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Arbeitswelt

KV-Verhandlungen im Handel: Arbeitgeber:innen spielen auf Zeit – aus miesen Motiven

Man sieht Redakteur Andreas Bachmann in blauem Hemd, der mit geschlossenem Mund in die Kamera lächelt. Der Hintergrund ist Korallenfarben.
In dieser Woche steht die dritte Runde der Lohnverhandlungen im Handel an. Die Seite der Arbeitgeber:innen hat noch nicht einmal ein Gegenangebot vorgelegt. Dahinter könnte ein mieses Motiv stecken. Zugleich versucht die Wirtschaftskammer, die für die Beschäftigten geforderten 11 Prozent mehr Lohn als "utopisch" darzustellen – mit unredlichen und nicht haltbaren Argumenten.

Jetzt wird es hitzig im Handel. Diese Woche gehen die Lohnverhandlungen für rund 430.000 Angestellte in Österreichs Supermärkten, Bekleidungsgeschäften, Baumärkten und Co. in die dritte Runde. Für morgen, Dienstag haben die Gewerkschaften zum Protest aufgerufen. Die Stimmung ist geladen. Die Vertreter:innen der Beschäftigten fordern angesichts der enormen Teuerung 11 Prozent mehr Lohn. Sie wollen mehr Urlaubstage und zumindest eine Diskussion über eine generelle Arbeitszeitverkürzung.

Und die Arbeitgeber:innen? Die haben bisher noch nicht einmal ein Gegenangebot vorgelegt. Dass sich Arbeitgeber:innen nicht festlegen, obwohl bereits wochenlang verhandelt wird, ist nicht nur respektlos. Es könnte auch Kalkül dahinterstecken: Nämlich so lange auf Zeit zu spielen, bis neue, sinkende Zahlen zur Inflation vorliegen und neue, ebenfalls sinkende Zahlen zu den Umsätzen im Handel da sind. Diese können dann von den Arbeitgeber:innen ins Feld geführt werden, um die Lohnforderungen der Beschäftigten als zu hoch darzustellen.

In KV-Verhandlungen zählt die vergangene Inflation – immer

Man muss es leider immer wieder betonen: Wie stark die Löhne jetzt steigen, richtet sich nicht danach, um wieviel teurer der Lebensunterhalt für die Menschen in Österreich im Oktober 2023 wurde. Lohnerhöhungen jetzt sollen die Teuerung von September 2022 bis 2023 ausgleichen. Die betrug fette 9,2 Prozent. Lebensmittel wurden sogar noch teurer.

Diese Zahlen stehen fest. Darunter leiden die Beschäftigten seit einem Jahr und danach richten sich die Lohnforderungen. Auch wer selbst an der Supermarkt-Kassa sitzt, muss für seinen Einkauf tief in die Tasche greifen. Eine in den kommenden Monaten sinkende Inflation wird bei der Lohnrunde im nächsten Herbst die Grundlage der Verhandlungen.

Übrigens: Sinkende Inflation heißt nicht, dass irgendetwas billiger wird. Es wird nur weniger schnell teurer. All das wissen die Arbeitgeber:innen, und reden trotzdem anders.

„Wir können nicht nur nach hinten schauen“, sagt Rainer Trefelik, Obmann der Sparte Handel in der Wirtschaftskammer, zu MOMENT.at. Er bemüht einen Vergleich: „Wenn Sie beim Autofahren immer in den Rückspiegel schauen, sehen sie nicht, wie sie vorne in die Wand fahren.“ In 40 Jahren habe es keine solchen Sprünge mehr gegeben. „Es braucht jetzt eine Kombination aus Beidem“, fordert er.

Will heißen: Die hohe Inflationsrate soll nicht das Maß für die Lohnverhandlungen sein. Aber das ist unredlich.

Warum leidet der Handel? Weil Menschen kein Geld haben

Und die Umsatzeinbußen? Die Wirtschaftskammer klagte nach der zweiten, ergebnislosen Verhandlungsrunde: Im September habe das reale Minus im Nicht-Lebensmittelhandel ganze 11,1 Prozent betragen. Das klingt erstmal schlimm. Aber könnte das vielleicht daran liegen, dass die Menschen in Österreich wegen der hohen Inflation schlicht weniger Geld haben? Das fehlt ihnen, um neue Kleidung zu kaufen oder Möbel und Haushaltsgeräte anzuschaffen – also alles, was über das dringend Notwendige hinausgeht.

Wohl keine Branche spürt es so unmittelbar, wenn die Löhne steigen. Denn das lässt die Kassen der Handelsfirmen klingeln. Vor allem wenig verdienende Menschen – und davon arbeiten im Handel besonders viele – geben ihr Geld zu einem großen Teil für Konsum aus. Wollen sich die Unternehmen das entgehen lassen?

Trefelik führt auch an: Was die Beschäftigten fordern, sei zu viel, weil es Hilfsangebote der Bundesregierung gab. „Dadurch hat die Inflation nicht in diesem Maße zugeschlagen“, sagt er. Und das sollten die Vertreter:innen der Beschäftigten bitteschön auch in ihre Lohnforderung einbeziehen und weniger fordern. Nun ja.

Milliardenhilfen für Unternehmen fallen unter den Tisch

80 von 100 Steuer-Euro kommen aus Arbeit und Konsum. Nur 6 Euro kommen aus Unternehmensgewinnen. Die Hilfen bezahlen sich die Arbeitnehmer:innen praktisch selbst. Sie sollten Menschen über die schlimmsten Härten der Teuerung hinweghelfen, etwa bei der Miete oder der Energierechnung. Andere Hilfen wie eine Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel gab es aber nicht.

Von diesen hätten auch die Handelsunternehmen profitieren können. Nicht nur deshalb sollte die Wirtschaftskammer ihre Kritik an Lohnforderungen in angeblich “utopischen Sphären” besser an die ÖVP-geführte Bundesregierung weiterleiten. Weil diese weitgehend untätig war, hat Österreich eine der höchsten Inflationsraten im Euroraum. Und deshalb brauchen die Beschäftigten höhere Löhne.

Und war da nicht noch etwas? Achja: Hilfen in Milliardenhöhe schüttet Österreich auch an Unternehmen aus. Den Energiekostenzuschuss etwa. Im Jahr 2023 liegt Österreich EU-weit auf Platz 2, was staatliche Unterstützungen für Unternehmen betrifft: Mit 3,9 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung subventioniert Österreich seine Firmen. Das zahlen schlussendlich wir alle – auch die Beschäftigten im Handel.

Wer von ihnen nun verlangt, sich wegen staatlicher Hilfeleistungen zurückzuhalten, müsste aus gleichem Grund beim eigenen Angebot eine Schippe drauflegen. Dazu bräuchte es aber erst einmal ein Angebot.

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