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Ungleichheit
Kapitalismus

Martin Schürz: "Einige wenige Menschen haben zu viel"

Der Ökonom Martin Schürz beschreibt im Interview mit Moment, wie zuviel Reichtum in den Händen weniger die Demokratie aushöhlt und gefährdet. Er sagt: "Eine Politik, die die Ärmeren verachtet, tut alles dafür, dass die Ungleichheit bestehen bleibt."

In seinem Buch „Überreichtum“ beschreibt der Ökonom und Individualpsychologe Martin Schürz, wie zuviel Reichtum in den Händen Weniger die Demokratie aushöhlt und gefährdet. Er zeigt dabei, wie mit Gefühlen die Privilegien reicher Menschen gefestigt werden. Weniger Vermögenden werde Neid und Zorn vorgeworfen, die „Überreichen“ für vermeintliche Großzügigkeiten gewürdigt. Will man Ungleichheit bekämpfen, bräuchte es eine Obergrenze für Vermögen. Im Interview mit Moment sagt Schürz: „Eine Politik, die die Ärmeren verachtet, tut alles dafür, dass die Ungleichheit bestehen bleibt.“

Moment: Sie fordern eine Obergrenze für Privatvermögen. Käme das nicht einer Enteignung gleich?

Martin Schürz: Nein, wenn einige Menschen Milliardäre sind, aber Millionen Menschen nichts haben, ist es lächerlich von Enteignung zu sprechen. Luxusvillen und Yachten würden den Reichen ja bleiben. Aber in einer Demokratie muss es irgendwo in der Vermögenskonzentration einen Endpunkt geben, wo die Gesellschaft sagen kann: Jetzt ist es genug, ab hier kippt die Demokratie.

Moment: Sie schreiben, dass Erbschaften und Vermögenskonzentration die Demokratie zersetzen. Wie passiert das?

Schürz: Bei großen Erbschaften wirkt die Macht des eigenen Vermögens über das Ableben hinaus. Und zwar so, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse zugunsten mächtiger Vermögender zementiert werden. Eine extreme Vermögenskonzentration erschwert auch zukünftiger Wirtschaftspolitik dem etwas entgegenzuhalten. Und die Politik sieht sich dann einer normativen Kraft des Faktischen gegenüber.  Die Vermögenskonzentration kann kaum verkleinert werden, solange die Fluchtmöglichkeiten der Vermögenden so groß sind.

Moment: Reiche Menschen wie Heidi Horten und Hans-Peter Haselsteiner fördern verdeckt oder offen politische Parteien. Warum ist das problematisch? Dürfen sie mit ihrem Geld nicht tun, was sie wollen, solange es transparent ist?

Schürz: Die politischen Gestaltungsmöglichkeiten reicher Menschen sind viel größer als jene der Ärmeren. Und die Politik reagiert mit ihren Maßnahmen auch stärker auf die Interessen der Reichen. In demokratiepolitischer Hinsicht ist das jedenfalls problematisch.

Viele Politiker schauen darauf, wer für die eigene Karriere wichtiger ist. Und das sind eben die Reichen, nicht die Armen.

Moment: Aber warum reagiert die Politik so stark auf deren Interessen? Reiche sind ja unter der Wählerschaft klar in der Minderheit.

Schürz: Einerseits können Politiker und Reiche eine konservative Ideologie teilen. Andererseits können Politiker, die fortschrittliche Ideen haben, diese nicht zuletzt aus Angst vor den Mächtigen abschwächen. Sie fürchten, dass ihnen fehlende Wirtschaftskompetenz vorgeworfen wird. Oft predigen Politiker, dass es gerechter zugehen soll, wissen aber genau, dass das Geschäft anders läuft. Viele denken wohl schon an die Zeit nach ihrer politischen Laufbahn, egal, ob sie von rechts oder links kommen. Wohin gehen heute Politiker? Da wird man die wenigsten finden, die wieder Sozialarbeiter werden. Der Karriereanreiz ist evident: ein gutdotierter Job im Immobilien- oder Finanzsektor.

Moment: Handeln PolitikerInnen also egoistisch in ihrem Interesse, beispielsweise für die Karriere nach der Politiklaufbahn?

Schürz: Ich glaube, dass es nur wenige Politiker gibt, die tatsächlich überzeugt davon sind, dass es eine Enteignung wäre, wenn man bei den Milliardären eine demokratisch legitimierte Vermögensgrenze zieht. Es schauen wohl eher viele opportunistisch darauf, wer für die eigene Karriere wichtiger ist. Und das sind eben die Reichen und nicht die Armen.

Moment: Einfach gefragt: Kaufen Reiche Politik?

