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Gesundheit

Immunitätsausweis? Warum wir mit Privilegien für Genesene sehr vorsichtig sein müssen

Sollen Covid-19-Genesene Sonderrechte bekommen? Ein Kommentar zum Problem der "Immunitätsausweise"

Beim Kampf gegen das Coronavirus haben wir derzeit ein großes Ziel vor Augen: Die Herdenimmunität. Wenn nur genug Leute die Krankheit hinter sich haben oder geimpft werden können, wäre die Krise überstanden – so die Logik.

Vorher tritt aber die seltsame Situation ein, dass womöglich nur manche von uns sicher sind. Jene, die die Krankheit bereits hinter sich haben. Meist wird davon ausgegangen, dass Genesene das Virus zumindest für einige Zeit nicht verbreiten und die Krankheit nicht wieder bekommen können – auch wenn es da noch offene Fragen gibt.

Immer wieder kommt da die Idee eines “Immunitätsausweises” ins Spiel. Genesene können damit Privilegien bekommen: sich freier bewegen, Menschen treffen und vor allem zur Arbeit gehen. Deutschland plante so etwas bereits, rudert jetzt aber wieder zurück. Und im mittlerweile sehr umstrittenen Interview von Antonella Mei-Pochtler, der Beraterin von Kanzler Sebastian Kurz, mit der Financial Times steht, dass es auch in Österreich “hitzige Diskussionen” darüber gebe.

Immunitätsausweise schaffen Anreiz und Zwang

Abgesehen davon, dass Virologen über die Immunität nach überstandener Krankheit, ihre Zuverlässigkeit und ihre Dauer bei diesem Virus noch nichts genaues wissen, wirft so ein Ausweis politisch und moralisch schwierige Fragen auf.

Das offensichtlichste Problem: Jedes Sonderrecht ist auch ein Anreiz. Wieder arbeiten zu können wäre für viele sogar eher ein Zwang. Es ist schwer vorstellbar, dass so ein System nicht zu einer Flut an absichtlichen Ansteckungen führen würde. Das war in der Geschichte bereits öfters der Fall. Im 19. Jahrhundert steckten sich bei Gelbfieber-Epidemien in den Südstaaten der damaligen USA ärmere ArbeiterInnen absichtlich an, nur um dann wieder arbeiten zu können (versklavte Menschen wurden sogar dazu gezwungen). Ihre Arbeitskraft machte andere reich: die BesitzerInnen von Großunternehmen, die ihnen wenig oder eben auch nichts zahlten und einstweilen in größtmöglicher Sicherheit zuhause saßen.

Grausiges Glücksspiel

Das wäre auch diesmal wieder der Fall. In einer Welt mit hoher Arbeitslosigkeit können Löhne niedrig sein. Und ein Immunitätsausweis könnte die Chancen auf einen Job erhöhen.

Persönlich ist das ein grausiges Glücksspiel. Covid-19 verläuft zwar bei Menschen unter 65 Jahren selten tödlich (etwa 5% der bisherigen Corona-Toten in Österreich sind unter 65), aber der Tod ist nicht die einzige Folge der Krankheit. Bei jedem fünften Fall ist die Krankheit nämlich schwer. Das heißt, man hat Schwierigkeiten zu atmen, entwickelt Lungenentzündungen und Nierenversagen. Selbst milde Verläufe sind kein Spaß: der Verlust des Geschmacks- oder Geruchssinn etwa gilt als “milder Verlauf”. Diese Wortwahl bedeutet nicht, dass man kaum etwas spürt. Sie bedeutet, man überlebt die Krankheit ohne Krankenhaus. Kurz gesagt: jüngere Menschen überleben zwar sehr wahrscheinlich, trotzdem kann Covid-19 für sie ein ziemlich hässliches Erlebnis sein. Und über mögliche Langzeitfolgen kann im Moment ohnehin nur spekuliert werden. 

Vom Einzelschicksal abgesehen ist der Anreiz der Einzelnen zur Ansteckung auch gesamtgesellschaftlich gefährlich: Wenn Leute sich anstecken wollen, weil die Folgen der Isolation und Krise sie hart treffen, könnte das im schlimmsten Fall die Bemühungen zunichtemachen, das Virus einzudämmen und die Fallzahlen so ansteigen lassen, dass das Gesundheitssystem überlastet wird.

Sozial ungerecht

“Immunitätsrechte” sind auch eine Frage der Gerechtigkeit: Nicht nur, weil es eine schwer diskriminierende Erfahrung für alle ist, die zuhause bleiben müssen, während manche plötzlich wieder recht normal weiterleben. Sondern weil dem Coronavirus selbst zwar völlig egal ist, wen es erwischt, unsere Gesellschaft aber nicht für alle gleich ist. Sie macht Corona zu einem sozialen Problem, das fast jede Ungleichheit in “normalen” Zeiten noch verschärft. 

Menschen mit höheren Einkommen haben derzeit zwar auch ihre Probleme, aber sie können oft von zuhause arbeiten, sind allenfalls von Kurzarbeit aber nur selten von Jobverlusten betroffen. Die Härten am Arbeitsplatz treffen hingegen viel öfter Menschen mit niedrigeren Einkommen. Sie verlieren viel öfter ihre Jobs und auch die Verluste bei Kurzarbeit wirken sich viel empfindlicher auf ihre Geldbörse aus. Und wenn schlecht bezahlte Menschen den Job doch behalten, dann müssen sie dafür viel öfter vor Ort sein. Handelsangestellte, Reinigungskräfte, Friseure, Kellnerinnen, Köche, Paketboten, Essenslieferantinnen, Betreuer, Pflegerinnen oder Erntehelfer kennen eben kein Home Office.

Das bedeutet: Sowohl der finanzielle Zwang, sich anzustecken, als auch die Gefahr, die von mehr angesteckten Menschen in der Gesellschaft ausgeht, würde ärmere Menschen viel härter treffen. Ein System, das bestehende Ungerechtigkeiten verstärkt, sogar neue erschafft und dabei noch ausgerechnet über jene trampelt, die uns zuletzt am Leben gehalten haben, kann nicht unser bester Weg aus dieser Krise sein. 

 

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