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Ungleichheit

Kabarettist Hosea Ratschiller: “Ich bin doch ein Notfall”

Hosea Ratschillers Programm “Ein neuer Mensch” wird heute mit dem Kabarettpreis ausgezeichnet. Im Interview erzählt er, wie dramatisch es der Kabarett- und Kulturszene in der Corona-Krise geht und warum es endlich bessere Auffangnetze für Kulturschaffende braucht.
MOMENT: Dein Programm “Ein neuer Mensch” wurde nun mit dem Kabarettpreis ausgezeichnet. Wurdest du durch die Corona-Zeit zu einem neuen Menschen?

Hosea Ratschiller: Nein, durch Corona bin ich bestimmt kein neuer Mensch geworden. Ich konnte nicht einmal künstlerisch daraus schöpfen, es hat mich nur erschöpft. Es ist belastend, wenn man seinen Beruf nicht ausüben kann. Und ich spiele das Programm sehr gerne. Ich freue mich über den Preis und er kommt in einer guten Zeit, denn er ist mit einem Preisgeld dotiert. Und ich komme gerade aus einem halben Jahr ohne Umsatz. 

 

MOMENT: Wie ging es dir generell im Lockdown?

Ratschiller: Ich habe viel gekocht und habe mit meiner achtjährigen Tochter Homeschooling gemacht. Das war irrsinnig anstrengend und dabei habe ich nur ein Kind und wir leben in einer großen Wohnung neben einem Park. Wie das andere Familien mit mehreren Kindern in kleinen Wohnungen machen, das kann ich mir gar nicht vorstellen. 

Und natürlich war die Zeit finanziell drastisch. Meine Rücklagen sind jetzt aufgebraucht und daher ist es sehr gut, dass es wieder Auftritte gibt.

Momentan sind drei Vorstellungen nötig um das zu verdienen, was man davor mit einer verdient hat.

MOMENT: Es finden zwar Vorstellungen statt, aber wie ist das unter den Corona-Maßnahmen?

Ratschiller: Momentan sind drei Vorstellungen nötig um das zu verdienen, was man davor mit einer verdient hat. Das geht nicht lange gut. Aber ich bin in einer glücklichen Lage: Die Premiere meines neuen Programmes war lange vor dem Lockdown und ich konnte die Kosten der Produktion einspielen. Ganz schlimm ist es für KollegInnen, die im Jänner und Februar Premiere hatten. Denn KabarettistInnen tragen das Risiko, das sie mit einem neuen Programm eingehen, immer selbst. Es gibt keine Förderungen oder Subventionierungen für Kabarett. In der Zeit, in der das Programm geschrieben und entwickelt wird, verdient man nichts. Die Regie, den Druck der Plakate, das alles wird aus der eigenen Tasche bezahlt – und dann kann man nur hoffen, das die Leute das Programm gut annehmen und zahlreich in die Vorstellungen kommen und Tickets kaufen. Wir haben in Österreich viel zu wenig darüber nachgedacht, wie wir in der freien Theaterszene und im Kabarett diese Risiken solidarischer aufteilen können. Das fällt uns jetzt auf den Kopf. Andere Länder haben das viel besser gelöst. 

 

MOMENT: Und wie haben sie das gemacht?

Ratschiller: In Frankreich gibt es zum Beispiel eine Arbeitslosenversicherung für KünstlerInnen und Menschen, die in Berufen mit sehr unregelmäßigem Einkommen arbeiten. Wer gerade nicht arbeitet, bekommt so etwas wie ein bedingungsloses Grundgehalt. Auch in der Schweiz gibt es eine viel vernünftigere Versicherung. Und dort schließen sich zum Beispiel mehrere Theater zusammen und tragen das Risiko einer Premiere, damit die KünstlerInnen nicht alleine dastehen. In Österreich stecken solche Organisationsformen noch in den Kinderschuhen. Aber ich bin optimistisch. Es hat sich nun die Interessengemeinschaft Kabarett gegründet und ich hoffe, dass bei uns nun auch etwas weitergeht. 

Ich spiele grundsätzlich viele Vorstellungen in der kalten Jahreszeit und habe mir schon lange vor Corona regelmäßig die Hände desinfiziert – weil ich mir als freischaffender Künstler einfach keine Krankheit leisten kann

MOMENT: Hast du Angst vor einem neuen Lockdown im Herbst?

