Kein Betriebsrat für Douglas: Wie eine junge Frau gekämpft, gesiegt und verloren hat
In diesem Text erzähle ich die Geschichte von Sabrina, die für einen Betriebsrat bei Douglas gekämpft hat – und dabei praktisch das österreichische Rechtssystem durchgespielt hat. Du kannst dir die Geschichte auch anhören. Ich habe Sabrina für unseren ersten Serien-Podcast zwei Jahre lang begleitet.
Als Sabrina E. an einem Sommertag ins Büro geholt wird, weiß sie noch nicht, dass sich ihr Leben bald schlagartig ändern wird. Nach nur neun Monaten als Teilzeit-Verkäuferin bei Douglas wird sie gekündigt. Einfach so, ohne Vorwarnung. Aber sie hat eine Idee, wieso sie ihren Job verloren hat: „Ich habe gefragt, ist es wegen des Betriebsrats?“
Douglas hat hunderte Mitarbeiter:innen in Österreich, aber keinen Betriebsrat
Sabrina wird sofort vom Dienst freigestellt. Sie packt ihre Sachen und verlässt die große Filiale auf der Mariahilfer Straße in Wien. Im selben Zeitraum kündigt Douglas noch zwei Kolleginnen von Sabrina. Zu dritt gehen sie zur Gewerkschaft und schließlich an die Medien.
Douglas ist ein Parfümeriekonzern mit über 2.000 Filialen in 26 Ländern in Europa. Man kennt die Slogans („Douglas – macht das Leben schöner“) und die Markenfarbe türkis. Der Konzern macht international mehrere Milliarden Euro Umsatz.
Ähnlich wie andere Riesenkonzerne hat Douglas in Österreich aber keinen Betriebsrat. Dabei ist das Unternehmen seit den 70ern in Österreich vertreten. Seit rund 50 Jahren gibt es also keine Vertretung für hunderte Mitarbeiter:innen.
Das wollte Sabrina ändern. Eigentlich hatte alles gut angefangen. Ihr Start bei Douglas war vielversprechend. Davor arbeitete Sabrina für Marionnaud, als ihre Chefin zu Douglas wechselte, nahm sie Sabrina gleich mit. Im alten und im neuen Job schrieb die Chefin Sabrina lobende Nachrichten, sie hat ihre Arbeit offenbar gut gemacht.
Aber Sabrina war nicht ganz zufrieden. “Wir hatten jeden Tag Personalmangel. Ich wurde fast jeden Samstag frühzeitig aus meiner Pause geholt. Einmal hatte ich so starke Pollenallergie, dass meine Augen zugeschwollen waren und meine Gelenke geschmerzt haben. Trotzdem haben sie mich beinhart da behalten.”
Sabrina erzählt, das Team arbeite unter ständigem Druck, die Stimmung sei schlecht und sie habe sogar gehört, die Vorgesetzten würden Spind-Kontrollen machen, wenn die betroffenen Mitarbeiter:innen nicht da sind. Das erzählt Sabrina in einem Café in Alt Erlaa in Wien im September 2019. Sie trägt ein weißes Tanktop, ihre schwarzen Locken fallen über ihre Schultern, ihr Make-Up ist makellos. Die Kündigung trifft sie, das hört man in ihrer Stimme.
Douglas streitet alle Vorwürfe ab. „Als Arbeitgeber halten wir uns stets vollumfänglich an die arbeitsrechtlichen Vorgaben in Österreich. Das gilt auch für die Einhaltung von Arbeitszeiten und Pausen“, schreibt die deutsche Pressesprecherin in einem Statement an MOMENT. „Douglas schätzt und pflegt den engen Kontakt und den offenen, kontinuierlichen und konstruktiven Dialog mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.“
Doch dass die Arbeitsbedingungen bei Douglas nicht die besten sind, lassen auch die Bewertungen auf der Plattform „kununu“ vermuten. „Die Art und Weise wie sie mit den Mitarbeitern im Verkauf umgehen, ist inakzeptabel“, schreibt etwa eine Person. „Es wird so viel Druck und Angst verbreitet, dass sie niemals das erreichen können, was sie gerne möchten, da die Mitarbeiter irgendwann nicht mehr können.“
Sabrina hat einen Plan: Sie möchte ihren Job zurück und den Betriebsrat doch noch aufstellen. Ob ihr das gelingen wird, ist unklar. Denn ihr Fall fällt in einen Graubereich. Sabrina hatte zwar Kolleg:innen angesprochen, hat versucht, sie für einen Betriebsrat zu gewinnen. Aber die nötige Betriebsversammlung war noch nicht geplant.