Schürz: Ich glaube nicht, dass ein paar reiche Menschen Politik bestimmen. Aber Politiker wissen, was sich gehört. Sie wissen, was sie am Abend Gesellschaftskritisches sagen können, wie aber dann die Gesetzesvorhaben konkret aussehen müssen. Es ist der Eintritt in eine Welt verinnerlichter Regeln, eine reichenfreundliche politische Kleiderordnung. Ein Beispiel: ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian hat mit seinem Ausspruch zu Heidi Horten genau diese politische Kleiderordnung verletzt und sich danach entschuldigt (Anm.: Katzian hatte in Richtung der ÖVP-Großspenderin gesagt: „An Neid auf die Aufg’spritzte mit ihre Zwa-Millionen-Ketten ham mir ned.“). Niemand sprach danach über exzessiven Reichtum, aber alle über den nicht vornehmen Stil der Kritik. Es wird viel mehr über Neid und Hass gesprochen als über Überreichtum und Oligarchie.

Offensichtliches sollte ausgesprochen werden: Einige wenige Menschen haben zu viel.

Moment: Die SPÖ hat zuletzt Konzepte vorgelegt für Erbschafts- und Vermögenssteuern, allerdings äußerst zaghaft. Warum fällt es denen so schwer, eine klare Position zu beziehen?

Schürz: Die SPÖ vermutet ihr Glück wohl in der Mitte und versucht meist nach allen Richtungen zu besänftigen. Sie erzeugt aber mit ihrem eigenen Zittern vermutlich auch Ängste bei Menschen in der Mitte. Wenn ich für eine Erbschaftssteuer eintrete und als erstes sage, das betrifft ohnehin fast niemanden, nicht die kleinen Häuslebauer, nicht die Landwirte und auch nicht die Unternehmer, dann werden Menschen wohl zurecht misstrauisch und fragen: Wen wollen die dann besteuern? Sind die Reichen nicht die Unternehmer? Ehrlich wäre es zu sagen: Ein ererbter Euro ist im Vergleich zu einem erarbeiteten Euro leistungslos und Erbe gehört höher besteuert als Arbeit. Bei einer Erbschaftssteuer so viele Ausnahmen und einen so hohe Freibetrag vorzusehen, lässt einen angesichts der Daten zum Erbgeschehen nur wundern.

Moment: Diejenigen, die selbst gar nicht von Erbschaftssteuern betroffen sind, sind mitunter dennoch gegen diese, manchmal sogar in größerem Maße als die Reichen. Warum?

Schürz: Arm und Reich eint, dass sie ihren Kindern etwas Gutes tun wollen. Politik, die für Gleichheit eintritt, müsste zuerst das Vertrauen in eine solidarische Gesellschaft stärken. Ist der Sozialstaat schwach, bleibt vor allem für Ärmere ein großer Anreiz zuerst auf die eigenen Kinder zu schauen und soziale Gerechtigkeit nachzureihen. Rational betrachtet müssten die weniger Vermögenden ein Interesse an Vermögens- und Erbschaftssteuern haben. In einer Demokratie sind wohl 99,9 Prozent nicht überreich. Aber die fordern leider nur selten vehement Pflege und Kindergärten über Steuereinnahmen von den Superreichen zu finanzieren.

Moment: Wie kann das funktionieren? Etwa mit einer Steuer, die für alle gilt und umso höher steigt, je größer das Vermögen ist?

Schürz: Ein globales Vermögensregister ist notwendig. Es erscheint mir als beste Voraussetzung, Vermögen und Erbschaften progressiv zu besteuern. Je größer das Vermögen, desto höher der Steuersatz. Und Offensichtliches sollte einfach ausgesprochen werden: Einige wenige Menschen haben zu viel. Dies ist ungerecht und macht angesichts von Armut auch zornig. Die Politik wendet sich aber meist gegen den Zorn und nicht gegen dessen Ursache: eine ungerechte Vermögenskonzentration.

Im Erben steckt keine Leistung, trotzdem wird aber weiter von Leistung schwadroniert.

Moment: Reiche beschwören die Leistungsgesellschaft. Beim Erben wird leistungsloses Einkommen aber akzeptiert.

Schürz: Der Widerspruch ist evident: beim Erben steckt keine Leistung drinnen, trotzdem wird aber weiter von Leistung schwadroniert. Das Wort Leistung meint dann etwas anderes: Den Verdienst des Verstorbenen oder den Zusammenhalt der Familie vielleicht.

Moment: Vermögende FirmeninhaberInnen werden einerseits als ArbeitgeberInnen und GönnerInnen gesehen, der Menschen Lohn und Brot gibt. Andererseits als AusbeuterInnen, die die Arbeitskraft ihrer Beschäftigten für ihren Profit ausnützen. Beides sind dieselben Handlungen. Es überwiegt die erste Sichtweise.

