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Arbeitswelt
Kapitalismus

Was passiert, wenn wir die Löhne erhöhen?

Höhere Löhne: Die Arbeit in den Bäckereien ist hart.
Höhere Löhne: Die Arbeit in den Bäckereien ist hart.
Höhere Löhne? Unternehmen beklagen, dass sie kein Personal finden. Arbeitnehmer:innen sagen, das Gehalt ist schlecht, die Arbeitsbedingungen auch. Was passiert, wenn Löhne erhöht werden und wieso Unternehmen mehr Macht haben als lange gedacht, erklärt Max Kasy in seiner Kolumne.
 
Cover zur Rubrik "Erklärs mir doch ganz einfach" mit Max Kasy zeigt ein Foto von Max Kasy auf grünem Hintergrund

Der österreichische Top-Wirtschaftsprofessor Max Kasy erklärt normalerweise StudentInnen in Oxford und Harvard die Wirtschaft. MOMENT fordert ihn in der Serie „Erklärs mir doch ganz einfach“ heraus, komplizierte Konzepte und Begriffe in verständliche Sprache zu übersetzen.

Warum viele Arbeitgeber:innen höhere Löhne anbieten müssen?

In den Nachrichten hört man in letzter Zeit immer wieder, dass Bäckereien und andere Unternehmen keine Arbeiter:innen finden. Lautstark beklagen sich Unternehmer:innen, dass es ihnen an Personal mangelt.

Für Ökonom:innen ergeben diese Beschwerden wenig Sinn. Wenn Unternehmen mehr Personal brauchen, dann müssen sie eben höhere Löhne anbieten, oder bessere Arbeitsbedingungen. Und wenn es ihnen das nicht wert ist, dann haben sie keinen Personalmangel, sondern sind einfach zu wenig produktiv.

Wie viel mehr Personal Unternehmen einstellen können, wenn sie die Löhne erhöhen, hat wichtige Folgen für die Wirtschaftspolitik. Warum das so ist, erklärt dieser Beitrag.

Was ist der perfekte Wettbewerb am Arbeitsmarkt?

Lange haben Ökonom:innen sich den Arbeitsmarkt als einen Markt mit “perfektem Wettbewerb” vorgestellt. Perfekter Wettbewerb heißt, dass es einen Lohn (und Arbeitsbedingungen) gibt, den Unternehmen akzeptieren müssen. Wenn sie weniger zahlen, finden sie keine Arbeiter:innen. Wenn sie mehr zahlen oder besser Arbeitsbedingungen anbieten, finden sie beliebig viele Arbeiter:innen. Perfekter Wettbewerb setzt voraus, dass es viele ähnliche Arbeiter:innen und Arbeitsplätze gibt, und dass es sehr einfach ist, einen neuen Job zu finden.

Die meisten Unternehmen wollen möglichst hohe Profite erzielen. Dafür stellen sie so viele Arbeiter:innen ein wie sie können, solange die Arbeiter:innen mehr produzieren als sie Lohn bekommen. Wenn Löhne niedriger sind, werden Unternehmen im perfekten Wettbewerb im Allgemeinen also mehr Arbeiter:innen einstellen. Wenn die Löhne niedrig sind, lohnt es sich, zusätzliche Jobs zu besetzen, die dann gerade genug zu den Profiten beitragen, aber nicht genug, wenn die Löhne hoch sind.

Was passiert tatsächlich, wenn Mindestlöhne erhöht werden?

Aber ist das tatsächlich so? Stimmt diese Vorstellung vom perfekten Wettbewerb am Arbeitsmarkt? Die meisten Ökonom:innen glauben das inzwischen nicht mehr. Dazu hat vor allem die Erforschung von Mindestlohnerhöhungen, insbesondere in den USA, beigetragen.

Dort werden Mindestlöhne oft von Städten oder Bundesstaaten festgelegt. Und wenn eine Stadt oder ein Bundesstaat den Mindestlohn erhöht, können wir beobachten, was dann mit der Beschäftigung (der Anzahl an Jobs) passiert. Und wir können das mit anderen ähnlichen Städten oder Bundesstaaten vergleichen, die den Mindestlohn nicht erhöht haben.

