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Demokratie

Astroturfing: Der Kampf gegen die deutsche Zivilgesellschaft

Astroturfing: Der Kampf gegen die deutsche Zivilgesellschaft
Seit einigen Monaten kämpfen extreme Rechte und der radikalisierte Konservatismus in einer neuen Arena: Es geht gegen die deutsche Zivilgesellschaft. Dabei werden bewährte Strategien aus den USA benutzt. Natascha Strobl analysiert.

Die Union hat die Wahl in Deutschland gewonnen. Sie konnte die AfD (noch) in Schach halten. Nach der Wahl zeigte sie sogleich, wie die künftige Strategie an der Macht lautet: Man behauptet, die Alternative zur AfD zu sein und biedert sich ihr inhaltlich an.

Gezeigt hat sich das in einer Anfrage, die die Union nach der Wahl an die vorherige Bundesregierung stellte. In über 500 Fragen wurde nach Finanzierung und Förderung quasi aller wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen gefragt – von Naturschutz über politische Bildung bis Transparenzfragen.

Geringschätzung, Unterstellung, Angriff

Die Anfrage hatte den Unterton der Unterstellung, verbunden mit der Geringschätzung der Arbeit dieser Organisationen. Umweltschutzorganisationen wurden so hingestellt, als wären sie quasi staatlich alimentierte Aktivist:innen, die gegen die (nicht vorhandene) Klimapolitik der Rechtsparteien eingesetzt werden.

Dabei bekommen diese Organisationen oft gutes Geld für z.B. Artenschutzprojekte, Renaturierungsmaßnahmen oder ökologische Bildung an Schulen. Fällt dieses Geld weg, fällt diese Arbeit weg und dann würde Deutschland ganz anders aussehen, als es im Moment aussieht.

Trend-Narrativ von rechts

Der Vorwurf lautet unterschwellig, hier würde Geld quasi im Nichts verschwinden. Wer schon einmal eine simple Spesenabrechnung für ein öffentlich gefördertes Projekt gemacht hat, weiß wie lächerlich das ist. Jeder Cent muss penibel dokumentiert werden. Aber die rechte Fantasiebedrohung des staatlich finanzierten Aktivismus ist breit anschlussfähig: vom außerparlamentarischen, harten Rechtsextremismus bis Union und FDP.

Dieses Narrativ passt gut in die Zeit. Es ist ein Echo der Staatszerschlagungs-Kampagne rund um die von Elon Musk erfundene Organisation “DOGE”. Die schlägt einfach mal Strukturen kaputt – und wenn dann die Wildkatzen aussterben, dann ist es halt so.

Politisches Astroturfing

Nun wird diese Kampagne fröhlich weiter gedreht – in Form einer „Astroturfing“-Organisation. Astroturfing hat eine lange, unheilvolle Tradition in den USA. Vorreiter dieser Desinformation ist dort das Netzwerk der ultrarechten, überreichen Koch-Brothers. Die haben verstanden, dass die öffentliche Meinung auf Zivilgesellschaft und Universitäten hört. Also haben sie eine Pseudo-Zivilgesellschaft aufgebaut und sich mit viel Geld in einige Universitäten eingekauft, damit zumindest dort immer das gewünschte Ergebnis rausgetragen wird. Ein frühes Beispiel ist eine sehr seriöse Studie, die belegt, dass Zigarettenrauch sogar gut für Kinder ist. Aber auch Pseudo-Organisationen, die dafür bezahlt wurden, gegen strengere Rauch- oder Waffengesetze zu lobbyieren.

So wirkt die Gegenüberstellung nicht mehr wie die Auseinandersetzung „gute Zivilgesellschaft gegen böse Unternehmen“. Sondern wie eine Meinungsverschiedenheit zwischen einem Teil der Zivilgesellschaft und einem anderen Teil der Zivilgesellschaft. Doch in Wahrheit ist nur eine Organisation echt – die andere ist eine vorgeschobene Maske der Unternehmen, die ihren Profit absichern wollen.

Seltsame „Initiative transparente Demokratie“

In diese Schneise passt auch eine neu gegründete Organisation namens „Initiative transparente Demokratie”. Sie möchte nicht etwa die Mächtigen überwachen, sondern Lobbyverbände und insbesondere NGOs. Im Mission Statement wird betont, dass „finanziell geförderte Interessen politische Prozesse maßgeblich beeinflussen. Dies gilt insbesondere für NGOs, die staatliche Fördermittel erhalten und sich zugleich aktiv in politische Debatten einbringen.“ Die erst wenige Wochen alte „Initiative“ hat bisher laut eigener Darstellung ehrenamtliche Mitarbeiter:innen (“Leiter” diverser Teilbereiche). Es brauchte nicht lange bis die reale und anerkannte Transparenz-NGO “Lobbywatch” recherchiert hat, wer hinter der „Initiative transparente Demokratie“ steht: Personen und Unternehmen der Biotech- und Chemie-Branche. Über die Finanzierung der jungen Initiative selbst, erfährt man auf der Website wenig: Sie sei „vollständig privat finanziert“, in welcher Höhe oder von wem wird nicht ausgewiesen.

Es ist eine Initiative, die vor allem auch den  Zweck hat zivilgesellschaftliches Engagement zu diskreditieren. Sichtbar wird das unter anderem im jüngst in der Welt veröffentlichten Kommentar der Vorstandsvorsitzenden des Vereins. „NGOs (sind) zu einer mächtigen, weitgehend unregulierten Macht im Staat herangewachsen“, warnt sie darin. Diese Art der Stimmungsmache soll im vorpolitischen Raum vorbereiten, was Union, FDP und/oder AfD dann parlamentarisch vollziehen können, wenn sie Mehrheiten haben: die Zerschlagung der echten Graswurzel-Zivilgesellschaften aus der Bevölkerung – zu Gunsten von Lobbyvereinen.

Das ist ein Angriff auf die Demokratie an sich.

Hinweis der Redaktion: Diese Fassung des Kommentars von Natascha Strobl wurde am 13. Juni 2025 leicht überarbeitet. Die Initiative Transparente Demokratie (ITD) hat gegenüber der Redaktion Einwände gegen einige Formulierungen erhoben. Wir haben einzelne Punkte präzisiert:

  1. Die ursprüngliche Formulierung, die ITD wolle ausschließlich NGOs überwachen, wurde dahingehend präzisiert, dass laut ITD auch Verbände und andere Lobbygruppen überwacht werden sollen.

  2. Die ursprüngliche Darstellung, dass die ITD hauptamtliche Mitarbeiter:innen beschäftigt, wurde korrigiert. Laut ITD arbeiten derzeit alle Mitarbeiter:innen ehrenamtlich.

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