print print
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full
Ungleichheit
Demokratie

Junge Lehrerin in Österreich: “Wo ist die Hilfe, die wir seit Jahren fordern?”

Der Schulalltag zehrt an den Nerven von jungen Lehrkräften. Foto: Piacquadio/ Pexels
Anna* ist Anfang 20 und an einer Sonderschule angestellt. Nebenbei steckt sie im Lehramtsmaster. Der Berufseinstieg war für sie ein Schock: Mit ihren Erfahrungen ist sie nicht allein. Hier erzählt sie, was sie aktuell wirklich darüber denkt, Lehrerin zu sein.

Mein Alltag an der Schule ist gerade irrsinnig anstrengend. Ich muss immer auf Zack sein. Im Klassenzimmer bin ich Lehrkraft, Sozialarbeiterin und Erzieherin. Ständig überlege ich mir neue Zugänge zum Unterricht. Ich bin mehr Psychologin und weniger Fachlehrkraft. Das zehrt an den Nerven. Um die Probleme der Schüler:innen professionell besprechen zu können, habe ich ja keine richtige Ausbildung und eigentlich auch zu wenig Zeit. Dazu kommen Kolleg:innen, die pädagogisch ganz anderer Meinung sind und die gegen mich schießen. Und natürlich auch die Eltern. Die machen einen teilweise richtig fertig. 

Im Vergleich zum vergangenen Jahr, als ich angefangen habe zu arbeiten, hat sich nichts großartig verschlechtert. Aber verbessert hat es sich auf keinen Fall. Nur ich bin abgehärteter und abgebrühter geworden. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich mich bei Problemen nicht auf die Bildungsdirektion oder meine Vorgesetzten verlassen kann. Das ist traurig, aber anders geht es nicht. 

Unterstützung von Kolleg:innen?

Ich hätte gehofft, dass das Vernetzen mit den anderen Lehrer:innen etwas mehr hilft. Aber auch hier hat sich gezeigt: Ganz viele brauen ihr eigenes Süppchen an den einzelnen Schulen und wollen keinen Dialog. Viele sind misstrauisch und skeptisch, wenn man mit der Idee von Austausch daherkommt. Andere würden es sich wünschen, aber sind so ausgebrannt und überlastet, dass sie dafür schlicht keinen Kopf haben.

Und ich kann es verstehen. Mir geht es genauso: Ich würde mich gerne mit anderen Lehrkräften zum Beispiel über neue Methoden austauschen, auch mit denen, die schon länger im Dienst sind. Aber ich habe mit dem Schulalltag und dem Master so viel zu tun, dass ich nicht schaffe, was auf die Beine zu stellen. 

Finanziell abgesichert

Mittlerweile bekomme ich zum Glück das richtige Gehalt. Regelmäßig kommt es auch. Ärgern musste ich mich trotzdem laufend über die Bildungsdirektion: Die Abrechnung der Projekttage hat letztens nicht geklappt. Lag an den ganzen Formularen dafür. Manchmal habe ich das Gefühl, dass sie absichtlich so schwer gestaltet sind, damit man einen Fehler macht und dann das Geld nicht ausbezahlt werden muss. Echt schrecklich.  

Ob ich manchmal den Gedanken habe, alles hinzuwerfen? Oft sogar. Wobei ich meistens ans Wechseln der Schule denke, an meiner geht es wirklich schlimm zu. Aber ich werds nicht machen, ich kann einfach nicht. Dafür liebe ich den Job zu sehr und meine Schüler:innen. Ich liebe es, mein Wissen weiterzugeben. Ich liebe es, wenn Schüler:innen vor mir sitzen und ihnen der Knopf aufgeht, weil sie verstanden haben, was ich erzähle.

Es ist ein Klischee: Aber ich tue es für die Schüler:innen 

Ich finde es auch toll, wenn Schüler:innen zu mir kommen und offen über ihre Probleme reden wollen. Ich bin manchmal deren einzige Ansprechperson. Und die Schule ist für viele Schüler:innen eine der wenigen Konstanten im Leben. Viele Kinder, besonders aus schwierigen Familienverhältnissen und Haushalten, brauchen diese Routine. Die Schule gibt Halt. 

Ich habe schon öfter Schüler:innen an Einrichtungen weitergeleitet, die sich mit jugendlicher Psyche besser auskennen als ich. Wenn sie dann nach ein paar Wochen erleichterter im Klassenzimmer sitzen als davor, ist das ein Erfolg. Besonders dann, wenn sie wochenlang kaum da waren und jetzt wieder regelmäßig anwesend sind. Meine Motivation für den Job ist quasi eine Mischung aus dem Vermitteln von Wissens an sich, aber auch der Sozialarbeit. 

