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Klimakrise

Insorgiamo: Wie Arbeiter:innen seit zwei Jahren ihre Fabrik besetzen und in die Zukunft führen wollen

200 Menschen besetzen seit über zwei Jahren ihre Fabrik. Früher stellte GKN hier Autoteile her. Dann machte ein Investmentfonds dicht. Die Arbeiterbewegung in Florenz wehrt sich mit ungewöhnlichen Methoden und versucht eine Zukunft aufzubauen, die Arbeitskampf und Klimaschutz vereint. Die kommenden Wochen könnten entscheidend werden.

200 Menschen besetzen seit über zwei Jahren ihre Fabrik. Früher stellte GKN hier Autoteile her. Dann machte ein Investmentfonds dicht. Die Arbeiterbewegung in Florenz wehrt sich mit ungewöhnlichen Methoden und versucht eine Zukunft aufzubauen, die Arbeitskampf und Klimaschutz vereint. Die kommenden Wochen könnten entscheidend werden.
 

Dario Salvetti sitzt vor einigen Wochen in Wien auf einem Podium in der Universität für Angewandten Kunst. 130 Menschen lauschen gespannt dem, was er sagt.  Dabei entspricht er nicht dem Vorurteil der Menschen, die hier normalerweise sprechen. “System Change not Climate Change” hat ihn geladen. Salvetti ist kein Akademiker, sondern Fabrikarbeiter und Betriebsrat. Der Italiener ist derzeit ein wichtiger Akteur der europäischen Bewegung für Klimagerechtigkeit. 

Er ist aus Toskana angereist. Dort steckt er mitten in einem Arbeitskampf – in einer kleinen Fabrik nahe Florenz. Die Fabrik gehörte lange zum Autozulieferer GKN. Hier wurden Antriebswellen für Fiat, Renault, Toyota und andere Großkonzerne produziert. 2018 übernahm der transnationale Investmentfonds Melrose Industries. Im Juli 2021 verkündete das Unternehmen die Schließung. 500 Arbeiter:innen und ihre Angehörigen blickten in eine unsichere Zukunft.

Man kennt solche Geschichten. Und allzu oft endet sie hier. Eigentümer:innen machen ihre Produktionsstätte dicht und hinterlassen eine Wüste. In Florenz lief es anders. Die Arbeiter:innen haben sich organisiert – in einem „Fabrikkollektiv“. Und seit Juli 2021 halten etwa 200 von ihnen eine dauerhafte Betriebsversammlung auf dem Fabrikgelände ab – eine Art legalisierte Fabrikbesetzung.
 

Klima und Arbeit: Ein gemeinsamer Kampf

Dario Salvetti ist ein Sprecher dieses Kollektivs, in dessen Auftrag er ganz Europa bereist. Er hat eine Geschichte zu erzählen: Darüber, wie eine Belegschaft sich gegen eine Fabrikschließung wehrte, und in der Klimabewegung eine verlässliche Bündnispartnerin fand. Das oft aufgestellte Gegensatzpaar „Klimabewegung vs. Arbeiter:innenbewegung“ sieht er nicht. „Wir müssen den Ansatz überwinden, dass es sich um zwei Kämpfe handelt“, sagte Salvetti in Wien. „Es gibt nur den einen Kampf.“ Tatsächlich seien Arbeiter:innenkämpfe auch oft Umweltkämpfe gewesen. „Zum Beispiel der Kampf gegen giftige Werkstoffe in den Fabriken. Der wurde von der Gewerkschaftsbewegung begonnen.“

Das GKN-Kollektiv versucht ihre Fabrik nicht nur, als einen Ort der Produktion zu sehen, sondern auch als einen sozialen Ort. Er soll eingebettet in die Nachbarschaft und den Alltag der Menschen in der Region sein. So organisierten die Arbeiter:innen im Rahmen ihrer Besetzung unter anderem ein Literaturfestival auf dem Fabrikgelände. 3.000 Menschen kamen, berichtet Salvetti. Während das Festival ein großer Erfolg war, schlug den Arbeiter:innen in den Medien deshalb großer Gegenwind entgegen. „Noch nie zuvor habe ich einen solchen Hass gegen uns erlebt wie in den Tagen, als wir das Festival organisierten. Uns wurde gesagt: Ihr seid verdammte Arbeiter. Wie könnt ihr es wagen, über Literatur zu diskutieren!“
 

GKN-Besetzung soll toxische Lieferketten überwinden

Doch das Fabrikkollektiv, dem Salvetti angehört, will nicht nur über Literatur diskutieren. Denn die Arbeiter:innen haben ihre Fabrik nicht nur besetzt. Sie wollen sie gleich ganz übernehmen. Sie wollen eine Kooperative errichten, die statt Autoteilen künftig Lastenräder und Solarzellen erzeugt. Letztere sollen zukünftig in der Fabrik ganz ohne Verwendung seltener Erden und Lithium hergestellt werden. „Damit wollen wir vermeiden, an ausbeuterischen und neokolonialen Lieferketten beteiligt zu sein, so Salvetti. 