Schürz: Ja, der sprachliche Rahmen wird zum Vorteil der Vermögenden gezogen. Sie werden als Arbeitgeber bezeichnet, aber im Grunde nehmen sie ja die Arbeitskraft Anderer, um Profit zu erzielen. Weitere Begriffe, die den Eindruck vermitteln, dass die Reichen die besseren Leute sind, sind “der Steuerbeitrag”, “verdienter Reichtum” oder “Superreiche”. Aber sogar „Steuerflüchtling“ ist beschönigend. Es wird ja nur das Vermögen in „Steueroasen“ transferiert. Das heißt an Orte, die für Vermögende Oasen sind.

Moment: Arme und LeistungsempfängerInnen werden oft als „SozialschmarotzerInnen“ bezeichnet, SteuervermeiderInnen dagegen nicht. Warum ist das Bild bei den Ärmeren so negativ?

Schürz: Ich habe da wenig Hoffnung. Soziale Beschämung ist eine Herrschaftstechnik. Leute beantragen keine Mindestsicherung, obwohl sie ihnen zusteht, weil sie stigmatisiert werden und sich sozial beschämt fühlen. Und eine Politik, die sie verachtet, tut alles dafür, dass es so bleibt. Die Idee, reiche Steuerflüchtlinge zu beschämen, funktioniert nicht, weil der Staat sich seit Jahrzehnten als ineffiziente Bürokratie schmähen lässt und Steuern als Enteignung und Raubzug diskreditiert werden.

Philanthropie ist kein Ersatz für den Sozialstaat. Ohne demokratische Festlegung sind Menschen der Willkür und den Präferenzen ihrer Gönner ausgeliefert.

Moment: Warum gibt es keinen gesellschaftlichen Kampf von Arm gegen Reich, obwohl die Ungleichheit immer größer wird?

Schürz: In meinem Buch zeige ich, wie politisch auf der Ebene der Gefühle davon abgelenkt wird: etwa mit Neid auf noch Ärmere und Zorn gegen Flüchtlinge. Gegenüber den Mächtigen wird dankbare Demut dann zur Überlebenstechnik und die Politik begnügt sich mit symbolischen Gesten. Sie mahnen zu mehr Menschlichkeit und fordern bescheiden Beiträge von den Reichen. Dabei sollte die Politik ehrlich eingestehen, dass sie ins Hintertreffen geraten ist. Änderbar wäre es nur, wenn massiver Druck aus der Bevölkerung kommt. Ich beschreibe in meinem Buch, wie die Sozialisten in Frankreich symbolische Gerechtigkeitspolitik verfolgten. Sie sprachen von einer Reichensteuer und meinten aber nicht die Vermögenden, sondern nur die Einkommensreichen. So hat man Fußballstars und erfolgreiche Schauspieler besteuert, die viele Menschen bewundern. Das Problem des Überreichtums blieb ausgespart, er blieb unsichtbar.

Moment: Wie kann man den Überreichtum sichtbar machen?

Schürz: Es braucht ein globales Vermögensregister, national funktioniert das nicht. Denn dann wäre nicht sichtbar, was in Steueroasen gebunkert wird. Wenn man sagt, dass das nicht geht, hat man auch zugestanden, dass die Demokratie bereits beschädigt ist. Wenn man nicht einmal die Information darüber hat, wer wie viel besitzt, kann die Politik nicht wissen, wie sich ihre Maßnahmen der Besteuerung, Sozialausgaben und Subventionen auf die Menschen auswirken.

Moment: Ist wohltätiges Geben der Reichen eine Lösung Ungleichheiten auszugleichen?

Schürz: Nein, der Sozialstaat bekommt über Philanthropie eine gefährliche Konkurrenz. Und ohne demokratische Festlegung sind Menschen der Willkür und den Präferenzen ihrer Gönner ausgeliefert. Diese können ihre milden Gaben trotzdem jederzeit einstellen. Letztlich steckt bei den Spenden und der inszenierten Großzügigkeit immer ein soziales Gefälle drinnen. Da braucht man nur ins 19. Jahrhundert der Arbeitshäuser in England zurückschauen. Wenn ich angewiesen bin auf die Gnade des Herrn Grafen, dann ist dies herabwürdigend. Anders ist das bei einer sozialstaatlichen Versicherungsleistung, auf die ich Anspruch habe.

 

 

Zur Person: Martin Schürz forscht seit mehr als zwei Jahrzehnten zu Vermögenskonzentration. Er ist Lektor an der Wirtschaftsuniversität Wien und Autor des Buches „Überreichtum“, das im August 2019 im Campus Verlag erschienen ist. Schürz ist individualpsychologischer Analytiker und behandelt PatientInnen am Ambulatorium für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen „Die Boje“.

 
 

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