„Zu diesem Zeitpunkt wird die Arbeitnehmerin das Gericht überzeugen müssen, dass sie wegen ihrer Ambitionen gekündigt wurde“, sagt Martin Gruber-Risak. Er ist Professor für Arbeitsrecht an der Universität Wien.
Mit der Kündigung beginnt ein jahrelanger Rechtsstreit. Auf der einen Seite: die Jus-Studentin Sabrina E., Mitte zwanzig, die sich die Gewerkschaft zur Verstärkung ruft. Auf der anderen Seite: der Riesenkonzern Douglas, sein Pressebüro, der Spitzenanwalt. Noch weiß Sabrina nicht, was auf sie zukommt.
Wie gründe ich einen Betriebsrat?
Wenn in deiner Arbeit mindestens fünf Menschen beschäftigt sind, könnt ihr einen Betriebsrat gründen. Zuerst muss dafür eine Betriebsversammlung einberufen werden. Dort wird der Wahlvorstand gewählt. Er achtet darauf, dass die Wahl ordnungsgemäß abläuft. Kandidieren müssen mindestens so viele Menschen, wie es Mandate gibt. Die Zahl ist davon abhängig, wie viele Menschen im Betrieb arbeiten. Ein Beispiel: Sind im Team fünf Personen, gibt es ein Betriebsratsmitglied. Arbeitest du in einer großen Firma mit 5.000 Mitarbeiter:innen sind es schon 23 Betriebsräte. Du kannst dich bei der zuständigen Gewerkschaft und bei der Arbeiterkammer informieren.
Sabrina tritt bei einer Pressekonferenz auf und plötzlich ist ihre Geschichte überall. Zeitungen titeln: „Der Duft von Betriebsrat schmeckt Douglas gar nicht“ und „Gewerkschaft empört: Douglas verhindere Betriebsratsgründung“. Nur Douglas selbst äußert sich kaum zur Sache. Auf die Frage, warum Sabrina und ihre Kolleginnen denn gekündigt wurden, heißt es nur, man könne aus Schutz der Privatsphäre der Klägerinnen dazu nichts sagen.
Die monatelange Stille endet im November 2019. Douglas und Sabrina treffen sich vor Gericht wieder. Das Wiener Arbeits- und Sozialgericht liegt in der Nähe der Spittelau, das Gebäude ist grau-braun, hier wird es ernst. Douglas muss endlich die Kündigungsgründe offenlegen. Und Sabrina muss zeigen, dass sie wegen ihrer Ambitionen für einen Betriebsrat gekündigt wurde. Im schlichten Gerichtssaal sitzen links die Klägerinnen, also Sabrina mitsamt Kolleginnen, und die Gewerkschaftsanwältin. Rechts sind es Geschäftsführerin Rebekka P. und der Anwalt.
Wer mobbt hier wen?
Während des Gerichtsverfahrens tauchen Vorwürfe auf – auch gegen Sabrina. Die Geschäftsführerin Rebekka P. gibt an, sie habe erfahren, „dass Mobbing stattfindet gegen die Filialleitung“. Ein schwerer Vorwurf, der auch in zwei ganzen Prozesstagen nicht belegt werden kann. Zeuginnen werden befragt, keine einzige sagt aus, Sabrina hätte jemanden gemobbt. Nicht einmal die Filialleiterin selbst. Der Kündigungsgrund, den Douglas angibt, ist unglaubwürdig.
Aber damit ist es für Sabrina nicht getan. Sie muss die Verhandlung darauf verwenden, so gut wie möglich zu zeigen, dass sie einen Betriebsrat gründen wollte – und deswegen gekündigt wurde. Ihre ehemaligen Kolleginnen sagen vor Gericht aus, Sabrina hätte mit ihnen über eine Betriebsratsgründung gesprochen. Manche fanden das gut, andere eine Zeitverschwendung. Aber es gibt keine Zweifel daran, dass Sabrina es ernst gemeint hat – und immer noch ernst meint.