In Florenz und Umgebung hat der Plan des Fabrikkollektivs eine regelrechte Welle der Begeisterung ausgelöst. Zehntausende beteiligten sich an Solidaritätsdemonstrationen. Die Arbeiter sind mit lokalen Kirchen, Fußballvereinen, linken sozialen Zentren, feministischen Gruppen und nicht zuletzt der Ökologiebewegung bestens vernetzt. Das Kollektiv wiederum zeigte und zeigt Präsenz bei deren Anliegen: Auf antifaschistischen Demonstrationen, bei Autobahnblockaden und Protesten gegen Flughafenerweiterungen.

Mit ihrem Plan legen die Arbeiter den Finger in eine offene Wunde. Denn in vergangenen Jahrzehnten war das Drehbuch in Sachen Fabrikschließung immer gleich. Arbeitsplatzverluste wurden angekündigt, Gewerkschaften organisieren Kundgebungen dagegen, am Ende gab es bestenfalls einen Sozialplan. „Doch damit verschwindet immer auch der Produktionsort. Die hier vorhandenen Arbeitsplätze stehen zukünftigen Generationen nicht mehr zur Verfügung, auch wenn die ehemals hier Beschäftigten eine Abfindung erhalten. Auch darum stehen wir auf“, sagt Salvetti.
 

„Insorgiamo“: Aufstehen!

„Insorgiamo“, zu Deutsch: „lasst uns aufstehen“, ist das Motto der Bewegung. Es ist überall zu sehen. Auf Transparenten, Plakaten, und Kleidungsstücken, die neuerdings auch in Wien zu erwerben sind. Die historischen Wurzeln des Begriffs liegen in der italienischen Partisanenbewegung – im Kampf gegen den Faschismus, mit dem sich das Kollektiv eng verwurzelt fühlt. Diese Ideale möchten die Arbeiter und ihre Unterstützer:innen in die Gegenwart übertragen. 

Geld braucht es natürlich trotzdem. Darum geht es auch, wenn sie derzeit international auf Veranstaltungen von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen auftreten. Dann werben sie dafür, dass Einzelpersonen und Gruppierungen Anteile erwerben an der geplanten Kooperative. 

 

Dario Salvetti bei einer Veranstaltung in Wien

 

Foto: Philippa Kaufmann

Einen Unterschied zu anderen Investitionen gibt es aber trotzdem. Nämlich in der Frage, wer investieren soll – und was diese Personen aus sozialen Bewegungen wollen. Dario Salvetti stellt sich die „solidarischen Anteilseigner:innen“ als ein soziales Korrektiv vor: „Wir wissen, dass wir eine Kooperative im kapitalistischen Markt sein werden. Wir wollen unsere Fabrik aber an den Bedürfnissen der Umwelt und der Menschen orientieren. Damit wir diesen Kompass nicht verlieren, braucht es die Mitbestimmung durch die sozialen Bewegungen“, erklärt Salvetti das Konzept.

Die geplante Kooperative mit dem Namen „GFF – GKN For Future“ könnte ein Leuchtturmprojekt sein. Sie kann den Gedanken der ökosozialen Umwandlung von Industrieanlagen verkörpern. Dieser Gedanke gefällt längst nicht allen. Für Anfang Jänner befürchten die Arbeiter:innen die gewaltsame Räumung der Fabrik. „Unsere Befürchtung ist, dass der derzeitige Eigentümer:innen hier teure Immobilienprojekte umsetzen möchte. Diese wären aber weder im Interesse der Umwelt, der Nachbar:innen noch der Arbeiter:innen hier“, so Salvetti. 

Auch deshalb ist die derzeitige Kampagne so wichtig. In den kommenden Wochen werden international Anteile für die Kooperative gezeichnet. Je größer die Unterstützung, desto höher wird der politische Preis sein, den Eigentümer:innen und Staat für eine Zerschlagung der Insorgiamo-Bewegung zu zahlen hätten.

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