Zu viele Baustellen im System

Trotzdem: Das System an sich und die Unterfinanzierung ärgern mich extrem. Das System ist veraltet und nicht mehr zeitgerecht. Allein die Notengebung, die Matura, die strengen Vorgaben, was zu unterrichten ist. Die Wahl der Fächer, die Methoden. Ich finde die Schüler:innen sitzen viel zu lang in der Schule. Manchmal sind es 42 Unterrichtsstunden pro Woche. Dazu kommen Nachmittagsfächer, Hausaufgaben. Wo bleibt da die Freizeit und das soziale Leben? 

Um acht Uhr morgens hocken mir dann Schüler:innen gegenüber, die Augenringe wie Traktorreifen haben. Was sie an Rucksäcken mit psychischen Belastungen mit sich rumschleppen, sieht man ja gar nicht direkt. Dann werden diese jungen Menschen mit Gedichtanalysen vollgeschwafelt. Mit Problemen im Kopf geht Lernen doch gar nicht. Diese Schüler:innen bräuchten mal eine ordentliche Berufsberatung. Und als Klasse eine Art therapeutisches Coaching, indem sie über ihr alltägliches Leben, ihre Zukunft und über ihre Träume sprechen können. Und das sind alles keine Auswirkungen von Corona, das sind die Auswirkungen unserer Leistungsgesellschaft. 

Menschlich bleibt viel auf der Strecke. Dazu kommt: An meiner Schule ist einfach kein Geld da. Für nix. Es wird kaum ordentlich geheizt. Die Toiletten sind sanierungsbedürftig. Die Klassenzimmer sind marode, die Farbschicht der Stühle blättert ab. Eine Zeit lang durfte ich nur eingeschränkt Kopieren. Notenhefte, Stifte fürs Whiteboard, teilweise Kreiden und Schwämme für die Tafel, Technikkabel – musste ich alles schon aus eigener Tasche bezahlen. 

Warum nicht dagegen auf die Barrikaden gehen?

Durch diese krassen Zustände sind wir Lehrkräfte ausgebrannt. Aber ich bin ehrlich: Es wird keinen Streik geben. Der Grund? Wir sind alle zu feige. Alle haben sich über die Probleme im Bildungssystem aufgeregt. Dann habe ich Erfahrungsberichte von Lehrer:innen gesammelt. Gemeldet haben sich relativ wenige. Alle wollten anonym bleiben – ich auch. Ich habe Angst um meine Stelle. 

Das alles klingt hart. Aber ich würde sagen, mir geht es auf jeden Fall besser als anderen Kolleg:innen. Auch wenn meine Direktion und Administration zum Vergessen sind, arbeite ich mit einigen Lehrkräften an meiner Schule in einem engen Team, indem man alles besprechen kann. Das hilft im chaotischen Schulalltag. Und meine Schüler:innen sagen mir regelmäßig, dass sie froh sind, dass ich da bin. Das kann man jetzt nicht direkt als Rückhalt sehen, mir hilft es aber sehr.

Individualismus statt Leistung

Was sich ändern muss? Die bessere Frage ist: Wie lang kann es noch so bleiben, wie es derzeit ist. Wir Lehrkräfte brauchen mehr Unterstützung. Eine praxisorientierte Ausbildung, mehr Möglichkeiten der Supervision, ordentlich ausgebildetes Personal. Kleinere Klassen. Und ganz klar: Mehr Personal. Damit meine ich Schulsozialarbeiter:innen, Berufsberater:innen, Freizeitpädagog:innen, Schulpsycholog:innen, Administrator:innen. 

Wo ist das Geld für dringend nötige Sanierungen? Wo ist die rechtliche Aufklärung für uns jungen Lehrkräfte? Wo sind die Vorgesetzten, die sich für uns stark machen und sich für uns einsetzen? Wo ist die Fairness in diesem System? Wo ist die Hilfe, die wir fordern und die wir brauchen, aber seit Jahren nicht bekommen?

Meine Geschichte ist eine von vielen. Sie zeigt nicht alle Probleme und Missstände auf, die es derzeit im österreichischen Schulsystem gibt. Ich wünsche mir weiterhin, dass sich etwas ändert. Ich möchte nicht mehr hören “Na beschwer dich nicht, du bist ja Lehrerin!” Ich möchte Anerkennung und dass die Probleme endlich behoben werden. 

 

*Name von der Redaktion geändert

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Kommentare 0 Kommentare
    Kommentar hinzufügen

    Neuen Kommentar hinzufügen

    Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Beitrag!