Sie will ihren Job zurück, damit sie den Betriebsrat aufstellen kann. Koste es, was es wolle. Als vor Gericht rauskommt, dass mindestens zwei Vorgesetzte von Sabrinas Plänen wussten, kommt sie einem Sieg einen Schritt näher. Aber bis die Richterin ihr Urteil fällt, muss Sabrina lange warten.
Aus 2019 wird 2020, der Frühling kommt und mit ihm das Corona-Virus. Inmitten der unsicheren Zeit meldet sich Sabrina mit einer guten Nachricht.
Sabrina gewinnt in erster Instanz gegen Douglas.
Im Keim erstickt
Die Richterin begründet das so: Bei Sabrina sei das ausschlaggebende Motiv der Kündigung ihr Engagement zur Gründung eines Betriebsrats gewesen. Sie hatte schon Kontakt mit der Gewerkschaft und versuchte, Kolleg:innen anzuwerben. Das Gesetz müsse in Sabrinas Fall weit interpretiert werden. Die Betriebsratswahl, die Sabrina geschützt hätte, war noch nicht in absehbarer Zeit geplant. Trotzdem entscheidet die Richterin zu Sabrinas Gunsten, denn sonst: „wären einem Unternehmer Tür und Tor geöffnet, durch die Vornahme von Kündigungen Bestrebungen zur Einrichtung eines Betriebsrates im Keim zu ersticken.“
Für Sabrina ist es nun so, als wäre sie nie gekündigt worden. Sie ist wieder Mitarbeiterin bei Douglas, bekommt ihren Lohn nachgezahlt und kann sich endlich darum kümmern, den Betriebsrat auf die Beine zu stellen. In den vergangenen Monaten ist ohne Sabrina nämlich kaum etwas weitergegangen.
Douglas akzeptiert das Urteil nicht, der Konzern legt Berufung ein. Die nächste Instanz muss das Urteil also prüfen.
Für kurze Zeit kehrt Ruhe ein. Sabrina arbeitet samstags wieder für Douglas, verkauft Düfte und Beauty-Produkte, schmiedet Pläne für die Betriebsversammlung. Aber dann, an ihrem freien Tag im Juli 2020, bekommt sie eine E-Mail. Sabrina wird fristlos entlassen – rund ein Jahr nach ihrer Kündigung.
Was ist der Unterschied zwischen Entlassung und Kündigung?
Arbeitgeber:innen können ohne Angabe von Gründen eine Kündigung aussprechen. Du hast dann eine Kündigungsfrist, in der du weiter bezahlt wirst. Falls du denkst, du wurdest wegen eines verpönten Motivs gekündigt, kannst du die Kündigung vor Gericht anfechten. Es gibt außerdem bestimmte Umstände, in denen du nicht gekündigt werden kannst. Etwa im Mutterschutz oder wenn du Betriebsratsmitglied bist.
Für eine Entlassung (auch Fristlose genannt) brauchen Arbeitgeber:innen einen wichtigen Grund. Wenn du einen großen Fehler gemacht hast, etwa, sodass es unzumutbar wäre, dich weiterzubeschäftigen. Dann bist du sofort deinen Job los.
Sabrina ist geschockt.
Darf Douglas das? Sabrina will sich wieder wehren und bringt eine weitere Klage ein. Sie ist jetzt in zwei Verfahren verwickelt. Das zur Kündigung liegt nun in der zweiten Instanz und das Verfahren zur Entlassung fängt in der ersten Instanz an.
Douglas begründet die Entlassung in einem Schreiben ans Gericht mit Sabrinas Aussagen in den Medien, sie seien „geschäftsschädigend“. Nämlich, dass es fragwürdige Kündigungen gebe, Brandschutz-Gesetze missachtet würden und sich das Personal an niemanden wenden konnte.
„Das ist lächerlich“, sagt Sabrina. „Ich habe alles, was ich gesagt habe, mit Juristen und Medienleuten besprochen. Ich habe wirklich aufgepasst.”
Es ist ein weiterer Rückschlag für die Mitarbeiter:innen, die einen Betriebsrat gründen wollen. Dass der Konzern Douglas immer noch keinen Betriebsrat hat, ist nur ein Symptom eines größeren Problems.
Wie viele Menschen sind Gewerkschaftsmitglied, wie viele Betriebe haben einen Betriebsrat?
