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Demokratie

Shoura Hashemi: “Nur wir in der Diaspora zeigen, was im Iran wirklich passiert"

Porträt von Shoura Hashemi
Social Media, Systemsturz und die iranische Gen Z an vorderster Front: Die jetzigen Proteste im Iran sind anders als ihre Vorgänger. Shoura Hashemi twittert täglich die neuesten Informationen über die iranische Revolution. Für MOMENT.at erzählt sie, was diesmal anders ist und welche wichtige Rolle auch die österreichische Diaspora spielt.

“Ich wache auf und poste Videos, gehe zur Arbeit, gehe in meine Mittagspause und poste Videos, gehe nach der Arbeit nach Hause und poste Videos, bis ich schlafen gehe.” Seit einigen Wochen bestimmt dieser Tagesablauf das Leben von Shoura Hashemi. Shoura arbeitet als Diplomatin in Österreich und ist auf Twitter einer der wenigen Personen in Österreich, die tagtäglich über den Iran berichtet und Videos und Nachrichten von Iraner:innen vor Ort teilt. Shouras Eltern waren im Widerstand gegen das Islamische Regime aktiv. 

Widerstand aus dem Untergrund

Ihre ersten Lebensjahre hat Shoura im Untergrund verbracht. 1987, mit viereinhalb Jahren, mussten sie und ihre Familie aufgrund der politischen Situation im Iran nach Österreich flüchten. Heute bekommt sie tagtäglich Videos von Privatpersonen aus dem Iran zugesendet, zusätzlich sucht sie aktuelle Videos auf sozialen Netzwerken wie Telegram, das viel von Iraner:innen genutzt wird. “Tatsächlich gibt es ‘Widerstandskanäle’, die im Grunde etwa Untergrundmedien sind, also wirklich sehr professionell wie eine Agentur berichten. Sie posten Stellungnahmen, Bilder und Videos, die ich dann übersetze und auf Twitter teile”, erklärt Shoura. 

 

Die Rolle der Diaspora

Die Fotos und Videos kommen von Menschen von unterschiedlichsten Orten und Personengruppen. Im ganzen Iran finden täglich Proteste statt. Auslöser war die Ermordung der 22-jährigen Kurdin Zhina (Mahsa) Amini durch die iranische Sittenpolizei. Laut Iran Human Rights gibt es mittlerweile über 300 Tote und 14.000 Festnahmen. Bei vielen besteht die Gefahr, dass sie zum Tod verurteilt werden.

Neben den Personen vor Ort nehmen laut Shoura auch Iraner:innen in der Diaspora eine wichtige Rolle bei den Protesten ein, indem sie das Thema in die internationale Öffentlichkeit tragen: “Wir in der Diaspora sind im Moment die Einzigen, die der internationalen Gemeinschaft wirklich zeigen, was im Iran passiert. Mir ist jedoch wichtig zu unterscheiden: Wir steuern das Ganze nicht, wir rüsten niemanden auf. Wir zeigen einfach nur auf, was passiert, weil klassische Medien zum Teil wirklich gar nicht in der Lage sind, dies in dieser Form zu übernehmen.” 

Internationale Solidarität gibt Kraft

Die internationale Berichterstattung und Solidarität bekommen auch die protestierenden Menschen vor Ort mit. Iraner:innen in der Diaspora schicken ihren Kontakten Fotos und Videos von internationalen Solidaritätsbekundungen und Demonstrationen zurück. Ein Beispiel dafür ist der Protest in Berlin am 22. Oktober, bei dem 80.000 Menschen teilnahmen. “Die Menschen im Iran bekommen das mit und es motiviert sie, es gibt ihnen Hoffnung und Kraft. Es werden auch Reden und Ansprachen wie beispielsweise im EU-Parlament geteilt”, erklärt Shoura.