Ratschiller: Es hoffen derzeit alle in der Branche, dass es nun im September halbwegs normal weitergeht. Aber erstmal dürfen aufgrund der Corona-Maßnahmen weniger Tickets verkauft werden – und dann kommen die Leute oft nicht, weil sie sich nicht trauen. Wenn die Karten rechtzeitig zurückgegeben werden, muss auch der Preis erstattet werden. Und so tun sich die Theater bei der Kalkulation irre schwer.

Ich persönlich glaube, dass wir im November erst lernen werden, was Corona wirklich ist. Das bislang war ein Kindergeburtstag. Als das Virus zu uns kam, war das Ende der Infektsaison. Nun beginnt sie. Ich spiele grundsätzlich viele Vorstellungen in der kalten Jahreszeit und habe mir schon lange vor Corona regelmäßig die Hände desinfiziert – weil ich mir als freischaffender Künstler einfach keine Krankheit leisten kann. Ich habe bislang nie verstanden, dass sich nur so wenige Leute gegen die Grippe impfen lassen. Und oft kamen nach Vorstellungen schnäuzende und hustende Leute zu mir, die mir die Hand schütteln wollten – das kam mir manchmal vor wie russisches Roulette. 

Aber dass es zu einem zweiten Lockdown kommt, glaube ich nicht. Da werden viele einfach nicht mehr mitmachen. Also, wenn einer kommt, wird es sehr, sehr unschön.

 

MOMENT: Gibt es genug finanzielle Hilfen für die Kulturbranche?

Ratschiller: Mir persönlich geht es bestimmt noch besser als manch anderen. Ich kenne welche, die es ganz schwer haben und ans Aufhören denken. Die suchen sich gerade irgendwelche Jobs, um sich über Wasser zu halten. Manche kleinen Theater denken schon ans Zusperren. Es gibt sogar Gesellschafter mancher Theater oder Veranstaltungslokale, die sich nun auch noch Geld auszahlen lassen, das ist haarsträubend! Und dann gibt es bekannte KünstlerInnen, die ihr gesamtes Team durch diesen Lockdown gebracht haben und ihnen etwa Vorschüsse ausbezahlt oder zinsfreie Darlehen gegeben haben. Solche Beispiele gibt es, aber das sind die Ausnahmen.

Ich selbst habe mich lange nicht als Notfall gesehen und den Notfallfonds nicht beantragt. Dann sind die Vorauszahlungen der Sozialversicherung und der Steuer eingetrudelt und ich habe erkannt, dass ich doch ein Notfall bin. Dann habe ich Geld aus dem Sonderfonds der Literar-Mechana, der Reproduktionsvergütung und Urheberrechtsvergütung beantragt.

Es muss dringend eine soziale Variante dieser Corona-Maßnahmen geben.

MOMENT: Bist du mit den Maßnahmen der Regierung zufrieden? 

Ratschiller: Ob die Maßnahmen gut und ausreichend sind, kann ich nicht beurteilen. Ich finde, dass es sehr wohl eine öffentliche Diskussion über die Sinnhaftigkeit der einzelnen Maßnahmen geben soll. Aber was da gerade an Kritik geäußert wird, kommt oft von sehr fragwürdigen Gruppen. Vielleicht werden wir vieles erst rückblickend beurteilen können. Was mich im Moment als Mensch mit christlich-sozialem Hintergrund wütend macht ist, dass eine Regierungspartei mit diesem Hintergrund im Moment einfach nicht demokratisch und solidarisch regiert. 

Es muss dringend eine soziale Variante dieser Corona-Maßnahmen geben. Es geht ja nicht nur um die gesundheitlichen Risiken, sondern darum, dass vielen Menschen wirtschaftlich, beruflich, sozial und psychisch ein Lebensjahr mit einer Krise überpinselt wurde. Vor allem sind die Folgen für Kinder noch gar nicht abschätzbar. Doch aus dem Sozialministerium hört man nichts. Gibts überhaupt noch eines?

MOMENT: Du meinst mit christlich-sozialen Werten wohl auch die aktuelle Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem abgebrannten Lager in Moria, bei der die ÖVP blockiert?

Ratschiller: Den Umgang mit Moria verstehe ich nicht. Nichts davon. Die Argumente sind inhaltlich und moralisch haarsträubend. Es ist unfassbar, dass manche es für legitim erachten, Kinder krepieren zu lassen, damit ihre Eltern keine Motivation mehr haben, um Zuflucht in Europa zu suchen. Diese Argumente sind völkische Propaganda-Fantasien, das appelliert kommunikationstechnisch an niedrige Instinkte. Das hat meiner Meinung nach in einer demokratischen Bundesregierung nichts zu suchen.

 

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