Heute sind viel weniger Menschen Mitglied in einer Gewerkschaft als früher. 1980 waren rund 70 Prozent der Arbeitnehmer:innen Gewerkschaftsmitglied. Mittlerweile sind es nur noch 31 Prozent. Und je weniger Menschen in Gewerkschaften organisiert sind, desto weniger Macht haben sie.
Auch bei den Betriebsräten sieht die Entwicklung schlecht aus. Hatten 2005 noch fast zwei Drittel aller Betriebe einen Betriebsrat, waren es zehn Jahre später nicht mal die Hälfte aller Betriebe.
Unternehmen können ein Interesse daran haben, einen Betriebsrat zu verhindern. Denn ist die Belegschaft organisiert, hat der Betriebsrat Kontroll- und Mitbestimmungsrechte. Mitglieder sind vor einer Kündigung geschützt. Diese Mitarbeiter:innen können sich also ohne Angst für die Kolleg:innen einsetzen. Andere Unternehmen sind wiederum froh, einen Betriebsrat zu als zentralen Ansprechpartner zu haben.
Kurz nach der Entlassung sammeln sich mehr als hundert Leute vor der größten Douglas Filiale Österreich in der Wiener Innenstadt. Es ist eine der heißesten Tage des Jahres.
Die Gewerkschaft hat eine Kundgebung gegen Sabrinas Entlassung organisiert. Die Demonstrant:innen tragen Mund-Nasen-Schutz mit dem Logo der GPA, sie haben Schildern dabei. Da stehen Sachen wie: „Douglas, die Entlassung könnt ihr euch abschminken“ oder „Wer hat Angst vor dieser Frau“, daneben ein Foto von Sabrina.
Sabrina spricht vor der Menschenmenge, dankt für die Unterstützung und die Solidarität. Die Kundgebung ist ein Versuch, die Aufmerksamkeit wieder auf den Fall Douglas zu lenken. Mit Erfolg, mehrere Medien berichten wieder über den Fall.
Aber die Justiz ist langsam, die Medien schnell. Die Aufmerksamkeit verfliegt innerhalb weniger Tage. Die Verhandlung zu Entlassung findet aber erst Monate später im Oktober 2020 statt. Vor Gericht ist diesmal das MOMENT Magazin als einziges Medium dabei.
Aber sie dauert nicht lang. Kurz nach Anfang der Verhandlung bricht der Richter überraschend ab. Denn Douglas‘ Berufung wegen der Kündigung im Jahr 2019 ist durchgegangen. Sabrinas Sieg ist plötzlich weg.
Der Richter meint, wenn die Kündigung noch nicht geklärt ist, ergibt es keinen Sinn, über die Entlassung zu verhandeln. Sabrina stürmt aus dem Saal, sie wartet vor dem Gerichtsgebäude, sagt ein paar Sätze und weint zum ersten Mal seit sie ihren Arbeitskampf begonnen hat.
Zurück an den Anfang
Jetzt ist alles wieder offen – anderthalb Jahre nachdem Sabrina angefangen hat, sich um den Betriebsrat zu bemühen.
Denn das Oberlandesgericht, die zweite Instanz, schreibt: Auch wenn die Geschäftsführerin von Sabrinas Plänen wusste, reicht das nicht. Sie muss auch gewusst haben, dass Sabrina mit der Gewerkschaft in Kontakt war. Und darauf gibt es keine Hinweise.
Nur wenig später erfährt Sabrina, dass die Richterin ihr Urteil abändern und Douglas recht geben wird. Und dass, obwohl dieselbe Richterin erst vor ein paar Monaten in ihrem Urteil Sabrinas Sieg damit begründet hatte, dass ansonsten Unternehmen „Tür und Tor geöffnet“ wären, einen Betriebsrat im Keim zu ersticken.
Genau das passiert gerade. Sabrina hatte vor ihrer Kündigung etwa sechs Kolleg:innen, die sich als Kandidat:innen bereitstellen wollten. Nach der Kündigung sprang ein Großteil ab. Jetzt sind es nur noch zwei Douglas-Mitarbeiter:innen. Zwar hat Sabrina in ganz Österreich Filialen besucht und für den Betriebsrat Werbung gemacht, aber ihre Strategie fruchtet nicht.
„Alles haben Angst“, sagt Sabrina. Wer kann es ihnen verübeln?
Wieso ist es im Handel schwierig, einen Betriebsrat aufzustellen?