Doch nicht nur die iranischstämmige Diaspora, sondern auch andere Menschen in Österreich können die Menschen im Iran unterstützen: “Die größte Unterstützung ist meiner Meinung nach, dass man weiterhin auf den Iran schaut, dass man das Land nicht abhakt und sich denkt, dass man nichts ausrichten kann. Man kann auch hier einen zivilgesellschaftlichen Druck aufbauen, in dem man zu Kundgebungen geht, Politiker:innen und Abgeordneten schreibt, Videos teilt und Reichweite gibt.”
 

 
 
 
 
 
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Heute sieht die Welt dem Regime zu

Diese Art der Berichterstattung auf sozialen Medien unterscheidet laut Shoura diese Proteste von den vorherigen. Seit der Gründung der Islamischen Republik fanden immer wieder Proteste statt, vor allem in den letzten Jahren. Diese Tage jährt sich der sogenannte “Blutige November” von 2019. Damals gingen Iraner:innen aufgrund hoher Spritpreise auf die Straße, woraufhin das Internet weitgehend abgedreht und innerhalb weniger Tage 1500 Menschen vom Regime getötet wurden. Zur Erinnerung an die getöteten Menschen fanden heuer landesweite Streiks und Proteste statt. Im Gegensatz zu 2019 wird das Islamische Regime heute genau beobachtet. Videos und Fotos von getöteten und verhafteten Menschen werden weltweit geteilt. 

Das Regime verliert den Überblick

Auch 2009 gingen Millionen Iraner:innen gegen Wahlbetrug auf die Straßen. Laut Shoura ist bei der jetzigen Protestbewegung der große Unterschied, dass es keine politischen Führungspersonen gibt: “Es gibt keine offizielle Opposition, die quasi den Kopf dieser Revolution bildet. Ich glaube jedoch, dass diese dezentrale Grassroots-Bewegung ihre Vorteile hat. Es gibt keine Leute, die man sofort hinrichten lassen kann und damit die Bewegung zu einem Ende bringt. Für das Regime ist es schwierig herauszufinden, wo der nächste Protest stattfindet, weil eben mehrere Proteste an unterschiedlichen Orten aufflammen. Einmal sind es die Azeris (Anm. eine ethnische Minderheit im Nordwesten des Landes), dann die Kurd:innen, dann die Belutsch:innen, dann wieder Schüler:innen und Studierende. Das lässt sich schwieriger kontrollieren als eine Großdemonstration in Teheran, die man einmal niederschießt und damit die Bewegung beendet. Das ist meiner Meinung nach ein klarer Vorteil.”

Ein Prozess, der sich nicht mehr umkehren lässt 

Mittlerweile gehen die Proteste im Iran in die neunte Woche. Während anfangs aufgrund der strengen Kleidervorschriften von Frauen demonstriert wurde, aufgrund derer Zhina (Mahsa) Amini getötet wurde, stellen die Iraner:innen mittlerweile die Systemfrage und fordern ein Ende der Islamischen Republik. Vielfach wird von einer Revolution gesprochen, die gerade ihren Lauf nimmt. “Meiner Meinung nach ist gerade ein Prozess im Gange, der sich nicht mehr umkehren lässt. Während zuvor gegen eine offensichtlich gefälschte Wahl oder gegen Preiserhöhungen und die wirtschaftliche Situation im Land demonstriert wurde, sehen wir heute, dass die Menschen das ganze Regime nicht mehr akzeptieren wollen”, erklärt Shoura. 

Die iranische Gen Z an vorderster Front

An vorderster Front der Revolution steht die iranische Generation Z, die dritte Generation nach der Islamischen Revolution. Sie kennen die Angst der vorherigen Generationen nicht, die die Massenhinrichtungen von Oppositionellen im Jahr 1988 erlebt haben.“Das sind Menschen, die einfach nicht mehr bereit sind, das Leben, das ihre Eltern und Großeltern geführt haben, weiterzuführen. Sie sind wie andere junge Menschen außerhalb des Iran mit Instagram und TikTok aufgewachsen und sehen überhaupt nicht ein, warum sie anders als andere junge Menschen aufwachsen sollen.”

 
 

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