So einen Vergleich haben inzwischen sehr viele Studien angestellt. Und dabei hat sich herausgestellt, dass die Beschäftigung meistens nicht zurückgeht, wenn die Löhne angehoben werden. Sie tut das nicht einmal in Niedriglohnsektoren wie der Fastfood-Industrie, die besonders schlecht zahlt. Oft ist die Beschäftigung nach einer Mindestlohnerhöhung sogar gestiegen.

Höhere Löhne führen nicht zu weniger Beschäftigung, woran liegt das?

In der Vorstellung vom perfekten Wettbewerb dürfte das eigentlich nicht passieren – steigende Löhne heißen weniger Beschäftigung, in dieser Vorstellung. Mit der Idee vom perfekten Wettbewerb stimmt also offensichtlich etwas nicht. Deswegen hat sich inzwischen die Idee durchgesetzt, dass Arbeitgeber:innen “Marktmacht” haben.

Was ist die Marktmacht der Arbeitgeber:innen?

Marktmacht heißt, dass die Arbeitgeber:innen die Löhne zumindest teilweise bestimmen können. Sie können die Löhne senken, aber finden trotzdem Arbeiter:innen. Wenn die Arbeitsbedingungen und Löhne schlechter sind, wird das zwar schon schwieriger, aber viele Menschen brauchen trotzdem Arbeit und es kündigen nicht sofort alle am nächsten Tag, wenn ihr Lohn um einen Euro niedriger ist.

Was für Folgen hat die Marktmacht der Arbeitgeber:innen?

Erstens folgt daraus, dass Unternehmen künstlich die Beschäftigung niedrig halten. Indem sie Stellen unbesetzt lassen, können sie die Löhne für alle drücken, und machen mehr Profite – obwohl sie eigentlich noch Arbeiter:innen finden könnten, die mehr produzieren als sie verdienen würden.

Zweitens folgt daraus, dass die Löhne kleiner sind als das, was die Arbeiter:innen produzieren, und damit zum Unternehmensprofit beitragen. Dadurch machen Unternehmen wiederum Gewinne. Das können sie tun, weil ihnen (im Gegensatz zum perfekten Wettbewerb) trotzdem nicht alle Arbeiter:innen davonlaufen.

(Hier muss aber auch betont werden, dass Löhne entsprechend dem Beitrag zur Produktion noch lange nicht “gerecht” wären. Der Punkt hier ist nur, dass die Löhne noch unterhalb dieses Beitrags liegen.)

Und drittens folgt daraus, dass höhere Mindestlöhne die Beschäftigung erhöhen können! Wie schon erwähnt, halten Unternehmen mit Marktmacht künstlich die Beschäftigung niedrig, um die Löhne zu drücken. Aber wenn sie den Mindestlohn zahlen müssen, können sie den Lohn nicht weiter drücken. Und deswegen können sie genauso gut gleich mehr Arbeiter:innen einstellen – weil sie ohnehin den Mindestlohn zahlen müssen. Das ist die einleuchtendste Erklärung für die Beobachtung, dass Mindestlöhnen die Beschäftigung nicht reduzieren, oder manchmal sogar erhöhen.

Wettbewerbsrecht und der Arbeitsmarkt

Genau dieselben Argumente, die wir gerade genannt haben, gelten nicht nur für den Arbeitsmarkt, sondern auch für die Märkte für Konsumgüter.

Und dort haben sie schon lange Beachtung gefunden. Insbesondere die Europäische Union greift vielfach ein, um den “Wettbewerb zu bewahren” – etwa wenn es um Unternehmenszusammenschließungen geht.

Allerdings spielt die Marktmacht der Unternehmen am Arbeitsmarkt im Wettbewerbsrecht bis jetzt gar keine Rolle. Vielleicht wäre es an der Zeit das zu ändern, und die Verwendung von Marktmacht um Löhne zu drücken mit rechtlichen Sanktionen zu belegen?

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