In der Branche arbeiten mit einer überwältigenden Mehrheit Frauen und überdurchschnittlich viele Menschen mit Migrationshintergrund. Wer im Einzelhandel arbeitet, ist häufig befristet, geringfügig oder Teilzeit beschäftigt. Gemeinsam mit dem niedrigen Stundenlohn kommt es, dass sie im Durchschnitt netto weniger als 1.300 Euro im Monat verdienen.
„Die Frauen, die bei Douglas Teilzeit arbeiten und unbezahlt zu Hause noch die Sorgearbeit machen, haben nicht unendlich viele Kapazitäten, sich auch noch interessenspolitisch bei einem Betriebsrat zu engagieren“, sagt Arbeitsrechtsprofessor Martin Gruber-Risak.
Dazu kommt, dass die Belegschaft von Sabrinas Filiale mittlerweile fast vollständig ausgetauscht wurde. „Ich kenne nur noch zwei, drei Menschen dort.“
Wieso tut Sabrina sich das immer noch an? Sie könnte jederzeit ihre Klage zurücklegen und sich einer anderen Sache widmen.
„Mein Umfeld würde mich wohl als stur bezeichnen“, sagt Sabrina und lacht. Sie hat einen starken Sinn für Gerechtigkeit. Als Jus-Studentin hat sie das nötige Hintergrundwissen, um im Gewirr aus Gesetzen und Prozessen nicht unterzugehen. Dazu hat Sabrina das Glück, aktuell nicht auf den Job angewiesen zu sein. Sie wohnt bei ihren Eltern, sie unterstützen Sabrina. Sie kann sich den Arbeitskampf noch leisten.
Aber hat Sabrina nicht auch langsam genug? „Arbeitsrechtlich wäre es gut, wenn ich weiterkämpfe“, sagt sie an diesem Punkt. Denn ihre Anwältin nennt das Urteil fatal, nicht nur für sie, sondern für alle Menschen, die in Österreich einen Betriebsrat gründen wollen. Wenn jetzt festgeschrieben steht, dass eine Mitarbeiterin wie Sabrina zwar alles richtig machen und trotzdem völlig legal gekündigt werden kann? „Dann wird es nie wieder einen Betriebsrat geben. Nirgendwo. Geschweige denn bei Douglas.“
Sabrina legt also nicht nur im eigenen Interesse Berufung ein. Das neue Urteil zur Kündigung geht wieder ans Oberlandesgericht. Wieder heißt es warten.
Douglas schließt Filialen
Im Jänner 2021 kommt heraus, dass Douglas in ganz Europa Filialen schließen wird. Auch Österreich ist betroffen – konkret geht es um fünf Filialen. Und immer noch hat die Belegschaft keinen Betriebsrat, der bei den Filialschließungen ihre Interessen vertreten könnte. Was das bedeutet, zeigt sich schnell. In Deutschland verhandelt der Betriebsrat Sozialpläne für alle Mitarbeiter:innen, die ihre Jobs verlieren. Für Mitarbeiter:innen in Österreich wird es keinen Sozialplan geben, bestätigt der Douglas-Pressesprecher.
Die schlechten Nachrichten nehmen kein Ende. Im Mai 2021, fast zwei Jahre nachdem Sabrina ihre Betriebsratspläne geschmiedet hat, wird Sabrinas Berufung abgelehnt. Beim Telefonat hört sich sie niedergeschlagen an, da ist eine Hoffnungslosigkeit in ihrer Stimme. Gleichzeitig sagt sie: „Damit habe ich gerechnet.“ Kurz darauf entscheidet sich Sabrina trotzdem dazu, noch einmal Berufung einzulegen. Sie will an den Obersten Gerichtshof, das ist die dritte und letzte Instanz.
Der Oberste Gerichtshof beschäftigt sich mit „erheblichen Rechtsfragen“. Und so eine liegt im Fall Douglas vor, meint Sabrinas Anwältin. Nämlich: In welchem Stadium der Betriebsratsgründung sind die Mitarbeiter:innen geschützt?
Doch nur einen Monat später nimmt die Gewerkschaft GPA das Urteil zur Kenntnis. Die GPA vertritt Sabrina mit Vollmacht vor Gericht. Sie sehen keine Chance mehr, auf dem Rechtsweg etwas zu bewegen. Stattdessen wolle man eine politische Kampagne starten.
