Lindemann am “Hellfest”: Es gibt keine Cancel Culture

Am 19. Juni trat Till Lindemann Solo als Headliner des Eröffnungstages beim “Hellfest” 2025 im französischen Nantes auf.
Das französische Medium “Mediapart” berichtete von Frauen, die von einer Mitarbeiterin Lindemanns (das Medium vermutet, dass es sich um Alena Makeeva handelt) im VIP-Bereich des Festivals angesprochen wurden. Sie sollen zu einer Aftershow-Party im Hotel des Sängers eingeladen worden sein, um “eine gute Zeit zu haben” und Till Lindemann “Gesellschaft zu leisten”.
Alte Masche
2023 wurden Missbrauchsvorwürfe gegen den Rammstein-Frontsänger laut. Seine damalige Mitarbeiterin Alena Makeeva soll als “Casting director” Frauen für den Sänger rekrutiert haben, um sie für Sex mit ihm vor, während oder nach der Show gefügig zu machen. Die sogenannte “Row Zero” bestand angeblich aus bewusst ausgewählten Frauen, die bei den Rammstein-Shows direkt vor der Bühne stehen “durften”, um dann anschließend von Lindemann für die Pre- oder Afterparty ausgewählt zu werden. Angeblich sollen ihnen ihre Handys abgenommen worden und sie unter Alkohol und Drogen für den Sänger gefügig gemacht worden sein. Dabei soll es auch zu sexuellen Übergriffen gekommen sein.
Die Band selbst stritt alle Vorwürfe ab und auch alle Ermittlungen gegen Lindemann wurden mittlerweile eingestellt (mutmaßlich Betroffene hatten mit Medien geredet, aber nicht mit deutschen Behörden). Währenddessen waren mutmaßlich Betroffene von massivem Hass im Netz betroffen. Lindemanns Anwälte drohten außerdem, gegen jedes mutmaßliche Opfer rechtlich vorzugehen.
Dem Erfolg von “Rammstein” hat das keinen Abbruch getan. 2024 spielten sie eine erfolgreiche Tour mit insgesamt 30 Konzerten in zwölf verschiedenen Ländern. Die deutsche Band macht derzeit Pause, danach soll es mit “Rammstein” weitergehen.
Kein Beweis für Unschuld
Dass Verfahren gegen mutmaßliche Täter von Gewalt an Frauen oft eingestellt werden, ist nichts Neues. Das heißt jedoch nicht, dass wir Betroffenen deswegen weniger Glauben schenken sollten. Gewalt ist zu alltäglich. Jede dritte Frau in der EU erlebt im Laufe ihres Lebens physische oder sexualisierte Gewalt. Die Dunkelziffer dürfte noch höher sein.
Nur selten werden diese Fälle zur Anzeige gebracht, da Betroffene oft mit einer Täter-Opfer-Umkehr seitens der Behörden, Täter oder gegebenenfalls auch Medien rechnen müssen. Konsequenzen für Täter gibt es meist keine.
Prominente Fälle, wie der von „Rammstein“, vermitteln Betroffenen die Botschaft: Es ist egal, ob du dich gegen Gewalt wehrst. Dir wird nicht geglaubt und du wirst mit Hass und Klagen zum Schweigen gebracht werden.
Die Cancel-Culture, die keine ist
“Cancel-Culture” schreien oftmals Männer, die sich mit Gewaltvorwürfen konfrontiert sehen und von der Gesellschaft ungerecht behandelt fühlen. Währenddessen ist ein verurteilter Vergewaltiger US-Präsident. Der Sänger Chris Brown füllt dieses Jahr – trotz Verurteilung wegen physischer Gewalt und mutmaßlichem Missbrauch – Konzerthallen für seine Welttournee. Welche Cancel Culture soll das sein?
Ja, vereinzelt gibt es ihn: den medialen Aufschrei, den trendenden Hashtag, die Einordnungen kompetenter Menschen. Aber wo ist das Verhältnis zur Gewalt, die Betroffene erfahren und die meistens damit leben müssen, dass ihre Täter ohne Konsequenzen weiterhin erfolgreich ihre Karriere verfolgen. Und von manchen Fans, gerade wegen dieser Gewaltvorwürfe gefeiert werden. Oder zumindest für ihre frauenfeindliche Politik oder Songtexte.
Wenn es beim Canceln darum gehen soll, Menschen eine Bühne zu nehmen und sie zum Schweigen zu bringen, dann könnten höchstens Gewalt-Betroffene selbst von einer Cancel Culture sprechen.
Schon vor dem Auftritt Lindemanns beim Hellfest verteidigte die Festivalleitung das Booking des Sängers. Man sei kein Richter. Man würde die Künstler:innen buchen, die das Publikum sehen möchten. Und auch nach dem Auftritt hätte man keine Vorfälle registriert, die gegen die Richtlinien des Festivals verstoßen hätten. Man hätte eine Nulltoleranz gegenüber jeglicher Gewalt.