Einnahmen verzichtet, die anderswo fehlen“, sagt Christian Bartok von der Mieterhilfe. So sehr er es begrüße, Mieten jetzt einzufrieren: „Ich bin ziemlich sicher, dass das für Graz schiefgeht.“ Die Kritik des Rechnungshofes werde dazu führen, „dass Graz das zurücknehmen muss“.

In der steirischen Landeshauptstadt hat man sich darüber Gedanken gemacht und sieht dem entspannt entgegen. „Das wird der Stadtrechnungshof möglicherweise kritisieren“, sagt Georg Fuchs. Schließlich sei es dessen Aufgabe, „darauf hinzuweisen, wenn der Stadt Einnahmen entgehen“. Dennoch: Die Richtwert- und Kategoriemieten in diesem Jahr nicht zu erhöhen, „halten wir für eine soziale Notwendigkeit“.

Bei zu geringen Mieten kommt der Rechnungshof – und dann?

Tatsächlich hat der Rechnungshof bisher noch keine Empfehlung abgegeben, ob Gemeinden eigenmächtig weniger Mieten verlangen dürfen als gesetzlich festgeschrieben. Und selbst wenn der Rechnungshof sagt, die fehlenden Mieteinnahmen seien Steuergeldverschwendung: Die Amtsträger müssen daraus keine Konsequenzen fürchten.

Der Rechnungshof schaut auch nicht nur auf die entgangenen Mieteinnahmen. Das Gebot der Sparsamkeit spiele eine Rolle, aber auch das Gebot der Zweckmäßigkeit. Beispiel: Müssen wegen der erhöhten Mietzinssätze mehr Menschen Wohnbeihilfe beantragen, weil sie es sich sonst nicht mehr leisten können, „ist das auch nicht im Sinne des Erfinders“, heißt es von dort gegenüber MOMENT.

Wie verpflichtend sind nun also die gesetzlich erhöhten Mietzinssätze? In den Rechtsvorschriften, in denen das Justizministerium die diesjährigen Mietzinserhöhungen kundmachte, steht etwas umständlich: „Berechtigt eine Wertsicherungsvereinbarung den Vermieter zu einer Erhöhung des Hauptmietzinses“, so müssten Mieter:innen mehr zahlen, wenn Vermieter:innen ihr „darauf gerichtetes Erhöhungsbegehren bekannt gibt“. Davon, die Mieten erhöhen zu „müssen“, steht da nichts.

Und gegenüber MOMENT stellt das Justizministerium von Alma Zadić klar: „Die Mietzinsbegrenzungen sind stets Höchstgrenzen. Der Vermieter ist nie gezwungen, sie auszuschöpfen. Er kann stets weniger verlangen.“ Gemeinden wie Wien, St. Pölten und Linz, die erhöhte Mieten damit begründen, dass das Gesetz ihnen keine andere Wahl ließe, liegen damit schlichtweg falsch.

*Update 13.7.: Artikel um Statement aus dem Justizministerium ergänzt.

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