Sabrina hat verloren
Damit gewinnt Douglas endgültig. Die Kündigung bleibt aufrecht. Sabrina hat keine Chance mehr. Sie muss sich von ihren Betriebsratsplänen verabschieden, muss jetzt loslassen, wofür sie zwei Jahre lang unermüdlich gekämpft hat. Der Konzern hat ein paar Schrammen abbekommen, auf Social Media schreiben einzelne User:innen, sie würden nicht mehr bei Douglas einkaufen. Aber der große Imageschaden ist ausgeblieben. Douglas wollte mit aller Kraft verhindern, dass Sabrina wieder für das Unternehmen verkaufen darf – und hat genau das geschafft.
Warum das alles? Bis heute weigert sich Douglas, darauf eine Antwort zu geben. Woher kommen die Mobbing-Vorwürfe? Darauf gibt es auch nach mehreren Anfragen keine Antwort. Wieso wurde Sabrina überhaupt gekündigt? Stille.
Dass Douglas die engagierte – und deswegen unangenehme – Mitarbeiterin Sabrina loswerden konnte, liegt auch an dem schwachen Gesetz. Denn obwohl Sabrina alles richtig gemacht hat, konnte sie im frühen Stadium der Betriebsratsgründung entfernt werden.
Ist das Absicht oder ein Versäumnis der Regierung? Zuständig ist der von der ÖVP nominierte Arbeitsminister Martin Kocher. Das Statement aus seinem Büro ist ernüchternd:
„Einschüchterungsversuche oder sonstige Erschwernisse sind tunlichst zu unterlassen. Sich für Rechte von KollegInnen im Betrieb einzusetzen, darf nicht zum Verlust des Arbeitsplatzes oder anderen Benachteiligungen führen. Daher greifen die Schutzbestimmungen von ArbeitnehmerInnen, die ernsthaft einen Betriebsrat gründen wollen, schon sehr früh ein und werden als ausreichend angesehen.“
Das Arbeitsministerium sieht im offensichtlichen Problem offenbar kein Problem und denkt nicht daran etwas nachzubessern. Keine Reform, keine Gesetzesänderung. Das heißt: Menschen wie Sabrina können sich auch noch so sehr um einen Betriebsrat bemühen. Sie können alles richtig machen, sich an alle Gesetze halten. Und trotzdem gekündigt werden. Völlig legal. Und genau so soll es auch bleiben.
„Ich habe gemerkt, wer wirklich hinter mir steht“
Auch wenn Sabrina ihr Ziel nicht erreicht hat, sie hat zumindest gezeigt, welche Versäumnisse es im Arbeitsrecht gibt. Sie hat viel über sich selbst gelernt als sie das österreichische Rechtssystem praktisch durchgespielt hat. „Ich habe in den zwei Jahren gemerkt, wer wirklich hinter mir steht“, sagt sie. „Die Zeit war nervenaufreibend. Es nimmt einen psychisch mit.“
Die Branche ist schwierig, sagt Sabrina. Fachleute fehlen, Geschäfte wie Douglas würden auch keinen großen Wert auf die Expertise der Verkäufer:innen legen. Damit werden die Mitarbeiter:innen auswechselbar.
In all den Jahren, zwischen den Anschuldigungen, den Gerichtsterminen, kleinen Siegen und großen Niederlagen ist es leicht, zu vergessen, was Sabrina überhaupt wollte. Sie wollte einen Betriebsrat aufstellen, damit in Zukunft die Kolleg:innen ihre Pausen einhalten dürfen. Um sich gegen den Personalmangel einzusetzen. Damit Mitarbeiter:innen ihren Krankenstand ohne schlechtes Gewissen melden können. Ist das wirklich zu viel verlangt?
„Ich habe am Rechtssystem gezweifelt. Das Arbeitsrecht sollte Arbeitnehmer früher schützen“, sagt Sabrina. „Ich habe auf jeden Fall gelernt, dabei zu bleiben, egal wie hart ein Kampf ist. Du musst ihn durchziehen. Wenn du etwas verändern willst, dann mach es selber. Das Douglas-Kapitel ist jetzt abgeschlossen. Aber Sabrina hat schon große Pläne für die Zukunft: „Ich möchte in die Politik gehen und gleich von dort etwas ändern. Mein Zukunftsziel wäre es, Arbeitsministerin zu werden.“